Sterbebegleitung - ein Hoffnungszeichen

Wolfgang Huber

Willy-Brandt-Haus Berlin

Laudatio bei der Verleihung des Gustav-Heinemann-Bürgerpreises an die Bundesarbeitsgemeinschaft Hospiz

In dem berühmten Fragebogen, der sich mit dem Namen Marcel Prousts verbindet, weil dieser französische Dichter ihn gleich zweimal im Leben ausgefüllt hat, kommt einer bestimmten Frage eine besondere Bedeutung zu: "Wie möchten Sie sterben?" Allen anderen Fragen kann man sich, wenn man will, spielerisch entziehen, dieser kaum. "Wie möchten Sie sterben?" Der Arzt und Kunstsammler Reiner Speck hat einmal auf diese Frage geantwortet: "Ohne es zu merken, in der Bibliothek". Mitten aus dem Leben möchten die meisten Menschen in den Tod übergehen, zu Hause, in vertrauter Umgebung, in der Nähe vertrauter Menschen.

Dieser Wunsch geht nur für die wenigsten Menschen in Erfüllung. In Deutschland sterben in jedem Jahr ungefähr 900 000 Menschen; weniger als ein Drittel von ihnen stirbt in der vertrauten Umgebung. Siebzig Prozent dagegen sterben in Krankenhäusern und Pflegeheimen. In vielen Fällen ist das notwendig. Doch die große Zahl ist auch ein Ausdruck für die Verdrängung des Todes. Man sucht Zuständige für das Sterben; Krankenhäuser gelten dann als zuständig, unabhängig davon, wie die Umstände sind und welche Art von Zuwendung die Sterbenden unter den Bedingungen des Krankenhauses erhalten können.

In manchen Bauernhäusern war noch bis in das vergangene Jahrhundert hinein ein bestimmtes Zimmer als Sterbezimmer vorbereitet: ein Ort für das Sterben mitten im Leben. Bei uns dagegen wird das Sterben an den Rand gerückt, verdrängt, zum Missgeschick erklärt, das mitten im Leben keinen Platz hat. Deshalb mag es auf manche sogar überraschend sein, dass der Gustav-Heinemann-Bürgerpreis in diesem Jahr den Umgang mit dem Sterben zum Thema hat. Dass dies ein Thema für Bürgerengagement ist, wie es Gustav Heinemann vorschwebte, mag für manche ein überraschender Gedanke sein. Dass die Achtung vor der Würde des Menschen das Bemühen um ein menschenwürdiges Sterben einschließt, ist nämlich noch viel zu wenig ins Bewusstsein gerückt. Hier setzt der heutige Tag ein klares Signal. Sage mir, wie Du mit dem Sterben umgehst; und ich sage Dir, wie Du es mit dem Leben hältst – so kann man das Signal dieses Tages verstehen. Oder anders gesagt: Wie eine Gesellschaft die Würde der Sterbenden achtet, zeigt auch etwas davon, wie sie über die Menschenwürde im Ganzen denkt.

Die meisten Menschen haben sich daran gewöhnt, so lange sie gesund sind, Krankheit und Siechtum, den plötzlichen Tod oder das langsame Verlöschen hinter Krankenhaus- und Heimmauern zu verdrängen. Krankheit und Sterben werden zu Vorgängen, die instrumentell beherrscht werden müssen. Die Medizin hat Möglichkeiten der Lebensverlängerung entwickelt, die auch die Wirklichkeit menschlichen Sterbens tiefgreifend verändert haben. Über lange Zeit können Menschen im Koma am Leben gehalten werden. Die Organtätigkeit hirntoter Menschen kann aufrechterhalten werden, um zum geeigneten Zeitpunkt Organe zur Transplantation zu entnehmen. "Der Umgang einer Kultur mit ihren Sterbenden und Toten erlaubt immer auch einen sicheren Rückschluss auf ihre Einstellung zu ihren Lebenden." Das hat Linus S. Geisler einmal gesagt. Heute steht zur Debatte, ob wichtige Einsichten unserer kulturellen und religiösen Tradition als kritische Maßstäbe für den Umgang mit neuen technischen, auch medizintechnischen Möglichkeiten zur Geltung gebracht werden können oder ob sie wegen dieser neuen technischen Möglichkeiten aufgegeben werden müssen. Lebensverlängerung und Sterbehilfe, Sterbebegleitung und Behandlungsverzicht, Organentnahme und Organtransplantation sind viel verhandelte Beispiele für dieses Problemfeld. Dieselbe Grundfrage meldet sich auch in der Entwicklung unserer Bestattungs- und Trauerkultur. Wenn in einer Stadt wie Berlin mehr als 30 Prozent der Bestattungen anonym erfolgen, dann ist das ein Indiz für einen Wandel, der nicht nur zu konstatieren ist, der auch nicht nur aufmerksame Beobachtung erfordert, sondern auf den ganz gewiss die Kirchen, aber nicht nur sie allein klar und sensibel zugleich antworten müssen.

Die gegenwärtigen medizintechnischen Entwicklungen gehören zu den großen Herausforderungen unserer Gegenwart, die uns immer wieder dazu nötigen, nach den ethischen Maßstäben zu fragen, die auch unter den Bedingungen einer pluralistischen Gesellschaft nicht aufzugeben, sondern zu bewahren und zu erneuern sind. Zu ihnen zählt auch die Einsicht, dass die Würde des Menschen das Recht einschließt, in Würde zu sterben.

Für diese Einsicht steht die Hospizbewegung. Sie ist die in meinen Augen wichtigste Antwort auf die Veränderung des Sterbens in unserer Gesellschaft. Sechsunddreißig Jahre ist diese Bewegung alt. Sie begehrt gegen die Verdrängung des Todes aus unserer Wahrnehmung auf. Sie will dazu helfen, dass Sterben wieder als eine Phase des Lebens und nicht etwa als ein vermeidbares Geschehen mit dem Missgeschick des Todes als Resultat verstanden wird.

1967 eröffnete die englische Ärztin, Krankenschwester und Sozialarbeiterin Cicely Saunders nach jahrzehntelangen Vorarbeiten in einem Londoner Vorort das erste Hospiz, St. Christopher's Hospice. Der Name knüpfte an mittelalterliche Traditionen an. Hospize waren ursprünglich Pilgerherbergen, die Menschen auf dem Weg zu ihrem Pilgerziel Herberge, Rast, Pflege und Stärkung anboten. Geborgenheit auf dem Pilgerweg zum Tod, Pflege und Stärkung auf der letzten Wegstrecke des Lebens: das ist der Sinn der Hospizbewegung in ihren ambulanten wie in ihren stationären Formen.

Die Nationale Hospiz-Organisation in den USA hat die Aufgabe so definiert: "Hospize bejahen das Leben. Hospize machen es sich zur Aufgabe, Menschen in der letzten Phase einer unheilbaren Krankheit zu unterstützen und zu pflegen, damit sie in dieser Zeit so bewusst und zufrieden wie möglich leben können. - Hospize wollen, den Tod weder beschleunigen noch hinauszögern. Hospize leben aus der Hoffnung und Überzeugung, dass sich Patienten und ihre Familien so weit geistig und spirituell auf den Tod vorbereiten können, dass sie bereit sind, ihn anzunehmen. Voraussetzung hierfür ist, dass eine angemessene Pflege gewährleistet ist und es gelingt, eine Gemeinschaft von Menschen zu bilden, die sich ihrer Bedürfnisse verständnisvoll annimmt."

Die christlichen Kirchen in Deutschland haben die Hospizbewegung von Anfang an gefördert. Eine erhebliche Zahl von Hospizen ist auf christlichem Hintergrund entstanden. In einer grundlegenden gemeinsamen Stellungnahme zum Schutz und zur Förderung des Lebens haben die Kirchen sich auch zum Hospiz geäußert. In dieser Stellungnahme, die 1989  unter dem Titel „Gott ist ein Freund des Lebens“ erschien, heißt es: „Begleitung des sterbenden Menschen wurde und wird durch ganz elementare Handreichungen wie durch tröstenden Zuspruch in vielen Familien praktiziert. Heute stellt sich die Aufgabe, diese Form der Sterbehilfe wieder stärker einzuüben und ihr auch in den Bereichen der professionellen Krankenbetreuung, also in den Krankenhäusern, den Pflegeheimen und der ambulanten Krankenversorgung, mehr Raum zu schaffen. In dieser Hinsicht hat die ‚Hospiz’-Bewegung wichtige Impulse und Anregungen  gegeben.“

Die Hospizbewegung knüpft bewusst an wichtige religiöse und kulturelle Traditionen an, die in unserer Gegenwart verschüttet zu werden drohen. Sie schließt sich an die Tradition der Sterbebegleitung und des Sterbebeistands an. In vielen Kulturen zählt die Sterbebegleitung zu den wichtigsten Aufgaben von Angehörigen gegenüber den ihnen nahestehenden Sterbenden. Diese Aufgabe wird im Rahmen der Hospizbewegung wieder entdeckt und in ihren Formen neu entwickelt. Den Angehörigen wird dabei Hilfe angeboten; wo Angehörige diese Aufgabe nicht wahrnehmen können, wird sie - in aller Regel ehrenamtlich - übernommen. Wo ein so begleitetes Sterben zu Hause nicht möglich ist, treten stationäre Hospize ergänzend hinzu.

Die veränderte Gesetzeslage seit dem 1. Juli 1997 hat den Weg zur Finanzierung von Hospizplätzen durch die Krankenkassen geöffnet. Seit dem Jahr 2002 ist den gesetzlichen Krankenkassen darüber hinaus die Bezuschussung ambulanter Hospizarbeit als Aufgabe zugewiesen worden. Die lange erwartete Ergänzung trägt dem Wunsch nach einer Sterbebegleitung zu Hause statt dem Sterben im Krankenhaus Rechnung. 95 Prozent der deutschen Bevölkerung wollen zu Hause in ihrer gewohnten Umgebung ihr Leben beenden. Tatsächlich sterben 70 Prozent in Krankenhäusern und in Pflegeheimen, weil die ambulante Versorgung noch immer mangelhaft ist. Der Vorrang der häuslichen Versorgung wird übrigens durch die Formel "ambulant vor stationär" in meinen Augen höchst unzureichend wiedergegeben. "Häuslich vor klinisch" würde besser beschreiben, worum es geht.

Die religiösen und kulturellen Dimensionen der Aufgabe, in deren Dienst sich die Hospizbewegung stellt, werden vielleicht am ehesten bewusst, wenn man nicht nur vom Sterben, sondern auch vom Tod redet. Der gestalteten Sterbebegleitung, für die Pflege und Gebet, leibliche und spirituelle Nahrung eine Einheit sind, entspricht in unserer eigenen Tradition eine bestimmte Weise des Umgangs mit dem Tod. Die Aussegnung von Gestorbenen, die Rituale der Bestattung und die Achtung der Grabesruhe zeigen, dass die Würde der menschlichen Person auch mit dem Tode nicht ausgelöscht ist. Die christliche Hoffnung auf die Auferstehung der Toten ist ein sprechender Ausdruck dafür, dass diese Würde nicht mit dem Verfall der körperlichen Funktionen an ein Ende kommt; die Trauer und die bleibende Erinnerung an die Toten ist ein Abglanz dieser Hoffnung. Wenn am Grab der Leichnam eines Menschen Gott überantwortet und die Hoffnung auf die Auferweckung verkündigt wird, dann wird noch einmal jene Instanz angerufen, die nach christlichem Verständnis die Würde der menschlichen Person in ihrem unantastbaren Charakter verbürgt: Gott, nach dessen Bild der Mensch erschaffen wurde. Es wird daran erinnert, dass die Würde des Menschen maßgeblich mit seinem Verständnis als Geschöpf zusammenhängt. Wird er dagegen nicht mehr als Geschöpf, sondern nur noch als Schöpfer, nicht mehr als Empfänger, sondern nur noch als Stifter seiner eigenen Freiheit verstanden, dann verliert auch seine Würde ihren radikalen Charakter. Aus einer reinen Gabe wird sie zu einem eigenen Produkt des Menschen, zum Resultat menschlicher Tätigkeit, herstellbar und abschaffbar wie alle anderen Erzeugnisse menschlicher Produktivität auch. Gerade im Blick auf Sterben und Tod ist es nicht bedeutungslos, ob der Mensch als Gegenüber Gottes, als von Gott angesprochene und ihm antwortende Person, oder als von Gott gelöstes, als "absolutes" Wesen verstanden wird.
Von Anfang an haben sich die Kirchen an der Hospizarbeit beteiligt. Das ist nahe liegend, weil in der christlichen Tradition der Beistand für Kranke und Sterbende als eines der sieben Werke der Barmherzigkeit gilt. „Ich bin krank gewesen, und ihr habt mich besucht“, heißt es deshalb in der biblischen Rede vom Weltgericht. Aber es gibt natürlich keinen Ausschließlichkeitsanspruch der Kirchen im Bereich der Hospizarbeit. Die Träger von Hospizen und ihre Motivation sind vielmehr breit gestreut. Aber sie sind in gleicher Richtung tätig. Sie sehen in der Sterbebegleitung, für die sie sich einsetzen, eine Haltung, die aktive Sterbehilfe ausschließt. Sie respektieren das Selbstbestimmungsrecht des Menschen auch im Sterben, sind aber davon überzeugt, dass Palliativmedizin und menschlicher Beistand so weit reichen können, dass Menschen vor dem verzweifelten Griff zur Selbsttötung oder vor dem Ruf nach aktibver Sterbehilfe bewahrt werden können. Sie fordern, die Möglichkeiten helfenden Handelns zu erweitern und zu fördern, statt die Beendigung menschlichen Lebens zu legalisieren. In der Tat: Die Ausweitung der Hospizarbeit und das Angebot, sich mit der Möglichkeit des Patiententestaments vertraut zu machen – beides zusammen ist  die richtige Antwort auf die Debatte um die aktive Sterbehilfe. Es hat mich in diesem Zusammenhang sehr beschäftigt, dass die „Christliche Patientenverfügung“, die wir im Jahr 1999 zum ersten Mal veröffentlicht haben, die mit großem Abstand am stärksten verbreitete kirchliche Veröffentlichung der letzten Jahre darstellt. 1, 3 Millionen Exemplare wurden innerhalb von wenigen Jahren nachgefragt. Gerade ist eine zweite Auflage erschienen, die vermutlich eine ähnliche Resonanz haben wird.

Das ist der Zusammenhang, in dem ich die Hospizarbeit sehe. Die verschiedenartigen Initiativen in diesem Bereich sind in Landesarbeitsgemeinschaften sowie in der Bundesarbeitsgemeinschaft Hospiz zusammengeschlossen. Es ist deshalb die Hospizarbeit im Ganzen und es sind die vielen Menschen, die sie tragen, gemeint, wenn die Bundesarbeitsgemeinschaft Hospiz heute den Gustav-Heinemann-Bürgerpreis 2003 erhält. Mit ihm werden all die Menschen geehrt und gewürdigt, die in Deutschland Sterbende begleiten. Die Hospizbewegung gehört nämlich inzwischen zu den bemerkenswerten Bürgerbewegungen in unserem Land. Sie ist durch eine besondere Entwicklungsdynamik geprägt. Im Jahre 1997 wurde die Zahl der Menschen, die in der Hospizarbeit tätig waren, mit 11.000 angegeben; fünf Jahre später, im Jahr 2002, waren es bereits über 40.000. Das ist ein Wachstum auf das Vierfache in fünf Jahren. Wir haben es also mit einer besonders schnell wachsenden Bürgerbewegung zu tun. Sie zeigt auf ihre Weise, was Bürgerengagement zu leisten vermag und was es zur Wahrung und Förderung von Menschlichkeit in unserer Gesellschaft beiträgt. Das entspricht in einer sehr überzeugenden Weise dem Sinn des nach Gustav Heinemann benannten Preises, der ja mit guter Absicht Gustav-Heinemann-Bürgerpreis heißt.

Wenn ich meinerseits so kühn sein darf, bestimmte Hoffnungen an die Verleihung dieses Preiseszu knüpfen, dann sind es vor allem die folgenden:

1. Ich hoffe, dass diese Preisverleihung dazu ermutigt, Grundfragen unseres Menschenbildes wieder mehr Raum zu geben. Heute geht es darum, nicht einer „Ethik der Interessen“ kampflos das Feld zu überlassen, die sich nur an der wirtschaftlichen Nützlichkeit orientiert, sondern uns auch in einer von Wirtschaft, Wissenschaft und Technologie geprägten Gesellschaft an der „Ethik der Würde“ auszurichten. Sie tritt dafür ein, dass der Mensch stets – also auch im Sterben – als Zweck in sich selbst und niemals bloß als Mittel zum Zweck betrachtet wird. Das Sterben nicht zu verdrängen ist das eine. Das andere aber ist, auch das Sterben an der Würde des Lebens teilhaben zu lassen und dafür einzutreten, dass der Respekt vor der Würde des Menschen auch seinen Tod umschließt.

2. Ich hoffe auf eine Ermutigung für die vielen Menschen, die ehrenamtlich im Hospizdienst tätig sind und die hauptamtlich zu seiner Ermöglichung, zur Ausbildung für diesen Dienst, zu seiner professionellen Unterstützung und zu seiner Organisation beitragen. Auf über 40.000 wird die Zahl der Menschen geschätzt, die derzeit in Deutschland im Hospizdienst tätig sind. Die allermeisten von ihnen tun diesen Dienst ehrenamtlich, 90 Prozent davon sind Frauen.

Ich habe von einer neuen Bürgerbewegung gesprochen. Man kann auch von einem Beitrag zu einer lebendigen Zivilgesellschaft reden, der sich auf ein grundlegendes Thema menschlicher Existenz richtet: die Frage nach Leben und Tod.

3. Ich hoffe auf ein neues Verständnis für die seelsorgerlichen, geistlichen, spirituellen Aufgaben im Zusammenhang mit Krankheit und Sterben. Wir haben in den letzten Jahrzehnten eine Professionalisierung der Seelsorge und psychologischen Betreuung im Krankenhaus erlebt. Die Notwendigkeit, dass diese Aufgaben professionell wahrgenommen werden, hat sich dabei eindrucksvoll gezeigt. Das gilt gerade für die Seelsorge an unheilbar Kranken und Sterbenden. Das muss auch für die Zukunft anerkannt werden. Auch unter pflegerischen und ärztlichen Gesichtspunkten sollte diese Dimension des Umgangs mit Kranken und Sterbenden in ihrer Bedeutung gewürdigt werden; auch bei der wirtschaftlichen Betrachtung der Krankenversorgung darf sie nicht unter den Tisch fallen. Darüber hinaus aber leistet die Hospizbewegung und die durch sie ermöglichte Ausbildung von Ehrenamtlichen einen unschätzbaren Beitrag zur Verbreiterung der Basis auch für den seelsorgerlichen Beistand für Kranke und Sterbende. Wer von der Hospizbewegung lernt, lernt damit auch, den Wert der seelsorgerlichen, geistlichen, spirituellen Zuwendung zu Kranken und Sterbenden zu beachten und ihr Raum zu geben.

4. Ich hoffe auf klärende Antworten zu den institutionellen Fragen der Hospizarbeit. So sehr zu begrüßen ist, dass es inzwischen einen "Zuschuss zur stationären oder teilstationären Versorgung in Hospizen" gibt, "in denen palliativ-medizinische Behandlung erbracht wird", so sehr muss doch unterstrichen werden, dass der häuslichen Sterbebegleitung der Vorrang zukommen muss. Der Hallenser Klinikseelsorger und frühere Vorsitzende der Bundesarbeitgemeinschaft Hospiz, Heinrich Pera, hat in diesem Zusammenhang den Wunsch ausgesprochen, dass nur fünf Prozent der Betroffenen stationär betreut werden, die anderen dagegen häuslich beziehungsweise ambulant. Ausdrücklich hat er vor einer "Gettoisierung der Patienten in Hospizen" gewarnt. Aber richtig ist auch: Es gibt Lebenssituationen, Krankheitsfälle und Pflegebedürftigkeiten, denen nur in Krankenhäusern, Pflegeheimen oder Hospizen entsprochen werden kann. Dafür, dass Menschen in der einen wie der anderen Situationen einen angemessenen Platz und den notwendigen Beistand finden und in Würde sterben können, trägt die Gesellschaft im Ganzen Verantwortung.

Zum 26. Mal wird heute der Gustav-Heinemann-Bürgerpreis verliehen. Die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft und die Bewahrung des Friedens, der Einsatz für Minderheiten und die Verständigung über Grenzen hinweg, das ermutigende Beispiel Einzelner und das gemeinsame Engagement von Gruppen wurden in den bisher 25 Jahren ausgezeichnet, in denen es diesen Preis der deutschen Sozialdemokratie bereits gibt. Heute erleben wir einen neuen Akzent: eine junge Bürgerbewegung wird gewürdigt, die auch noch das Sterben als Teil des Lebens begreift; Menschen werden ausgezeichnet, die anderen Menschen beistehen, damit sie in Würde sterben können. Ich freue mich darüber. Denn ich sehe in der Hospizbewegung ein Hoffnungszeichen für unsere Gesellschaft.