Predigt im Eröffnungsgottesdienst der Auslandspfarrkonferenz am Dienstag, 3. Juli 2012 in der Stadtkirche zu Wittenberg

Martin Schindehütte

Liebe Schwestern und Brüder!

 „Am Anfang war das Wort“, so lautet der Claim, das Motto von Staat und Kirche für ihre gemeinsame Planung und Durchführung des Reformationsjubiläums.
Am Anfang ist das Wort, das gilt auch für uns. Wir beginnen unsere Konferenz mit diesem Gottesdienst. Wir sind zuerst angesprochen vor diesem Wort. Wir fragen danach, was dieses Wort aus uns macht und wohin es uns führt. Wir schauen auf das Erbe und Zukunftskraft der Reformation, die uns als Grund und Orientierung auf das Evangelium verweist. Wir fragen nach unserem Auftrag als Teil seiner Kirche. Dafür sind wir zu unserer Konferenz zusammengekommen. Herzlich willkommen!

„Am Anfang war das Wort“ – dieser Claim ist eine bestechende Idee. Warum? Weil man dieses Motto je nach Perspektive so und eben auch so verstehen.
Gesellschaft und Staat assoziieren in diesem Claim die Kraft der Argumente in der Verständigung des Gemeinwesens über gemeinsame Ziele und in der Bearbeitung von Konflikten. An die Stelle der begründungsfreien Machtausübung tritt der Diskurs freier, ihrem Gewissen verantwortlicher Bürger. An die Stelle des Untertanen das freie Subjekt demokratischen Handeln. Das Wort – gesprochen, gelesen, inszeniert - ist ein wesentliches und unverzichtbares Medium friedlicher Kommunikation. Ein Medium von Bildung, Kunst und Kultur. Diese demokratische und freiheitliche Grundorientierung von Kultur, Gesellschaft und Politik verbindet sich für uns auch mit und ganz wesentlich mit den Ereignissen und Erfahrungen der Reformation. Zu Recht.

Wir als Kirche assoziieren mit diesem Claim das alles auch. Aber hoffentlich zuerst und ganz besonders das Wort, das von Gott her zu uns kommt. Wir verbinden es mit den Zeugnissen der Schrift, in denen uns Zeugnisse des Glaubens und der Gotteserfahrungen nahe gebracht werden und uns zum Glauben führen. Auch für uns ist das biblische Wort eine klare Orientierung und der Bezugsrahmen, in dem all unsere Debatten, all unser Suchen im Glauben, all unser geistliches Leben stattfindet: Sola Scriptura und Solus Christus als äußerer und innerer Grund des sola gratia und des sola fide.

Doch die Formulierung des Claim hat auch ihre Tücken. So kongruent, wie es auf den ersten Blick scheint, sind diese beiden Perspektiven auf den Claim und die damit verbundenen Perspektiven dann doch nicht.

Das fängt schon damit an, dass der erste Satz des Johannesprologes leicht, aber entscheidend verändert wurde. Statt „Im Anfang“ heißt es „Am Anfang“.
Am Anfang verbindet sich mit dem Gedanken an einen zeitlichen Beginn, an ein historisches Datum, eine zeitliche Erstreckung mit definierten Stationen und dann eben auch an ein zeitliches Ende. Er trägt ein Element von Verfügbarkeit und Gestaltungswillen in sich. Am Anfang ist definitorisch gedacht. Dieser Anfang wird gemacht.

Im Anfang bezeichnet einen Urgrund, einen Ursprung, ein vorgängiges Sein, in dem alles gründet und ruht. Dieser Anfang wird geschenkt. Dieser Anfang ist deklaratorische gedacht. Er wird uns zugesagt und zugeeignet. Hier kommt uns das Wort “extra nos“ entgegen. Dieser Anfang wird geschenkt.
Genau dieses Verständnis des Anfangs im Wort atmet der Johannesprolog, den wir in so eindrucksvoller Weise in vielen Sprachen gehört haben.
Aber nicht nur die Bedeutung des Wortes „Anfang“ ist grundverschieden. Auch das Wort „Wort“ hat eine grundlegend andere Bedeutung als die eines Zeichens in der Vermittlung von Information und Kommunikation. Das Wort bezeichnet nicht eine Realität. Es schafft Wirklichkeit. Es ist Wirklichkeit. Es wird Wirklichkeit.

Das Wort ist am Anfang, vor der Schöpfung, bei Gott und ist schöpferisches Medium für alles Geschaffene. Es wird menschliche Existenz, es wird „Fleisch“. Jesus, sein Leben und Wirken, sein Predigen, sein Leiden, Sterben und Auferstehen. Das ist das eine Wort, das Gott der Welt zu sagen hat. Solus Christus! Creatio verbi divini! Vor Beginn aller Zeiten hat Gott gewusst, hat er es erdacht. Und er teilt dieses Wort seiner Welt mit, indem er sich selbst in sie verwickeln lässt. Et incarnatus est!

Es beginnt im Stall. Dort, wo der Wind durchpfeift. Wo es kalt ist in der Nacht. Nicht im Palast auf weichen Decken. Und so geht es weiter. Denen am Rande gilt die besondere Aufmerksamkeit unseres Gottes. Mit Kranken, mit Betrügern, mit Frauen und Kindern gibt Jesus sich ab. Seine besten Freunde sind einfache Fischer. Aber nicht nur das. Er selbst lässt sich selbst an den Rand stellen. Er lässt sich verspotten und demütigen, er lässt sich foltern und kreuzigen. Am Anfang der Stall. Am Ende das Kreuz!

Das Wort ward Fleisch. Das ist gesagt gegen alle, die damals meinten, Gott sei zwar schon irgendwie in menschlicher Gestalt auf Erden gewandelt, aber doch eben nicht ganz als Mensch, er habe nur ausgesehen wie ein Mensch. Das Göttliche an Jesus, habe natürlich nicht gelitten und hätte keine Schmerzen gespürt. So haben manche sich das damals zur Zeit des Johannes zu erklären versucht. Sie wollten das Göttliche rein halten, und aus dem Irdischen, Schmutzigen und Elenden, dem Begrenzten und Fragmentarischen heraushalten. So meinten sie, könnten sie das gerade noch mit Ihrer Vorstellung von Gott vereinbaren.
Uns wird aber klar, dass wir das Wort, dass wir jegliche Erkenntnis von Gott eben nicht anders haben als je in einer menschlichen Existenz, die ihrem kulturellen und historischen Bindungen nicht entrinnen kann und nicht entrinnen soll. Darum die vielen Realitäten, darum die vielen Sprachen, darum die vielen Kulturen. Jakarta, Stockholm, Rio de Janairo, Moskau, Kairo. Jede Übersetzung der Bibel in eine andere Sprache – Kisuhaeli, Mandarin, Portugiesisch -, jede ihrer Auslegungen, jede Form christlichen Lebens in all ihrer kontextuellen Unterschiedlichkeit, ja Gegensätzlichkeit – Pfingstler, Orthodoxe, Evangelicals, Römer - ist Ausdruck dieses „Et incarnatus est“. Diese Vielgestaltigkeit ist nicht Defizit und Verlust, sondern Ausdruck der Existenz Gottes als „Fleisch gewordener Mensch“ unter uns und in uns in unserer geschichtlichen und kulturellen Prägung und Begrenztheit. Wir sind als seine Menschen je seine Gabe an uns und für uns. Da ist „Ökumene der Gaben“ in seiner radikalsten Form gedacht.

Und warum das alles? - Aus Liebe.

So deutet es das Johannesevangelium. "Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab." Schon die Schöpfung ist ein Akt der Liebe. Gott reichte es nicht, bei sich selbst zu sein. Es reichte ihm nicht, sein Wort bei sich zu haben. Sich nur allein zu hören. Kein ewiges Selbstgespräch. Es drängte ihn aus sich heraus in ein Gegenüber. "Lasst uns Menschen machen, ein Bild das uns gleich sei." Er wollte für sie ein Leben voller Licht, voller Vertrauen und Freundlichkeit. Aus Liebe hat er diesem Gegenüber Freiheit geschenkt. Wo Zwang herrscht, wo einer keine Möglichkeit hat, sich zu entscheiden, da ist keine Liebe. Da ist allenfalls Selbstliebe.

Aber ebenso ist da keine Liebe, wo man sich dann nicht mehr um das Gegenüber kümmert. Und weil Gott sah, dass seine geliebten Menschen in Gefahr waren, der Finsternis der Gottesferne anheimzufallen, wandte er sich in Jesus Christus erneut an sie und wurde in letzter Konsequenz seiner Liebe zu einem von ihnen. Er kam in sein Eigentum“. Aus Liebe hat er sich selbst ganz verwickeln lassen in diese Welt. Auch und gerade in ihre dunklen Seiten, in ihren Hass, in ihre Gewalt, in ihre Angst, ihre Schmerzen. Er nimmt es auf sich, abgelehnt zu werden, angefeindet und verfolgt. Er geht in die Finsternis hinein. Aber genau das verwandelt sie. Ein Glanz von dem Licht, das er ist, bleibt dort. Er lässt einen Schein dort, der uns den Weg durch unsere Finsternis weisen kann. An keinem Ort der Welt, und sei er noch so schäbig und elend, sind wir allein. Auch in Damaskus nicht, oder in Juba oder Harrare. Dsser Sohn Gottes, der in unsere Schwachheit kam, erhellt sie durch seine menschliche Gegenwart.

Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns. Und wir sahen seine Herrlichkeit. Diese Herrlichkeit sieht man nicht auf den ersten Blick. Sie ist nicht so wie die der Könige, kein Gold, keine Paraden. Darum am Anfang der Stall und an seinem Ende das Kreuz. Seine Herrlichkeit scheint in der Schwäche auf, der Verletzbarkeit, der Niedrigkeit. Gott tut uns die Augen dafür auf. Gott selbst öffnet uns die Ohren, um sein Wort zu verstehen. Gott macht das Herz weit, um an ihn zu glauben. Er wartet auf Antwort. Und das alles tut er für uns, mit uns, durch uns.

„Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns.“ In diesen Sätzen liegt das Geheimnis Gottes. Ein Geheimnis, das nicht gänzlich zu ergründen ist. Ein Geheimnis, um dessen Wiederentdeckung im Evangelium wir zu suchen, zu ringen, zu beten haben. Das ist unsere reformatorische Grundhaltung: Wir können uns immer nur nähern. Wir dürfen uns aber in dieses Geheimnis nur betend bergen.
Im Anfang war das Wort – Am Anfang war das Wort.

Die reformatorische Summe zu diesem ersten Satz des Johannesevangeliums und des Claims des Reformationsjubiläums sehe ich zusammengefasst in der ersten und zweiten These der Barmer Theologischen Erklärung:

Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben.

Wie Jesus Christus Gottes Zuspruch der Vergebung aller unserer Sünden ist, so und mit gleichem Ernst ist er auch Gottes kräftiger Anspruch auf unser ganzes Leben; durch ihn widerfährt uns frohe Befreiung aus den gottlosen Bindungen dieser Welt zu freiem, dankbarem Dienst an seinen Geschöpfen.
Der Friede Gottes, der all unser Vermögen und all unsere Vernunft übersteigt, wird mit uns sein in Christus Jesus.