"95 Anschläge": Literaturhaus und EKHN-Stiftung präsentieren Zukunfts-Thesen

Frankfurt a.M. (epd). "95 Anschläge – Thesen für die Zukunft" ist ein spezieller Frankfurter Beitrag zum 500. Reformationsjubiläum betitelt, der am 22. Februar im Literaturhaus vorgestellt wurde: Das Buch, in dem 95 Autorinnen und Autoren aus Literatur, Gesellschaft, Wissenschaft, Kirche und Politik dringende Anliegen in Kurzform beschreiben, solle "Anstifter" sein und Debatten auslösen, sagte Literaturhaus-Chef Hauke Hückstädt. Das städtische Literaturhaus und die landeskirchliche EKHN-Stiftung als Herausgeber setzen auf die reformatorische Kraft des Wortes.

Der "Widerspruch" im Zentrum der Glaubensauffassung Luthers habe ihn dabei am meisten interessiert, sagte der Kulturbeauftragte der Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), Johann Hinrich Claussen, einer der 95, bei der Podiumsdiskussion. Kirche heute sei mehr als "Aufbewahrungsanstalt für moralische Werte", wenn auch die Pflege kultureller Traditionen wichtig sei. Durch den Glauben komme der Widerspruch in die Welt – "gegen das, was ist, gilt, herrscht und zu erwarten ist".

"Mut oder Demut"

Die Schriftstellerin Thea Dorn ("Die Unglückseligen") brachte dagegen "Mut und Demut" als Haltungen ins Spiel: "Früher einmal begegnete der Mensch den Widrigkeiten des Lebens mit Mut oder Demut – heute genügt es, wenn er 'Zumutung!' schreit". Eine Gesellschaft, die einen Aufruf zur Demut als geisteskrank empfinde, halte sie für "fragwürdig", sagte Dorn und rief dazu auf zu unterscheiden, "wo lasse ich mir nichts bieten", etwa im Kampf gegen Krankheiten, und "wo muss ich mich in mein Schicksal fügen".

Nicht alle Autoren des 285 Seiten umfassenden Buches haben sich direkt mit Martin Luther auseinandergesetzt, der vor 500 Jahren seine kirchenkritischen 95 Thesen verkündete und damit die Reformation auslöste. In den neuen Thesen in Form von zweiseitigen Kurzessays geht es um aktuelle Themen wie Islam in Deutschland (Ahmad Mansour), Integration (Wolfgang Thierse), Sterbehilfe (Wolfgang Huber), Ethik im Finanzgeschäft (Friedrich von Metzler), Lügenpresse (Frank Plasberg), Museen (Max Hollein) oder auch um Gesundheit (Juli Zeh).

Ein Buch und bundesweite Diskussionsabende

Unter der Überschrift "Erbarmt Euch!" las Ines Geipel, Autorin und frühere DDR-Leistungssportlerin, ihr kraftvolles Plädoyer für ein Innehalten im "Hochdruckkessel" der Gegenwart, zu einer Rückbesinnung auf das Geschenk des Lebens. Sie meine damit keinen Rückzug ins Private, sondern "Freundlichkeit gegenüber der Welt und sich selbst als politischen Akt", erklärte sie. Und erhielt den größten Beifall an diesem Abend.    

Um Tempo und "Zeitkompression" kreisten auch die Gedanken des Physikers und Fernsehjournalisten Harald Lesch: Im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung setzten die Maschinen die Normen, die Technologie fordere "uns auf, anders zu sein als wir sind", sagte Lesch und verweis auf das Handy als "digitale Vertikalburka". Wenn selbst Microsoft-Gründer und Multimilliardär Bill Gates fordere, die Digitalisierung zu verlangsamen, könne etwas nicht stimmen, so Lesch, es brauche einen "Bremsmechanismus". Seine These blieb nicht unwidersprochen: "Was hindert uns, das Handy zu Hause zu lassen", fragte Thea Dorn und gab zu, sie sei mitunter heilfroh über das Internet.

Der Premiere des im S. Fischer-Verlag erschienenen Buches soll eine Reihe von Diskussionsabenden bundesweit folgen. Bislang stehen laut Mitherausgeberin Friederike von Bünau von der EKHN-Stiftung zehn Termine in unterschiedlicher Autorenbesetzung fest, zwischen 20 und 25 sollen es werden. Die Thesen sind auch im Radio zu hören, in hr2-kultur jeweils werkstags um 11.55 Uhr.