Soziale Marktwirtschaft als weltweites Model

Ethische Aspekte eines bewährten Konzeptes im Zeitalter der Globalisierung

Der EKD Ratsvorsitzende, Präses Manfred Kock, hat in einem Vortrag vor Mitgliedern des Arbeitskreises Evangelischer Unternehmer (AEU) am 12. 9. 2002 in Frankfurt am Main die soziale Marktwirtschaft als Modell für den Ausgleich ökonomischer Gegensätze und für die Humanisierung von weltwirtschaftlichen Prozessen empfohlen. Im Blick auf die Ergebnisse der UN-Konferenz für Nachhaltigkeit und Entwicklung in Johannesburg sagte Kock: „Globalisierung hat zwei Gesichter: Sie produziert Ungerechtigkeit und Ängste, sie bringt aber auch Vorteile, birgt Chancen und weckt Hoffnungen.“ Chancen und Risiken der Globalisierung seien nicht Schicksal, sondern Folgen menschlichen Tuns und Lassens und darum grundsätzlich politisch beeinflussbar. „Umstritten ist, wie viel Freiheit des Marktes und wie viel nationale und internationale politische Gestaltung notwendig sind, um möglichst vielen Menschen einen angemessenen Anteil am Erfolg zukommen zu lassen.“

Die Soziale Marktwirtschaft als geeignetes Steuerungsinstrument genieße international hohes Ansehen und gelte auch im Weltmaßstab durchaus als brauchbares Wirtschaftsmodell. Die Gipfelkonferenz in Johannesburg habe jedoch einmal mehr deutlich gemacht, „wie schwer es uns Europäern fällt, ausreichend Gefolgschaft für unsere Einsichten und Errungenschaften zu gewinnen. Dabei könnte man gerade von der sozialgeschichtlichen Entwicklung Europas - nicht zuletzt von der Entwicklung der sozialen Marktwirtschaft in der Bundesrepublik viel lernen – gerade auch für die Gestaltung weltwirtschaftlicher Rahmenbedingungen.“ Diese seien unentbehrlich, „damit die positiven sozialen Implikationen wirtschaftlicher Wachstumsprozesse auch tatsächlich stattfinden und auch denen zugute kommen, die - aus Gründen, die sie selber nicht verschuldet haben - nicht unmittelbar zu den Teilhabern des Erfolgs zählen.“

Bei der Diskussion um Globalisierung müsse der Sorge um Recht und Gerechtigkeit und dem weltweiten Schutz der Menschenrechte mehr Aufmerksamkeit zukommen. „Die Weisung Christi, sich dem Bedürftigen nicht zu verschließen und den Armen zu helfen, zielt nicht nur auf die Lebensverhältnisse seiner Nachfolger, sondern auf die aller Menschen. Weil wir als Christen wissen, dass alle Menschen Gottes geliebte Kinder sind, gehört zu unserem globalen Bewusstsein auch das Element der gegenseitigen Verantwortung, der Sorge füreinander, des Einsatzes gegen Hunger und Not, Krankheit und Tod.“

Wo dem „freien Markt“ unbedingter Vorrang vor der Rücksicht auf soziale und ökologische Verträglichkeit zugemessen werde, wo Rüstungsexporte gefördert würden ohne Rücksicht auf die Verschärfung von Konflikten, wo Öl gefördert werde ohne Rücksicht auf die Kultur und die Natur, werde der Markt und der wirtschaftliche Erfolg zum widergöttlichen Prinzip. Kock betonte dagegen: „Gott die Ehre zu geben heißt, der Übermacht der Ökonomie zu widerstehen und der Macht des Geldes Grenzen zu setzen.“

Die wirtschaftliche Entwicklung der letzten Monate habe deutlich werden lassen, dass nicht nur konjunkturelle Schwankungen, sondern in erheblichem Umfang auch Bilanzmanipulationen in großem Stil verantwortlich für Krisenentwicklungen seien. Die Börse habe sich „eine zeitlang von spekulativen Illusionen genährt.“ Kock äußerte Verständnis insbesondere für die Kleinaktionäre und diejenigen, die bei ihrer Altersicherung auf Pensionsfonds setzen, die erheblich an Wert verloren hätten. Es habe sich gezeigt, „dass das Vertrauen in den Markt nicht unbegrenzt sein darf.“

„Wirtschaft ist für den Menschen da und nicht umgekehrt.“ hob Kock hervor. Darum brauche sie einen Rahmen, der den ökonomischen Akteuren Orientierung biete und der die Grenzen des Verträglichen aufzeige. „Wer undifferenziert einen völlig freien Markt fordert, stellt auch diese Regeln in Frage. Nur mafiose und korrupte Systeme können das wollen. Staaten, in denen alle Ordnungen zusammengebrochen sind, bieten keine Strukturen und Regeln. Ausschließlich das organisierte Gangstertum profitiert davon, paradoxerweise weil es über durchsetzbare Regeln verfügt.“ Wer eine Verringerung staatlicher Kontrollen fordere, sagte Kock, müsse sich jedenfalls auch mit den Phänomenen von Wirtschaftskriminalität und Korruption auseinandersetzen. „So wenig aussagekräftig die jüngst veröffentlichte "Rangliste" des Korruptionsregisters ist, so ist doch deutlich, dass sich Deutschland in dieser Hinsicht verbessern kann und muss und dass staatliche und öffentliche Kontrollen dringend notwendig sind.“

So wie der Einzelne in seinem konkreten Verhalten an der Gestaltung der wirtschaftlicher Prozesse mitwirke, müssten auch Gesellschaften und Staaten ihre Verantwortung begreifen. „Sinnvoll für ein globales wirtschaftliches Handeln ist ein breiter internationaler Konsens, auf dessen Basis verbindliche Regeln eines internationalen Wirtschaftsrechts gestellt werden müssen.“ Alle politischen Bemühungen, die Globalisierungsrisiken auszuschalten, dürften nicht von dem Interesse geleitet werden, Krisen ausschließlich in den entwickelten Industrieländern zu vermeiden, hob Kock hervor. Sie dürften auch nicht nur auf die Regionen der Erde konzentriert werden, die wegen ihrer Rohstoffe für die Industrienation interessant sind. „ Der weltpolitische Rahmen muss alle Kontinente einschließen und auf die Verbesserung der Lebensbedingungen gerade der Schwachen zielen. Es gibt Indizien, dass dieser vierte Rahmen außer Acht bleibt: Terrorismus, der von konkurrierenden Machteliten gesteuert wird, bedient sich der globalen Unzufriedenheit; Flüchtlingsströme aus Kriegs- und Elendsgebieten sind nur notdürftig zu bremsen, oft unter Missachtung humanitärer Grundsätze.“

Kirchliche Äußerungen stellten die Globalisierung in ihrer Gesamtheit nicht in Frage, sagte Kock weiter. „Gleichwohl gibt es ernstzunehmende Kritik insbesondere aus der kirchlichen Entwicklungsarbeit und der ökumenischen Partnerschaftsarbeit, die hier mehr Eindeutigkeit einfordert. Doch: Eine Rückkehr zu abgeschotteten nationalen Ökonomien wäre unsinnig, und sie zu fordern, ist unrealistisch. In den Auseinandersetzungen um Globalisierung muss es darum gehen, die Gewinner globaler wirtschaftlicher Freiheit durch nationalstaatliche und multinationale Regelungen dafür zu gewinnen, angemessene Beiträge für ökologische Nachhaltigkeit und für mehr soziale Gerechtigkeit zu leisten.“

Die UN-Konferenz von Johannesburg habe die globalen Probleme zwar benannt, aber sich immer noch nicht auf verbindliches gemeinsames Handeln verständigt. Das hier sichtbar gewordene Glaubwürdigkeitsdefizit der Politik bestärke jene Kritiker der Globalisierung, die längst eine Übermacht der privaten Wirtschaft gegenüber den parlamentarischen Instanzen ausgemacht haben. „Aber es ist nicht nur die Übermacht der privaten Wirtschaft. Oft sind es auch die kurzfristigen Eigeninteressen nationaler Politik, die eine politische Steuerung der Globalisierung durch verbindliche internationale Vereinbarungen verhindern.“

Kock fasste sein Anliegen abschließend zusammen mit den Worten: „Nach dem 11. September 2001 haben wir deutlich erkannt, dass wir in einer Welt leben, in der Frieden und Sicherheit, Wohlstand und Gerechtigkeit nur gemeinsam und für alle erreichbar sind oder für keinen. Als Christen, die aus der befreienden Botschaft der Bibel leben, arbeiten wir mit an der göttlichen Befreiung der Schöpfung aus der Gewalt, die ihr auch durch kurzsichtiges wirtschaftliches Handeln angetan wird. Wo immer uns dabei Positives gelingt, ist es ein Zeichen für das Versprechen Gottes, dass ein neuer Himmel und eine neue Erde kommen werden.“

Hannover, den 11. September 2002
Pressestelle der EKD

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