Wort zum Jahresbeginn in der ARD

Wolfgang Huber

Guten Abend, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer!

Was für ein Jahresbeginn!  Das Beben im Indischen Ozean hat viele Gewissheiten erschüttert, mit denen wir auf das neue Jahr zugehen wollten. Wir haben miterlebt, wie Lebenspläne von einer Sekunde auf die andere zusammenstürzten; das nimmt auch den eigenen Plänen die Sicherheit. Die Macht der Vernichtung hat in diesem Jahr stärker an uns gerüttelt als die Weihnachtsbotschaft. 

Unter den Todesopfern, Einheimischen und Fremden, sind auch deutsche Urlauber in erschreckender Zahl. Wir fühlen mit denen, die Tag für Tag um vermisste Angehörige bangen und hoffen. Die, die überlebten, können ihr Glück kaum fassen und haben doch das Unglück der anderen noch lange vor Augen. Das unvorstellbare Leid in Südasien bestimmt nicht nur die Gedanken und Gespräche. Es bestimmt vor allem unsere Gebete.

Über den Abgrund tausendfachen Todes führt für mich nur eine Brücke, die Gottvertrauen und Mitmenschlichkeit als ihre beiden Stützen hat. Mit dem Beter des Alten Testaments frage ich: Woher kommt mir Hilfe? Ich finde sie
bei Gott, der Himmel und Erde gemacht hat.  

Wir spüren, dass die „Sintflut“, von der die Bibel auf ihren ersten Seiten erzählt, auf wirklicher Erfahrung beruht, auf einem Geschehen, in dem die Natur ihre unbändige Gewalt in einem unvorstellbaren Ausmaß zeigt. Hier stößt der Mensch, der meint, über die Natur herrschen zu können, mit seinem Machtanspruch an eine Grenze.
 
Auch ich habe in den letzten Tagen mit der Frage gerungen, wie Gott den Tod so vieler Menschen zulassen kann. Ich kann es nachempfinden, wenn Menschen in einer solchen Lage an Gott zweifeln, ja verzweifeln. Und doch weiß ich keine andere Zuflucht aus diesem unbegreiflichen Leid als ihn. Ich glaube fest, dass Gott nicht den Tod, sondern das Leben will.  An ihn richte ich mein Gebet – an Gott, der sich uns Menschen in seiner Liebe zuwendet. An ihm will ich mich angesichts des unfassbaren Schreckens orientieren. Dann sehe ich nicht nur Unglück und Tod. Ich sehe auch Spuren und Zeichen der Liebe. Der unermüdliche Einsatz von Helferinnen und Helfern zeugt davon. Ihre großen und kleinen Spenden tragen bei zu einer Brücke der Menschlichkeit. Die angekündigte Partnerschaft beim Wiederaufbau der betroffenen Länder weist in diese Richtung.

Wir alle kennen solche Zeichen der Liebe, solche Brücken aus Gottvertrauen und Mitmenschlichkeit.

Ein sechsjähriger Junge wird gezeigt, wie er schwer verletzt in einem Krankenhaus liegt. Name und Herkunft sind unbekannt. Doch Freunde aus seinem Sportverein erkennen ihn. Sie greifen sofort zum Telefon und teilen mit, was sie wissen. Eine Brücke wird geschlagen.

Eine Flugbegleiterin sammelt  in ihrem Bekanntenkreis dreißig Koffer mit Hilfsgütern und nimmt sie mit auf den Flug in das Katastrophengebiet . Eine Brücke der Nächstenliebe.

Ich hoffe, dass Mitgefühl und Verantwortungsbereitschaft unter uns so stark und groß bleiben wie jetzt, unmittelbar nach der Katastrophe. Auch über diese Tage hinaus, so hoffe ich, weisen uns Gottvertrauen und Mitmenschlichkeit  die Richtung. Dann werden Mitleid und Achtsamkeit füreinander das neue Jahr prägen. Und neben die Sorgen um unsere eigene Zukunft tritt die lebensbedrohende Not in anderen Erdteilen. Wir  lernen wieder, auf die Maßstäbe zu achten.

Ich wünsche Ihnen ein gesegnetes Neues Jahr: Bleiben Sie behütet!