Predigt in der Antoniterkirche zu Köln aus Anlass des WJT (Mt 16, 13-19)

Manfred Kock

Der Fels auf dem die Kirche gegründet ist

„ Benedetto, Benedetto“ skandieren Tausende junger Leute aus aller Welt bei der Ankunft des Papstes und immer, wenn er sich der Menge zeigt. So war es auch gestern Abend auf dem Marienfeld und so wird es auch zu dieser Stunde sein, wenn 1 Million junger Menschen sich zur Messe versammeln. Dem Papst scheint es zu gefallen, ohne dass es ihm behaglich wäre. Denn immer wieder sucht er die Aufmerksamkeit der jungen Leute auf die Mitte des Glaubens zu lenken, auf den Christus. Den anzubeten waren die jungen Leute nach Köln eingeladen. Und Hunderttausende sind der Einladung gefolgt.

Eindrücklich war der Besuch des deutschen Papstes in der Kölner Synagoge. Der Rabbiner hat ihm auf eine bewegende Weise als eine Geste der Versöhnung die Hand gereicht. Und der Papst hat die Versöhnungsgeste angenommen, hat das gemeinsame jüdische Erbe unterstrichen und nach dem Schrecken des von Deutschen verbrochenen Holocaust den Kampf gegen den Antisemitismus zur gemeinsamen Sache erklärt. Den zentralen Glaubensunterschied, nämlich das Christusbekenntnis hat er nicht überspielt.  Gerade weil die Unterschiede wichtig sind, bedürfe Zusammenleben der Religionen des intensiven Dialoges.
 
Das gemeinsame Christusbekenntnis war dann das Verbindende bei der Begegnung des Papstes mit den Vertretern der Orthodoxen und der Evangelischen Kirchen. Nicht Rückkehrökumene ist nach Papst Benedikt das Ziel der ökumenischen Bemühungen, sondern die Annahme der Verschiedenheit. Diese Passage hatte der Papst in den vorbereiteten Text eingefügt. Sie ist ein hoffnungsvolles Zeichen für die Zukunft. Hoffen wir also, dass es voran geht mit dem Dialog zwischen den Konfessionen.
 
Viele fragen, ob wir als nicht neidisch wären. Denn  der Papst, der gegenwärtige wie der Vorgänger, vermag so viele junge Leute aus aller Welt zu mobilisieren; die Medien sind seit Wochen voll von Berichten über den WJT. - Zu Neid besteht kein Anlass. Wir Evangelischen haben keinen Papst, und wir brauchen ihn auch nicht, um Kirche Jesu Christi zu sein. Mag die bunte, sich medial inszenierenden römischen Amtskirche in den Augen der Welt auch attraktiver sein, das jedenfalls wäre kein Argument, sich als evangelische Kirche daran anzuhängen.  Für das Selbstverständnis der römisch-katholischen Kirche jedoch ist das Papstamt unaufgebbar. Von  ihm her leitet sich das Verständnis vom priesterlichen Amt ab. Daher muss es künftigen ökumenischen Gesprächen hier ansetzen und das Verständnis von Kirche miteinander abklären. Denn hier ist die eigentliche Hürde zwischen den Konfessionen im unterschiedlichen Verständnis vom kirchlichen Amt, genauer: im Verständnis von apostolischer Sukzession, also der Vorstellung der buchstäblichen ununterbrochene Weitergabe des Amtes durch Handauflegung seit der Zeit der Apostel. Das ist für die römische Kirche das entscheidende Kennzeichen der Kirche im eigentlichen Sinn. Darum gilt der Bischof von Rom als unfehlbares Oberhaupt in Fragen der Lehre und des Lebens.

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Heute möchte ich als Predigttext den Abschnitt heranziehen, auf den die katholische Theologie sich bezieht, um das Papstamt biblisch zu begründen.
 
Mt 16,13-19

Das Bekenntnis des Petrus und die Verheißung an ihn
13 Da kam Jesus in die Gegend von Cäsarea Philippi und fragte seine Jünger und sprach: Wer sagen die Leute, daß der Menschensohn sei?
14 Sie sprachen: Einige sagen, du seist  Johannes der Täufer, andere, du seist  Elia, wieder andere, du seist Jeremia oder  einer der Propheten.
15 Er fragte sie: Wer sagt denn ihr, daß ich sei?
16 Da antwortete Simon Petrus und sprach:  Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn!
17 Und Jesus antwortete und sprach zu ihm: Selig bist du, Simon, Jonas Sohn;  denn Fleisch und Blut haben dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im Himmel.
18 Und ich sage dir auch: Du bist Petrus, und auf diesen  Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen.
19 Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben:  alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein.
Eine Sprechszene ist das. Wer sagen die Leute, dass ich sei? fragt Jesus. Sie sagen: Einige sagen so die anderen so. Johannes der Täufer oder Elia oder Jeremia oder ein Prophet. Und dann aber: Wer sagt denn ihr, dass ich sei? Da antwortete Simon Petrus und sprach:  Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn!

Und Jesus antwortete und sprach zu ihm: Selig bist du, Simon, Jonas Sohn;  denn Fleisch und Blut haben dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im Himmel.

Gott hat das Herz geöffnet für diese Erkenntnis.
Auf diesem Felsen will Jesus seine Gemeinde bauen, der Name Petrus ist Symbol für den Grund, auf dem die Kirche stehen wird. Und der Schlüssel zum Himmelreich ist damit verbunden.

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Die römische Kirche nutzt diese Schriftstelle, das Petrusamt zu begründen. Die Zusage an Petrus ist gleichsam automatisch auf seine Nachfolger übertragen. Der ganze Machtanspruch des apostolischen Amtes über die Seelen der Gläubigen wird hier festgemacht. Hier liegt nach römischer Deutung der Schlüssel zum Himmelreich. Die in dieser Tradition geweihten Priester verfügen gleichsam über das ewige Heil der Menschen, wenn sie binden und lösen, verurteilen und freisprechen.

Die evangelische Kirche nimmt dagegen für sich in Anspruch, die biblische Überlieferung des Glaubens an den in Jesus Christus offenbarten Gott zu wahren, ohne auf das Papstamt angewiesen zu sein. Nach biblischem Verständnis der Wahrheit und der Freiheit des Evangeliums ist es Christus, der als das Haupt die Kirche leitet; für ihn gibt es keine irgendwie geartete Form der Stellvertretung. Außer der Stellvertretung, die jeder getaufte Christ und jede getaufte Christin wahrzunehmen hat, den Christus und seine Botschaft in Wort und Tat in die Welt zu tragen. Die Zusprüche an Petrus in Matth. 16, 17-19 ‚Du bist der Fels, auf dem ich meine Kirche baue‘ und Joh. 21, 15 ff. (‚weide meine Lämmer‘)  gelten der ganzen Kirche und sind in allen ihren Ämtern wirksam. Eine Hierarchie der Ämter, wie auch ein historischer Nachfolgeautomatismus, findet sich in der Überlieferung der Heiligen Schrift nicht. Kriterium für die Christusnachfolge ist das Bekenntnis, wie es Petrus gesprochen hat, nicht aber Petrus selber als Bekenner.

Gleich nach unserem Abschnitt im Matthäusevangelium muss Jesus den  Petrus zurechtweisen, weil er den Leidensweg Jesu verhindern will: „Geh weg von mir, Satan! Du bist mir ein Ärgernis. Du meinst nicht, was Göttlich ist, sondern was Menschlich ist“. Petrus ist nicht der Grund auf dem wir mit unserem Glauben stehen, er ist vielmehr ein Beispiel für jeden  und jede von uns, wenn wir bekennen, wozu wir gehören: Christus, der gekreuzigt wurde und lebendig ist. Darauf gründet alles, was Kirche zur Kirche macht. Gebunden an Gottes Gebot, aber befreit durch die Vergebung allein durch den Glauben. „Einen anderen Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist: Christus“.

Das ist der neue Lebensgrund. Die darauf sehen, sind befreit aus Sünde und Schuld. Ich erinnere daran, wie diese tröstende Erkenntnis Luthers gleichsam ein Befreiungsschlag für die Kirche geworden ist. Der Kirche Petri darf es nicht mehr erlaubt sein, über das Schicksal von Menschen und Völkern zu bestimmen. Darf nicht mehr eine Art von Gottesfurcht einflößen, die das Gewissen der Menschen, das Denken und Glauben überwacht und prüft.

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Die Kirche als Ganze ist ja ein sehr durchwachsener Haufe. Gerade die Menschen in der Leitungsverantwortung sind von Anfang an sehr fragwürdige Gestalten gewesen. Das fing mit Petrus schon an, dem Verleugner, der vor der Kreuzigung Jesu die Flucht ergriff. Und auf seinem Stuhle haben viele gesessen, die alles andere waren als Vorbilder der Gemeinde. Bei allem Respekt vor den jeweiligen Amtsträgern, nach evangelischem Verständnis lebt die Kirche immer von den wenigen, deren die geistesgegenwärtig das Christusbekenntnis wagen als Zeichen für die Welt. Das kann auch ein überzeugender Papst sein, aber ebenso jeder einfache Christenmensch, Mann oder Frau. Zeugen und Zeuginnen des lebendigen Christus. Petrus als Person ist nicht trotz seines Versagens, sondern gerade wegen seiner Glaubensniederlagen glaubwürdig, wenn er den einzigen Glaubensgrund bekennt, nämlich den Christus, Gottes Mensch gewordene Liebe.

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Eins ist doch an Petrus vorbildlich. Er jedenfalls scheut sich nicht, das Bekenntnis zu sagen, an das er glaubt. Ich will nicht oberflächlich urteilen, aber im Lebensalltag der Menschen, sind Bekenntnisse schwer. Denn wer einen Glaubenssatz öffentlich spricht, wird gleich auf seine Glaubwürdigkeit getestet. Und darum meint er,  mit seinem Bekenntnis müsse er  das ganze Leid der Welt wie Atlas den Globus auf den Schultern tragen. Die Lasten des Bekenntnisses sind schwer. Aber dennoch gibt es immer wieder auch die andere Erfahrung: Das Bekenntnis kann befreien, die ganze Verlogenheit der Alltagswelt einmal abzuwerfen, nicht mehr mitzumachen beim Jagen nach Mammon und anderen Götzen. Ich bin sicher: Bei vielen der jungen Leute auf dem Marienfeld ist das das tiefe Motiv ihrer Pilgerreise: Loskommen von der Oberflächlichkeit und dem Göttlichen näher kommen. Die Gemeinschaft bestärkt sie gerade darin. Mag auch viel Personenkult darein gemischt sein, viel Eventbedarf, der Weg soll ein Weg zum Christus sein.

Es ist gut, wenn möglichst viele der auch in der Tradition unserer Kirche aufwachsenden jungen Leute immer wieder Gelegenheiten haben, dass sie an einem Ganzen teilhaben. Die Kirchentage sind solche Gelegenheiten ja auch. Wir brauchen Erlebnisse für Kopf und Herz, für Leib und Seele. Wir brauchen „Frömmigkeit“, nicht heuchlerische Formalitäten, sondern erfüllte Praxis: Beten, Schweigen, Singen, Tanzen, Fasten, Feiern… Wo einzelne und Menschen gemeinsam sich vor Augen stellen: Ich lebe, doch nicht ich, sondern Christus in mir. Das ist nicht Flucht in die Innerlichkeit. Das ist vielmehr endlich das Ende der Flucht vor sich selbst. Sich dem eigenen ICH zustellen und die Welt mit den Augen Jesu zu sehen, sie auch unter diesem Blick zu ändern, wo immer es geht, das ist Freiheit des Geistes, das ist Leben auf dem Felsen. Darin ist ein jeder, der getauft ist, Papst, Bischof und Priester, wie Martin Luther gesagt hat.

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Darüber wird das ökumenische Gespräch in Zukunft gehen müssen. Und in dieses Gespräch bringen wir aus den unterschiedlichen Kirchen unseren geistlichen Reichtum ein. Kardinal Ratzinger, als er noch nicht Papst war, hat einmal in einem Interview gesagt: "Der richtige Streit wäre es doch, wenn uns die evangelischen Freunde sagen würden: Wir sehen Kirche anders, ... nicht so sehr in den Institutionen, auch nicht in der apostolischen Nachfolge. Die Frage ist ..., wo und wie die Kirche besteht und nicht besteht". Das ist ein guter und wichtiger Ansatz für die Zukunft

Die Kirche hat in ihrer Geschichte faktisch immer im Plural existiert, von der Zeit des Neuen Testamentes an. Nach evangelischem Verständnis kann die Kirche überhaupt nur im Plural existieren. Ein evangelisches Konzept für die Einheit der Kirche konzentriert sich (mit Artikel VII der Confessio Augustana) auf das Wesentliche: "Das genügt zur wahren Einheit der christlichen Kirche, dass das Evangelium einträchtig im unverfälschten Verständnis gepredigt und die Sakramente dem göttlichen Wort gemäß gereicht werden ...: 'ein Leib und ein Geist, wie ihr berufen seid zu einer Hoffnung eurer Berufung, ein Herr, ein Glaube, eine Taufe' (Epheser 4,4f)".

In einem evangelischen Konzept für die Einheit der Kirche gehören Einheit und Vielfalt konstitutiv zusammen. Vielfalt verlangt unterschiedliche Profile. Vor allem die evangelische Kirche muss mehr tun für eine klare Profilierung: Wir sind "evangelisch aus gutem Grund". 

[Die evangelische und die katholische Kirche können viel gemeinsam machen, aber sie müssen nicht alles gemeinsam machen. Durch sparsameren Gebrauch wird der Wert einer Sache unter Umständen nicht verringert, sondern gesteigert. Gemeinsames Auftreten erzielt im politischen und gesellschaftlichen Raum im Allgemeinen eine stärkere Wirkung. Vor allem aber erleben evangelische und katholische Christinnen und Christen, auch evangelische und katholische Kirche auf diese Weise, wie nahe sie sich sind.]

Die ökumenische Bewegung lebt von der Vision der wachsenden Einheit der Kirchen. Diese Vision ist geboren aus dem Gebetswunsch Jesu Christi: „Heilige sie in der Wahrheit ... damit sie alle eins seien“ (Joh 17, 17.21.). Wir leben gemeinsam in einer Welt und glauben die eine heilige, allgemeine, apostolische Kirche. Wo immer Christinnen und Christen danach streben, die Trennung der Kirche Jesu Christi in Konfessionen und nationale Kirchen zu überwinden, wirkt ihre Vision auf die bestehenden kirchlichen Verhältnisse ein. Die Phantasie des Glaubens weitet den Blick über die spröde Gegenwart hinaus. Zukunftsbilder scheinen auf, die Mut machen, die eine Kirche zu glauben.

Der besondere Auftrag der reformatorischen Kirchen für den ökumenischen Dialog, aus ihrer Tradition vor allem drei Schwerpunkte zu betonen:

Botschaft von der Rechtfertigung

Das bedeutet, unser Scheitern und unsere Schuld haben nicht das letzte Wort. Gott hat uns lieb - egal, woher wir kommen und was wir gelten. Das ist besonders wichtig zu vermitteln in einer Welt, in der offenbar alles darauf ankommt, was man tut und macht und besitzt.

Botschaft von der Freiheit eines Christenmenschen

Wir unterliegen keinen klerikalen Zwängen, keiner religiösen Bevormundung. Kirche ist „Anwältin der Freiheit“ und bezeugt die Freiheit als Verantwortung für die Welt.

Priestertum der Gläubigen

„Kirche ist Gemeinschaft von Brüdern und Schwestern“ (Theologische Erklärung von BARMEN 1934). In ihr gibt es keine hierarchischen Bindungen. Die organisatorischen Strukturen begründen keine Herrschaft von oben nach unten. Der Gegensatz von Geistlichen und Laien muss überwunden werden. Die Welt ist der Ort, wo die christliche Existenz gelebt wird. Der Alltag ist der Ort, an   dem  Christen ihrer Berufung  und ihrem Beruf entsprechend leben.

Wünschen wir also den Jungen Leuten, die zum WJT gekommen sind, dass sie das Fundament ihres Glaubens deutlich spüren und gestärkt in den Alltag zurückkehren!