Grußwort des EKD-Ratsvorsitzenden anl. der Verleihung des Hanna-Jursch-Preises der EKD

Manfred Kock

Heidelberg

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Damen und Herren,

Bei der heutigen Festveranstaltung in dieser ehrwürdigen Alten Aula der Universität Heidelberg haben wir gleich zwei gute Gründe zum Feiern: Die Theologische Fakultät überreicht den Doktorandinnen und Doktoranden ihre Promotionsurkunden und würdigt damit ihre wissenschaftlich-theologische Arbeit. Und außerdem verleiht die Evangelische Kirche in Deutschland heute den Hanna-Jursch-Preis an eine ehemalige Doktorandin der hiesigen Fakultät, die vor einem Jahr an eben dieser Stelle ihre Promotionsurkunde entgegen genommen hat. Sie, verehrte Frau Dr. Kohler-Weiß erhalten den Hanna-Jursch-Preis für Ihre Dissertation "Schutz der Menschwerdung. Der Schwangerschaftsabbruch als Thema evangelischer Ethik im deutschsprachigen Raum seit 1950."

Die EKD vergibt den Hanna-Jursch-Preis heute zum zweiten Mal. Mit dieser Auszeichnung prämiert die Evangelische Kirche herausragende wissenschaftlich-theologische Arbeiten, die aus dem Bereich der theologischen Frauenforschung, der feministischen Theologie und den Gender-Studies in der Theologie kommen. Der Rat der EKD hat diesen Preis ausgelobt, um innovative Forschungsansätze aus den genannten Bereichen für alle Ebenen kirchlichen Handelns stärker fruchtbar zu machen. Dazu sollen zum einen herausragende Forschungsergebnisse einer breiteren Öffentlichkeit näher gebracht werden. Zum anderen geht es um eine stärkere Integration dieser Ansätze in den Lehr- und Forschungsbetrieb der Theologischen Fakultäten.

Unter der Überschrift "Was ist gute Theologie?" erscheint derzeit eine Rubrik in der Zeitschrift „Zeitzeichen“. Zur Fragestellung dieser Rubrik wurden bereits eine Reihe von Beiträgen veröffentlicht. Auch ich habe mich an dieser Diskussion beteiligt, denn das Nachdenken darüber, was gute Theologie sei,  lässt noch eine Reihe anderer, wichtiger Fragen ans Licht treten: Wie vermitteln Kirchen ihre Anliegen heute noch glaubhaft? Wie kann Theologie deutlich machen, dass sie relevant ist für Menschen in ihren unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten? Und woher gewinnt sie ihre Themen?

Die theologische Forschung aus der Perspektive von Frauen hat dazu in den letzten Jahrzehnten wichtige Impulse gegeben die heute unverzichtbar sind.
Die Deformationen und Reformationen der Kirchen sind das Material, an dem Theologie sich abarbeiten muss. Gute Theologie setzt den intensiven Umgang mit der Geschichte des Glaubens voraus, denn nur so entwickelt sich theologische Urteilsfähigkeit. Um das Evangelium für unsere Zeit zu deuten, muss man wissen, wie es in anderen Zeiten und Situationen verstanden wurde.

Die theologische Forschung aus der Perspektive von Frauen leistet dazu einen wichtigen Beitrag u.a. in dem sie darauf hinweist, dass die Geschichte des Glaubens nicht ernsthaft bearbeitet werden kann, ohne die unterschiedlichen Rollen von Frauen und Männern zu berücksichtigen. Für diese Fragestellung war Theologie bis in die jüngere Zeit blind. Sie hat nicht wahrgenommen, wie sehr Frauen in der Geschichte der Kirche und des Glaubens unterdrückt und benachteiligt waren und sie hat das spezifische Zeugnis des Glaubens von Frauen und deren theologisches Reflexionspotenzial "unter Brüdern" subsumiert. Gute Theologie muss sich der Aufarbeitung dieser Traditionen stellen und so zu einer geschlechtergerechten Gemeinschaft von Frauen und Männern beitragen.

Gute Theologie muss nicht nur ihre Überlieferung verstehen, sondern genauso die Situation kennen, in der sie heute Zugänge zum Glauben eröffnen will. Auf solchen Situationsbezug hat die feministische Theologie besonders hingewiesen. Die Erfahrungen der Menschen sind der Bewährungspunkt des Glaubens und von theologischen Aussagen.

Daher muss Theologie sehr bewandert sein im Denken und Handeln dieser Gesellschaft, in ihren politischen Mechanismen ebenso wie in ihren Alltagskulturen. Zu der Vielgestaltigkeit, die die Lebensumwelt und die Erfahrungen der Menschen prägen,  zählt das Geschlecht ebenso wie die soziale Herkunft, das Alter, die Ethnie, die Gesundheit und vieles mehr. Eine gute Theologie muss sich auf diese vielfältigen Erfahrungen beziehen, sie kritisch reflektieren und für sich nutzbar machen.

Gute Theologie muss also die Kontexte berücksichtigen, in denen sie entsteht und in die hinein sie spricht. Eine Theologie bei uns auf der Nordhalbkugel wird eine andere Sprache sprechen, als die Theologie im Süden. Sie wird sich mit anderen gesellschafts-politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auseinanderzusetzen haben, was sich besonders in Fragen der Ethik bemerkbar macht. Aber das macht gerade den Reichtum heutiger Theologie aus: die Fähigkeit, spezifische Fragestellungen und Analysen der gesellschaftlichen Lebensbedingungen mit einzubeziehen.

Die Arbeit von Dr. Christiane Kohler-Weiß zeigt deutlich, wie dies gelingen kann und welchen Gewinn Theologie daraus zieht. An dem schwierigen und in der Öffentlichkeit seit vielen Jahren heftig diskutierten ethischen Problem des Schwangerschaftsabbruchs veranschaulicht sie, wie wichtig es ist, ethische Grundsätze mit den gelebten Erfahrungen von Frauen und Männern zu verknüpfen, um zu tragfähigen ethischen Entscheidungen zu gelangen. Bislang konzentrierte sich die Normethik vor allem auf die Frage nach dem moralischen Status des Embryos. Die Arbeit der evangelischen Beratungsstellen orientierte sich dagegen an den Lebenszusammenhängen der Frauen im Schwangerschaftskonflikt. Mit ihrer Dissertation gelingt es Frau Dr. Kohler-Weiß, diese Kluft zwischen der sogenannten "Expertenethik" und den real stattfindenden Entscheidungsprozessen im Schwangerschaftskonflikt zu überwinden. Der Brückenschlag gelingt, indem sie die Perspektive von schwangeren Frauen in Konfliktsituationen als ethische Perspektive ernstnimmt und auf dieser Basis eine erfahrungsbezogene evangelische Ethik des Schwangerschaftskonflikts entwickelt. Die von uns ausgezeichnete Forschungsarbeit ist nicht nur wissenschaftlich brillant, sondern besticht auch durch ihre Sprache. Die Lektüre war auch mir ein großes Vergnügen. Diese Dissertation bietet alle Voraussetzungen, dass sie über den wissenschaftlichen Bereich hinaus Beachtung findet. Dabei ist sie nicht nur für Menschen von Bedeutung, die in beruflichen Zusammenhängen mit Schwangerschaftskonflikten zu tun haben, sondern bietet Lesestoff für alle, die sich mit ethischen Fragen befassen, nicht zuletzt für Frauen und Männer, die von Konfliktsituationen ganz persönlich betroffen sind.

Die Arbeit zeigt dabei exemplarisch, dass theologische Forschung aus der Perspektive von Frauen kein Sonderfeld der Theologie ist. Sie darf kein Nischendasein neben der sogenannten "eigentlichen Theologie" führen. Theologische Frauenforschung, feministische Theologie und Gender-Studies in der Theologie haben Querschnittsaufgaben, die jede theologische Fachdisziplin bereichern können. Sie sind im guten Sinne "eigentliche Theologie". Möge der Hanna-Jursch-Preis dazu beitragen, dass sich dieser Forschungszweig an den Universitäten und kirchlichen Hochschulen weiter etabliert.

Schließen möchte ich mit einem Gruß von Landesbischof Dr. Maier, der gerne an der Verleihung des Hanna-Jursch-Preises an eine Pfarrerin seiner Landeskirche teilgenommen hätte. Wegen eines langfristig feststehenden Termins im Ausland kann er heute aber leider nicht dabei sein und so hat er mich gebeten, Ihnen seine herzlichen Grüße zu übermitteln.