Mit Spannungen leben

6. Segnung homosexueller Menschen

6.1 Der Wunsch nach Segnung

Der Wunsch nach einmaliger oder wiederholter Segnung homosexueller Menschen oder ihrer Partnerschaft ist in den letzten Jahren verstärkt ausgesprochen worden und beschäftigt verschiedene Landeskirchen. Dieser Wunsch wird teilweise von homosexuell geprägten Menschen selbst artikuliert, teils von anderen, die sich mit ihnen solidarisieren und sich ihre Anliegen zu eigen machen. Bei genauerem Zusehen zeigt sich, daß der Wunsch nach Segnung in sich nicht einheitlich ist und auch aus unterschiedlichen Motiven und Zielsetzungen resultiert. Es lassen sich zwei hauptsächliche Zielsetzungen unterscheiden, die ihrerseits aber wieder mehrere Facetten besitzen:

6.1.1 Segen als Zuspruch des Beistandes Gottes

Es ist verständlich, wenn homosexuell geprägte Menschen zusätzlich zu dem Segen, der allen im Rahmen des Gottesdienstes und der Amtshandlungen zugesprochen wird, für sich in ihrer meist schwierigen und belasteten Lebenssituation in besonderer Form den Segen als Zuspruch des Beistandes Gottes erbitten oder erwarten - sei es einmalig oder immer wieder. Dabei kann sich dieser Zuspruch auf verschiedene Aspekte beziehen:

  • auf den einzelnen homosexuell geprägten Menschen, der sich von der Segnung Kraft erhofft, seine Prägung anzunehmen oder den mühsamen, therapeutisch bzw. seelsorgerlich begleiteten Weg einer Veränderung seiner Prägung zu suchen;
  • auf den homosexuell geprägten Menschen, der in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebt und von der Segnung die Kraft erhofft, diese Partnerschaft in ethischer Verantwortung zu gestalten;
  • auf die gleichgeschlechtliche Partnerschaft, in der zwei Menschen leben, die diese gemeinsam gewählte und verantwortete Form des Zusammenlebens im Wissen um ihre Gefährdung bewußt unter dem Beistand Gottes gestalten wollen.

6.1.2 Segen als Aufwertung der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft

Bei dieser zweiten Motivation und Zielsetzung geht es um die Partnerschaft als Form des Zusammenlebens. Der Wunsch nach Segnung ist hier getragen von der Hoffnung oder Erwartung, daß eine von der Kirche bzw. ihren Amtsträgern gesegnete Partnerschaft damit aufgewertet, unter Umständen sogar der Ehe gleichgestellt wird. Deswegen richtet dieser Wunsch sich auch ausschließlich auf eine kirchliche Segenshandlung in gottesdienstlicher Form. Aber auch dieser Wunsch hat verschiedene Aspekte: Er zielt

  • auf die offizielle, innerkirchliche Anerkennung der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft, aufgrund derer sich z.B. auch der Zugang zum kirchlichen Amt öffnen müßte;
  • auf eine kirchliche Anerkennung, die es für die Herkunftsfamilien homosexueller Menschen leichter machen könnte, die homosexuelle Prägung ihres Kindes oder Enkels, ihrer Schwester oder ihres Bruders zu akzeptieren;
  • auf eine kirchliche Anerkennung, die auch den Staat (und die Gesellschaft) veranlassen könnte (oder müßte), für gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften eine allgemein anerkannte Rechtsform und damit eine Form gesellschaftlicher Anerkennung zu schaffen.     

6.1.1-2: Diese verschiedenartigen Motive, Ziele und Aspekte können deutlich unterschieden, aber auch eng ineinander verwoben auftreten, wobei die einzelnen Elemente auch noch unterschiedlich gewichtet sein können. Ob die erste oder die zweite Zielsetzung dominiert, wird in der Regel daran erkennbar, ob irgendeine Form der Segnung gesucht wird, durch die Gottes Beistand zugesprochen wird, oder ob ausschließlich die öffentliche, gottesdienstliche Form einer kirchlichen Segenshandlung begehrt wird. Dabei sei vorab betont, daß aus der Sicht homosexuell geprägter Menschen beide Zielsetzungen als nicht nur verständlich, sondern als legitim zu betrachten sind - und dasselbe gilt im Blick auf die je drei genannten besonderen Aspekte. Das enthebt die Kirchen aber nicht der Prüfung, welche Zielsetzungen und Aspekte aus ihrer eigenen Sicht akzeptiert werden können bzw. sollen.

6.2 Die Bedeutung von Segen und Segenshandlungen (24)

"Indem die Kirche im Namen des dreieinigen Gottes segnet, bringt sie zum Ausdruck, wer Ursprung und Geber allen Segens ist. ... Dabei muß beim Segen zwischen dem einen Gut, das Gott selbst ist, und den vielen Gütern wie Gesundheit, Frieden, Wohlergehen, Nachkommenschaft, Gemeinschaft, Ertrag der Felder, Gelingen des Tagwerks unterschieden werden. Beides darf aber nicht getrennt werden. Der alles tragende Segen in den lebensförderlichen Gütern ist Gottes Gegenwart selbst. Sie bleibt auch dort Segen, wo Lebensgüter verlorengehen oder ganz fehlen (vgl. etwa Ps 73,23f.)."25) Deshalb steht Segen nicht nur im Zusammenhang mit Glückserwartungen, sondern auch mit dem, was Menschen an Leiden und Abbruch in Beziehungen erleben.

Daß der Segen in der Kirche erteilt wird, in deren Mitte die Botschaft von der Rettungstat Gottes in Christus steht, bedeutet für den Segen, daß er nur von der Vertiefung her verstanden, erteilt und angenommen werden kann, die er durch das Tun Gottes in Christus erfahren hat. Durch dieses Tun wird erkennbar, daß der Tod dem Segenswirken Gottes keine Grenzen zu setzen vermag. Der Segen bekommt durch Jesu Sterben und Auferstehen an der Verborgenheit des Wirkens Gottes im Kreuz Christi Anteil. Deswegen ist das Kreuzeszeichen das prägnanteste christliche Segenszeichen.

In der Gegenwart hat im kirchlichen Leben der Segen wieder erhebliches Gewicht gewonnen. Lange Zeit hindurch spielte die Segenshandlung bei Konfirmationen, Trauungen und Beerdigungen innerhalb der evangelischen Kirche eine untergeordnete Rolle. Im Gegensatz zur Evangeliumsverkündigung gehörten die Segenshandlungen zum "Uneigentlichen". Gegenwärtig erkennt man aber in den Amtshandlungen und in den mit ihnen verbundenen Segenshandlungen wieder die wichtige Aufgabe der Kirche, Menschen an Lebensübergängen zu begleiten.

In ihrer lebensbegleitenden Bedeutung haben Segenshandlungen es mit dem Geborenwerden und Heranwachsen, mit dem Zusammenkommen von Eheleuten und der Geburt ihrer Kinder, mit dem Altern und Sterben zu tun. An solchen markanten Übergangsstellen dienen sie dazu, Menschen der "Einwilligung Gottes" (S. Kierkegaard) im Blick auf den vor ihnen liegenden Lebensabschnitt zu vergewissern und ihnen Gottes Geleit und Beistand zuzusprechen. Die Kirche kann nicht jeder Bitte um eine Segenshandlung entsprechen. Sie muß prüfen, ob sie sich von ihrem Verständnis des Willens Gottes her ermächtigt sieht, für die jeweilige Situation die Einwilligung, das Geleit und den Beistand Gottes zuzusprechen.26)

6.3 Möglichkeiten und Grenzen der Segnung

Setzt man diese kurzen theologischen Überlegungen zur Bedeutung von Segen und Segenshandlungen in Beziehung zu den beiden unterschiedlichen Motiven und Zielsetzungen, die sich mit dem Wunsch nach Segnung homosexueller Menschen oder gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften verbinden können (s.o. Abschn. 6.1), so zeigt sich, daß beide Zielsetzungen - wenn auch mit sehr unterschiedlichen Anteilen - Anhalt am theologischen Verständnis des Segens haben. Segen ist Zuspruch des Beistandes Gottes, der aber, sofern er sich auf eine bestimmte Lebenssituation oder Form des Zusammenlebens bezieht, das Moment der Einwilligung Gottes einschließt. Freilich kann und darf die Segenshandlung nicht das Mittel sein, um kirchliche oder gesellschaftliche Anerkennung zu erreichen, sondern sie muß selbst als Ausdruck einer klar erkennbaren Einwilligung Gottes verstanden und verantwortet werden können.

Aufgrund der theologischen Urteilsbildung muß aber gesagt werden, daß die Fülle der für das menschliche Leben wesentlichen Funktionen so nur in Ehe und Familie möglich ist. Das zeichnet sie als Leitbilder aus. Wichtige Elemente, die in dieser Weise ethisch begründet sind, lassen sich jedoch auch in anderen Formen des Zusammenlebens verwirklichen. Insofern verdienen auch sie Anerkennung, Achtung und Schutz (s.o. Abschn. 3.4).

Die entscheidenden strittigen Fragen, die sich daran anknüpfen, lauten:

  • Unterstellen kirchliche Segenshandlungen für gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften eine Übereinstimmung mit dem Willen Gottes, die aufgrund von Schrift und Bekenntnis so nicht behauptet werden kann, oder kann durch ihre besondere Form deutlich gemacht werden, daß solche Segenshandlungen sich ausschließlich auf die ethisch verantwortliche Gestaltung solcher Partnerschaften beziehen?
  • Führen kirchliche Segenshandlungen für gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften (kurz- oder langfristig) dazu, daß der Leitbildcharakter von Ehe und Familie undeutlich wird, möglicherweise sogar verlorengeht, oder sind sie in der Lage, ausschließlich die Anerkennung und Achtung zum Ausdruck zu bringen, die die gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft als ethisch qualifizierte Form des Zusammenlebens verdient?

Die in der jeweiligen ersten Hälfte dieser Fragen zum Ausdruck kommenden Bedenken können weder ausgeräumt noch bagatellisiert werden. Die Segnung einer homosexuellen Partnerschaft kann nicht zugelassen werden. In Betracht kommt allein die Segnung von Menschen.

Homosexuell geprägten Menschen, die allein oder in einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft leben, ist in ihrer besonderen Situation "Zuspruch und Anspruch Gottes nahezubringen und die Annahme des Menschen durch den barmherzigen Gott zu bezeugen. Das schließt die Fürbitte um Gottes Schutz und Geleit mit ein."27) Wenn homosexuell geprägte Menschen im Rahmen der geistlichen Begleitung durch andere Christen für sich eine Segnung erbitten, sollten sie ebensowenig abgewiesen werden wie andere Menschen, die eine solche Bitte äußern. Ihren Ort hat eine solche Segnung in der Seelsorge und der damit gegebenen Intimität. Diese Segnung im Rahmen eines Gottesdienstes vorzunehmen, kann wegen der Gefahr von Mißverständnissen nicht befürwortet werden. In jedem Fall muß für alle Beteiligte erkennbar sein: Gesegnet wird nicht die gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft als Form des Zusammenlebens, sondern gesegnet werden Menschen, und zwar in diesem Falle homosexuell geprägte Menschen, die allein oder in einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft ethisch verantwortlich leben.

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