Tischrede zur Eröffnung des Studienzentrums der EKD für Genderfragen in Kirche und Theologie

Irmgard Schwaetzer

Sehr verehrte Anwesende, liebe Schwestern und Brüder,

gäbe es keine Synoden in der Evangelischen Kirche, wäre sie also nicht demokratisch verfasst, würden wir heute vermutlich nicht hier beisammen sein. Vor 25 Jahren war es die Synode der EKD, die damals mit den Bad Krozinger Beschlüssen unter anderem die Gründung eines Frauenstudien- und Bildungszentrums der EKD auf den Weg brachte. Wir eröffnen mit diesem Festmahl die Nachfolgerin – das Studienzentrum für Genderfragen in Kirche und Theologie. Auch an der Schaffung dieser neuen Struktur hat die Synode Anteil genommen und hat den Prozess der inhaltlichen Neuorientierung in den letzten Jahren mit wachem Interesse begleitet.  Kurzum, es sind vor allem die Synoden, die Fragen der Geschlechtergerechtigkeit in die Kirche eingebracht haben und bis heute präsent halten. Und es waren und sind nicht nur die Synoden auf EKD-Ebene, auch in den Landeskirchen und Kirchenkreisen setzten die Synoden entscheidende Impulse.

Die Gemeinschaft von Männern und Frauen oder, wie es heute heißt, das Verhältnis der Geschlechter zueinander ist also wesentlich ein synodales Thema. Aber warum geben die Synoden den Geschlechterfragen einen solchen Stellenwert?

Weil sich die Synoden aus der Mitte der Gesellschaft zusammensetzen, können sie die gesellschaftlich aktuellen Themen, die die Menschen in den Gemeinden bewegen, auch in die Kirche hineintragen. Das bringt der Kirche mitunter den Vorwurf ein, sich dem Zeitgeist anzupassen. Es führt überdies immer wieder zu recht kontroversen Diskussionen, denn auch unter evangelischen Christen und Christinnen werden verschiedene Positionen vertreten. Aber genau dieses Ringen um gemeinsame Positionen gehört zum evangelischen Profil. Statt vorgefertigter Lehrmeinungen müssen wir selbst auf der Grundlage des Evangeliums nach evangelischen Antworten auf die relevanten Fragen der heutigen Zeit suchen. Wie gut! Denn das hält die evangelische Kirche in der Mitte der Gesellschaft. Daher können wir uns Diskussionen über Geschlechtergerechtigkeit und den Umgang mit neuen Lebensformen nicht ersparen. Und wir sollten es auch der Gesellschaft nicht ersparen unsere Beiträge aus christlicher Perspektive zu formulieren und in den gesellschaftlichen Diskurs einzubringen.

Indem die Synoden aktuelle Fragen wie die nach dem Verhältnis der Geschlechter aufgreifen, halten sie die Kirche also nicht nur auf Trab, sondern auch am Puls der Zeit. Das hat erst jüngst die Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU) erneut bestätigt. Auf die Frage, was sie mit der Evangelischen Kirche verbinden, antworten viele Befragte, dass Pastorinnen typisch evangelische Personen seien. Pastorinnen sind also heute evangelischer identity marker, um es neudeutsch zu formulieren. Innerhalb weniger Jahrzehnte sind sie von der geduldeten Ausnahme zum Markenzeichen und Aushängeschild der Evangelischen Kirche avanciert. Die in vielen Landeskirchen begangenen Jubiläen der Frauenordination zeugen davon, dass auch innerhalb der Institution das Bewusstsein für diesen Schatz der Kirche gewachsen ist.

Viel hat sich getan in den letzten Jahrzehnten.

So mancher Impuls, den die EKD-Synode vor 25 Jahren gegeben hat, hat Früchte getragen, manches steht noch aus. Die ausgewogene Besetzung von Leitungs- und Führungspositionen etwa, die bereits damals verabschiedet wurde.„Die Synode“, hieß es damals im Beschluss, „sieht einen Anteil von mindestens 40% Frauen als Zielvorgabe an, die in zehn Jahren erreicht werden sollte.“ In einem angesessenen zeitlichen Rahmen sei darüber hinaus eine paritätische Besetzung der Leitungs- und Beratungsgremien der EKD anzustreben. Diese freiwillige Selbstverpflichtung konnte in den letzten 25 Jahren nicht vollbefriedigend realisiert werden. Die aktuelle EKD-Synode verabschiedete daher im vergangenen Jahr ein Gremienbesetzungsgesetz und bekräftigte damit ihren Willen, Geschlechtergerechtigkeit auch in den Strukturen der Kirche sichtbar werden zu lassen. Ein noch unerfülltes Ziel bleibt indes die ausgewogene Repräsentanz beider Geschlechter in Leitungspositionen von Kirche und Diakonie. Daran weiter zu arbeiten, ist eine Zukunftsaufgabe. Dafür müssen nicht zuletzt auch die Strukturen der Leitungsämter verändert werden, damit sie für Frauen und Männer mit modernen Lebensentwürfen attraktiv sind.

Die Synoden halten die Kirchen auf Trab und damit am Puls der Zeit. Das ist keine Anbiederung an den Zeitgeist, sondern setzt die reformatorische Erkenntnis um, dass es des beständigen Austauschs über Reformen in Kirche und Gesellschaft bedarf. Eines Austausches, der in der synodalen Struktur der Kirche institutionalisiert ist, der aber auch vom neuen Studienzentrum für Genderfragen angeregt und gepflegt werden soll. Zum Beispiel mit der Weiterentwicklung des Formats der Frauenmahle im Rahmen der Reformationsdekade, wozu der heutige Tag einen guten Auftakt gibt. Ich freue mich über diese Initiative im Rahmen des Reformationsjubiläums. Die landauf, landab gehaltenen Tischreden bereichern die Feierlichkeiten um notwendige Zukunftsperspektiven. Hier wird deutlich, dass die Reformation kein einmaliges historisches Ereignis war, sondern zugleich ein tief im Bewusstsein und den Strukturen der Evangelischen Kirche verankertes Selbstverständnis.

Geschlechterfragen sind Zukunftsfragen. Als Gesellschaft und Kirche werden wir auch weiterhin um das gleichberechtigte Miteinander von Männern und Frauen ringen. Die aktuellen Diskussionen um Quoten, Lebensformen und Familienbilder machen das deutlich. Ich wünsche mir, dass das Studienzentrum uns mit seiner Fachkompetenz dabei unterstützt und neue Impulse verbreitet. Kurzum, ich wünsche mir vom Studienzentrum, dass es die Kirche im besten reformatorischen Sinn auf Trab und damit am Puls der Zeit hält.