Das Land des Vergessens

EKD-Dokumentation zu „Leben mit Demenz“

"Wer sind Sie denn?" Mit dieser Frage beginnt eine neue Publikation der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), die am heutigen Freitag, den 30. Januar, veröffentlicht wird. In ihr sind unter dem Titel „Leben mit Demenz“ Beiträge aus medizinisch-pflegerischer, theologischer und lebenspraktischer Sicht zusammengestellt. Die 140seitige Broschüre, die als Nummer 98 der Reihe EKD-Texte erscheint und eine DVD des Films „Ach Luise“ enthält, dokumentiert eine Tagung des Rates der EKD und der Leitenden Geistlichen der Gliedkirchen aus dem Jahr 2008.

"Leben mit Demenz" ruft die Erfahrungen wach, die Familien mit der Pflege ihrer an Demenz erkrankten Alten machen. Und diese Erfahrungen sind häufig schmerzhaft. So wie ein Demenzkranker einen fortschreitenden Gedächtnisverlust erleidet und nicht einmal mehr seine nächsten Angehörigen wiedererkennt, so wird er seinerseits für Familie, Nachbarschaft und Freundeskreis immer mehr ein Anderer und Fremder. Die Frage "Wer sind Sie denn?" erinnert an peinigende Situationen, in denen Angehörige ohnmächtig zur Kenntnis nehmen müssen: Dieser Mensch, mit dem uns so viel an gemeinsamen Erinnerungen verbindet, kennt uns nicht mehr, er ist uns wie entzogen. Das Thema rückt dem Leser in einer anderen Hinsicht aber noch näher: Denn die Erfahrungen mit dementen Menschen führen vor Augen, was das Schicksal eines jeden werden kann. Und dies wird je wahrscheinlicher, je älter man wird: Liegt das Risiko für Demenz in der Gruppe der unter 70jährigen noch bei unter drei Prozent, so steigt es bei den über 90jährigen auf weit über das Zehnfache an.

Die Wahl dieses Themas für die sogenannte Begegnungstagung von Rat und Leitenden Geistlichen war ein Wagnis, bilanziert Hermann Barth, Präsident des Kirchenamtes der EKD. „Aber der Verlauf der Tagung hat gezeigt, dass solche Wagnisse 'not-wendig' sind – im ursprünglichen Sinne des Wortes die Not wendend: weil sie die Mauer des Schweigens um die Demenz einreißen und auf diese Weise helfen, die Angst vor der möglichen eigenen Demenz und der Konfrontation mit dementen Angehörigen und Freunden besser standzuhalten.“

Der Band wird eröffnet von einer Einführung des Vorsitzenden des Rates der EKD, Bischof Wolfgang Huber. "Wer sind Sie denn?". Mit dieser Frage wurde er vor ein paar Jahren von Carl Friedrich von Weizsäcker bei einer Tagung aus Anlass von dessen 90 Geburtstag empfangen. "Ich versuchte, ihm unsere Verbindung zu erläutern; aber ich hatte nicht den Eindruck, dass ihm viel dämmerte; fern und leer war sein Blick ... Wenn auch das unendlich erscheinende Wissen, die unbegrenzte Kombinationsfähigkeit, das erstaunlichste Erinnerungsvermögen nicht vor Demenz zu bewahren vermag, bekommt diese Krankheit etwas Unheimliches, was uns davor zurückscheuen lässt, uns damit zu beschäftigen" (S. 9).

Von Hermann Barth stammt die Bibelarbeit über Psalm 31, von Peter Hahne, stellvertretender Leiter des ZDF-Hauptstadtstudios und Mitglied des Rates der EKD, die Andacht über Psalm 71.

Das Wortprotokoll eines von der Professorin für Christliche Publizistik in Erlangen, Johanna Haberer, moderierten Gesprächs ist unter die Überschrift gestellt: "Und wenn dann die Lichter aufgehen in seinen Augen". So äußert sich in dem Gespräch die Ehefrau eines Demenzkranken in ihrer Antwort auf die Frage: "Ist Demenz eine Lebenskatastrophe?" - "Natürlich ist es das ... Aber das heißt nicht, dass das Leben mit Demenz darum sinnlos ist". Wenn ich sehe, "wie in seinen Augen die Lichter hochgehen und er strahlt, dann ist er zufrieden, und wenn er das ist, dann ist es für mich auch keine Katastrophe mehr."

Einer der Hauptbeiträge des Bandes ist der Vortrag von Andreas Kruse, dem bekannten Heidelberger Gerontologen, der in einem großen Überblick nicht nur die Ursachen und Verlaufsformen der Demenz und die Anforderungen an die Pflege demenzkranker Menschen beschreibt, sondern auch die theologische These entfaltet: "Die Demenz sensibilisiert für die Aufgabe, die Ordnung des Lebens mit der Ordnung des Todes zu verbinden".

Der evangelische Sozialethiker Peter Dabrock stellt unter der Überschrift "Patientenverfügung und Demenz" eine Reihe von "theologisch-ethischen Reflexionen zwischen Menschenbildern und Rechtsgestaltung" an. Er nimmt dabei auch zu aktuellen Fragen im Zusammenhang der Bemühungen um die rechtliche Regelung der Patientenverfügung Stellung.

Susanne Langer, Seelsorgerin im Bereich der Altenheimseelsorge, behandelt einige wichtige Fragen zu "Demenz und Seelsorge". Darin geht sie auch auf die Bedeutung der Spiritualität für Demenzkranke ein.

Den Schlusspunkt der Sachbeiträge bildete auf der Tagung eine Podiumsdiskussion zwischen Andreas Kruse, Susanne Langer und dem Magdeburger Bischof Axel Noack, moderiert von Wolfgang Huber.

Schließlich ist noch ein Nachwort angefügt. Einige Wochen nach dem Ende der Tagung kam es zu einer öffentlichen Debatte über Äußerungen, die aus der Familie von Walter Jens über dessen Demenzerkrankung gemacht worden waren. In dieser Situation richtete Wolfgang Huber seinen Brief zum 85. Geburtstag von Walter Jens an dessen Frau. Inge Jens antwortete, dankbar für einen Brief, "der den Blick auf das lenkt, was von meinem Mann bleiben wird und was ihm keine Krankheit und keine Demenz nehmen kann". Mit dem Einverständnis von Inge Jens sind beide Briefe abgedruckt.

Dem Band beigefügt ist eine DVD des Films "Ach Luise". Irene Gräf, Absolventin der Filmhochschule Köln hat ihn 2007 produziert. In einer Vorfassung war auch dieser Film Bestandteil des Programms der Tagung.

EKD-Text 98 ("Leben mit Demenz") ist einschließlich DVD zu einem Stückpreis von € 7,50 erhältlich beim Kirchenamt der EKD (Herrenhäuser Straße 12, 30419 Hannover, Telefon: 0511/2796-460, Email: versand@ekd.de).

Hannover, 30. Januar 2009

Pressestelle der EKD
Silke Römhild

Der EKD-Text als pdf-Datei