Kirchen fordern grundlegende und tiefgreifende Reformen

EKD und Deutsche Bischofskonferenz legen gemeinsame Erklärung zur Alterssicherung vor

Grundlegende und tiefgreifende Reformen bei der Alterssicherung mahnen die beiden großen Kirchen in Deutschland an. Sie leisten damit ihren spezifischen Beitrag zur aktuellen Rentendebatte. Er besteht nicht darin, im politischen Streit um Einzelfragen Partei zu nehmen. Die Kirchen sehen vielmehr auch bei diesem Teilbereich des wirtschaftlichen und sozialen Lebens ihre Aufgabe darin, Politik möglich zu machen. Reformen bei der Alterssicherung "müssen mehr sein als ein Kurieren an Symptomen". Anders sei die Finanzierungskrise auf lange Sicht nicht zu bewältigen. "Es muss zu Weichenstellungen kommen, die von Verantwortung und Weitsicht bestimmt sind," heißt es in einer gemeinsamen Erklärung zur Alterssicherung, die am 24. Juni veröffentlicht wurde. Die Finanzierungskrise der Alterssicherung zwinge langfristig zu Veränderungen, die weiter gehen als das, was von der Politik gegenwärtig angestrebt wird.

Überlegungen, die Gesetzliche Rentenversicherung in Deutschland abzuschaffen und durch ein kapitalgedecktes System zu ersetzen, erteilen die Kirchen eine klare Absage. Die Rentenversicherung sei Ausdruck der Solidarität zwischen den Generationen. Diese Solidarität müsse jedoch neu balanciert werden.

Auch mit ihrer Forderung nach Beitragsäquivalenz widersprechen die Kirchen dem Ruf nach einer Reduzierung der Alterssicherung auf eine bloße Basissicherung. Wer höhere Beiträge zahlt, soll im Alter mehr bekommen als der, der geringere Vorleistungen erbringt. Die "Vorleistungsgerechtigkeit" müsse gewahrt sein.

Alterssicherung sei eine gemeinsame Aufgabe; alle Seiten müssten an diesen Lasten gemeinsam in gerechter Aufteilung mittragen: die Beitragszahler, die Rentner, die Steuerzahler, die Betriebe. Das bedeute auch, dass alle Erwerbstätigen in die Verantwortung einbezogen werden müssen, auch die Beamten und Selbständigen.

Ebenso wichtig sei eine Vergewisserung über Wesen und Logik des Generationenverbundes, den Bedingungszusammenhang zwischen Eigenverantwortung und wirksamer Solidarität in der Alterssicherung sowie einen Gerechtigkeitsbegriff, der sich auch auf die Gerechtigkeit zwischen den Generationen bezieht. Die Kirchen wollen mit ihren "Grundorientierungen und zentralen Eckpunkten" sowohl die "Verlässlichkeit und Vorhersehbarkeit" der Alterssicherung als auch den Grundsatz der Gerechtigkeit zwischen den Generationen stärken. "Die Tatsache, ob eine Generation viele oder wenige Kinder bekommen hat, hat Folgen für das System der Alterssicherung." Eine Generation mit einer geringeren Nachkommenschaft könne im Rahmen einer obligatorischen Alterssicherung nicht Renten in gleicher Höhe beziehen wie eine Generation mit zahlreicher Nachkommenschaft. Die Rentenformel benötige daher einen deutlichen Ausgleichsfaktor. Da die Zahl der Kinder in den letzten Jahrzehnten stark zurückgegangen ist, dürfen die Lasten nicht tendenziell einer Generation - nämlich der jüngeren - aufgebürdet werden. Dies auszusprechen und entsprechend zu handeln gehört zu dem "Mut zur Wahrheit", den die Erklärung der Kirchen fordert.

"Wenn es darum geht, den Lebensstandard im Alter zu erhalten und einen sozialen Abstieg im Rentenfall zu vermeiden, muss es" - so heißt es in der Erklärung - "neben der gesetzlichen Alterssicherung weitere zusätzliche Sicherungen geben." Es müssten Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit der einzelne in Eigenverantwortung eine private Zusatzversorgung aufbauen kann. Es gebe deshalb für den einzelnen eine Pflicht zur Eigenverantwortung und für die Gesellschaft eine Verpflichtung, ihm dabei zu helfen.

Als weitere Säule sollte die betriebliche Alterssicherung ausgebaut werden, denn Alterssicherung bezieht in die gemeinsame Verantwortung auch die Wirtschaft ein. In Deutschland bestehe hier ein großer Nachholbedarf. "Es sollten daher Maßnahmen getroffen werden, die den Betrieben ein Engagement bei der betrieblichen Mitverantwortung für die Alterssicherung dringend nahe legen. Die steuerlichen Rahmenbedingungen müssen so ausgestaltet werden, dass die Betriebe - unter ihnen vor allem auch die kleinen und mittelständischen Betriebe - ihre Mitverantwortung auch wahrnehmen können."

Frauen erhalten in vielen Fällen immer noch keine eigenständige soziale Sicherung, die ihren besonderen Biographien und einem gewandelten Rollenverhalten Rechnung trägt. Ihr Beitrag zum Generationenvertrag durch die Kindererziehung werde zu wenig honoriert. Eine Neuregelung der Versicherungspflicht sollte deshalb auch die Einführung einer je eigenständigen sozialen Sicherung und einer persönlichen Rentenbiographie umfassen. Hier gehe es auch um Chancengleichheit. "Frauen haben in der Regel geringere Einkünfte als Männer und arbeiten in vielen Fällen in Teilzeitjobs oder sind alleinerziehend." Sie haben auch oft nicht die notwendige Ressourcen für eine eigenständige Sicherung. "Auch hier wird deutlich, wie notwendig eine Verbesserung ihrer Chancen ist."

Das Renteneintrittsalter gehöre in die Diskussion und dürfe nicht tabuisiert werden. Die Welle der exzessiven Frühverrentungen dürfe sich nicht fortsetzen. Wer dennoch früher in Rente geht, müsse Abschläge hinnehmen.

Um Armut im Alter zu verhindern, müsse der Staat Versorgungslücken für diejenigen schließen, die wegen geringen Einkommens, unterbrochener Versicherungsbiographien, Arbeitslosigkeit oder Kindererziehung zeitweise keine Beiträge in ausreichender Höhe einzahlen konnten. Deshalb müsse eine Mindestsicherung geschaffen werden, unter Umständen eine, bei der Beiträge zur Alterssicherung aufgefüllt werden.

Hannover/Bonn, 24. Juni 2000
Pressestelle der EKD
Pressestelle der Deutschen Bischofskonferenz