Stellungnahme des Bevollmächtigten des Rates der EKD zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung

Prälat Dr. Stephan Reimers

Der Bevollmächtigte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) am Sitz der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union, Prälat Dr. Stephan Reimers, Berlin, begrüßt in seiner schriftlichen Stellungnahme zur heutigen Anhörung des Bundestagsausschusses für Arbeit und Sozialordnung, dass die Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung sich der dringlichen Aufgabe stellen, die gesetzliche Altersvorsorge an veränderte demographische Verhältnisse anzupassen, also die Finanzierbarkeit künftiger Rentenansprüche auch bei einem - infolge rückläufiger Geburtenzahl und steter Steigerung der Lebenserwartung - deutlich höheren Anteil der älteren Bevölkerung sicherzustellen. Die im Gesetzentwurf vorgesehene Höherbewertung der Beiträge zur Rentenversicherung, die in den ersten zehn Lebensjahren eines Kindes geleistet werden, heißt er nachdrücklich gut. Dies stelle eine wichtige familienpolitische Komponente dar. Er bedauert allerdings, dass einige der vorgeschlagenen gesetzlichen Änderungen zu kurz greifen und andere Regelungen sozialethische Belange verletzen, indem sie beispielsweise die Solidarität zwischen den Generationen überstrapazieren.

Im einzelnen kritisiert er,
  • dass der Ausgleichsfaktor, der den demographischen Veränderungen Rechnung tragen soll, erst beim Rentenzugangsjahrgang 2011 einsetzt, also den Rentenbestand völlig verschont. Im Sinne des Grundsatzes der Generationengerechtigkeit fordert der Bevollmächtigte, dass die demographischen Veränderungen bei der Rentenformel bereits in den nächsten Jahren, also so früh wie möglich, berücksichtigt werden;

  • dass die Vorschläge des Koalitionsentwurfs zur Schließung rentenrechtlicher Lücken und zur Verhinderung verschämter Armut nicht ausreichen, um Altersarmut zu vermeiden. Der Bevollmächtigte bringt den Vorschlag aus der Gemeinsamen Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz zur Reform der Alterssicherung in Deutschland vom 19. Juni d.J. in Erinnerung. Danach soll in Fällen, in denen Menschen mit sehr geringem Einkommen oder schicksalhaft unterbrochenen Versicherungsbiographien, Arbeitslose und Kindererziehende zeitweise keine Beiträge in ausreichender Höhe einzahlen können, mit Mitteln des Staatshaushaltes ausgeholfen werden, um deren Beiträge aufzufüllen. Außerdem teilt er die Zweifel, ob angesichts des angewandten Berechnungsmaßes das im Koalitionsentwurf für das Jahr 2030 als untere Schwelle anvisierte Nettorentenniveau von 64 Prozent nicht zu niedrig liege;

  • dass die Schritte, die der Regierungs- und Koalitionsentwurf zur Einführung einer eigenständigen Sicherung von Männern und Frauen im Rentenrecht unternimmt, zu zaghaft seien. Der Bevollmächtigte erinnert daran, dass die EKD bereits in ihren Denkschriften von 1982 und 1987 dafür plädiert habe, im Rentenrecht das Prinzip der Teilhabe zu verwirklichen. Die veränderten gesellschaftlichen Bedingungen lassen es nicht mehr zu, dass die sozialrechtliche Stellung der während der Ehe nicht mehr erwerbstätigen Ehefrau großenteils nur aus dem Recht des Mannes abgeleitete Ansprüche auf Sicherung ihres Alters kennt.

Hannover / Berlin, 11. Dezember 2000
Pressestelle der EKD