Bischof Meister: Blinde Luther-Verehrung wäre fahrlässig

Hannover (epd). Der hannoversche Landesbischof Ralf Meister wünscht sich für das Jahr des 500. Reformationsjubiläums, das mit dem Reformationstag an diesem Montag beginnt, eine sachliche Auseinandersetzung mit Martin Luther. "Das Jubiläum ist kein Anlass, um ihn blind zu verehren. Das wäre im Gegenteil fahrlässig", sagte der evangelische Theologe. Es gehe darum, Luther und seine Zeit historisch fundiert zu betrachten. "Dabei ist eine kritische Distanz und Beurteilung bestimmter Haltungen unverzichtbar", sagte Meister. Als Beispiele nannte er Luthers scharfe Angriffe auf die Bauernkriege, seine ausgeprägte Skepsis gegenüber dem Islam und vor allem seinen Judenhass.

Luthers Antisemitismus sei unter anderem darauf zurückzuführen, dass die Juden seine Erwartungen, Christen zu werden, nicht erfüllt hätten, erläuterte der Theologe. Luther habe einen neuen Deutungsrahmen geschaffen, in dem Christus die Autorität ist, die als alleiniger Maßstab die Auslegung der Bibel bestimmt. Diese Position habe die Autorität des Papstes und die Macht der Kirche geschwächt. "Das gab ihm die Freiheit, diejenigen massiv, polemisch und grob zu kritisieren, die dieser Neuausrichtung nicht folgten." Daraus habe auch sein "wüster Antijudaismus" resultiert, der nicht zu entschuldigen sei.

Alle sitzen in der ersten Reihe

Auf der anderen Seite habe er den Menschen mit seiner Überzeugung, dass die Grundlage des Glaubens in Christus selbst und nicht in der Vermittlung durch kirchliche Amtsträger und Traditionen liege, völlig neue Perspektiven eröffnet. "Der Ritter und der Handwerker, der Bauer und die Hausfrau erfuhren, dass sie nicht in einer abgewerteten Kategorie lebten, die sie – bildlich gesprochen – im Gegenüber zu den Klerikern in die zweite, dritte oder fünfte Reihe verbannte, sondern dass sie in der ersten Reihe neben ihnen sitzen durften."

Genau dies habe den Protestantismus aber auch von Anfang an zu einer anstrengenden Konfession gemacht. "Man muss sich nicht nur darum bemühen, selbst zu verstehen, was in der Bibel steht, sondern daraus dann auch noch einen eigenen Lebensentwurf konstruieren", sagte Meister und betonte: "Das verlangt sicherlich mehr, als den 'Like- oder Dislike-Button' bei Facebook anzuklicken." Die Menschen sollten nach Luthers Absicht nicht in der Angst vor Institutionen leben, die ihnen ein Richtig oder Falsch vorschrieben.

27. Oktober 2016