Evangelischer Dialog mit Politik und Wirtschaft zu Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik

Sozialpolitischer Kongress in Erinnerung an Johann Hinrich Wichern

„Zwang verwandelt die Wohltat in ein Übel“. Unter diesem Motto von Johann-Hinrich Wichern findet am 3. und 4. Juni in der Berliner Friedrichstadtkirche ein „Evangelischer Dialog mit Politik und Wirtschaft zu Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik“ statt. Anlass ist die 200. Wiederkehr des Geburtstages des evangelischen Theologen Wichern. Auf sein christlich-soziales Engagement gehen die Anfänge des deutschen Wohlfahrtsstaates zurück.

 In seiner Begrüßung hob Bischof Wolfgang Huber, der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), mit Blick auf den Gründervater der modernen Diakonie hervor, es sei eine „bleibende Herausforderung, dass der Staat die Instrumente bereithält und immer wieder neu entwickelt, mit denen er seiner sozialen Verantwortung gerecht werden kann“. Huber ergänzte jedoch: „Ebenso wichtig ist es, dass wir es nicht allein dem Staat überlassen, Menschen auf ihrem Weg zu helfen und sie zu neuen Wegen zu ermutigen. Sie brauchen neben aller staatlichen Förderung Netzwerke der rettenden Liebe.“

 Johann Hinrich Wichern habe zusammen mit anderen „ein Bündnis für die Arbeitslosen seiner Zeit geschmiedet, das beachtlichen politischen Einfluss gewonnen“ habe, daran erinnert der Ratsvorsitzende. Solche Bündnisse und Allianzen würden auch heutzutage gebraucht: „Kein einzelner politischer, gesellschaftlicher oder wirtschaftlicher Akteur vermag die Fragen unserer Tage zu lösen.“ Die Tagung in der Berliner Friedrichstadtkirche lasse etwas von einem solchen Netzwerk der rettenden Liebe erahnen. In der Nachfolge Jesu gehe es der Kirche um den Dienst der Liebe, den einer dem anderen erweisen soll. In diesem Dienst werde das Gefälle aufgehoben, das sonst die einen von den anderen trenne. Weil Jesus selbst die niedrigste Aufgabe übernommen habe, habe Wichern die christliche Gemeinde in der Sprache seiner Zeit den „Verein der zur Wahrheit befreiten Menschen“ genannt. Dazu der Ratsvorsitzende: „Denn der Wahrheit kommen wir nahe, wenn wir lernen, Mensch zu werden unter Menschen – mit Gaben, die wir für andere einsetzen können, mit Einfühlungsvermögen in deren Not.“

 Olaf Scholz, Bundesminister für Arbeit und Soziales, machte in seinem Vortrag deutlich, dass Deutschland von einer idealen Situation am Arbeitsmarkt noch entfernt ist: „Wenn niemand länger als ein Jahr arbeitslos ist, wenn jede und jeder in unserem Land immer wieder eine neue Chance bekommt, dann sind wir ganz nah bei dem, was für mich  „Vollbeschäftigung“ heißt“, so Scholz. Er ergänzte: „Bis dahin gibt es aber noch viel zu tun, das verhehle ich nicht. Wir sind bei der Vermittlung gerade der Langzeitarbeitslosen noch nicht ausreichend erfolgreich. Das zeigt auch der internationale Vergleich, dass wir da noch mehr erreichen müssen.“ Sein Ziel bleibe: „Die Vermittlung in Arbeit muss in unserem Land die leistungsfähigste Institution sein und weltweit ebenfalls an der Spitze.“ Das werde man nicht von jetzt auf gleich schaffen – für das kommende Jahrzehnt sei es aber eine realistische Zielvorgabe. Scholz erhob die Forderung: „Wer sich anstrengt, soll ein ordentliches Leben führen können. Man wird Engagement und Sorgfalt, Einsatz und Verantwortungsbewusstsein auf Dauer kaum erwarten können, wenn jemand den ganzen Monat arbeitet und am Ende seinen Lebensunterhalt davon nicht bestreiten kann und dann auf Unterstützung angewiesen ist.“

Der Präsident des Diakonischen Werkes der EKD, Klaus-Dieter K. Kottnik, wandte sich insbesondere an die zahlreichen jugendlichen Gäste, die anlässlich der Preisverleihung des Diakonie-Wichern-Jugendwettbewerbs „Wie sozial bist Du?“ aus ganz Deutschland angereist waren. Er dankte den Jugendlichen für ihr Engagement und betonte, es sei „etwas Besonderes, heute Jugendliche zu ehren, die sich mit Fragen auseinandergesetzt haben, die oft gerne an den Rand geschoben werden.“ Der Diakoniechef nannte als Beispiele die Themen: „Wie ist es etwa mit Gewalt an Schulen?, wie schnell kann man unter die Räder kommen?, wer hilft mir dann?“ Es gebe Fragen, so Kottnik, „die fügen sich nicht so einfach in unsere scheinbar heile Welt.“

 Der Diakoniepräsident betonte die große Bedeutung von Bildung. In der sogenannten Lissabon-Strategie habe sich die Europäische Union zum Ziel gesetzt, zur größten wissensbasierten Ökonomie der Welt aufzusteigen und deshalb Bildung ganz oben auf ihre Prioritätenliste geschrieben. „Zu Bildung gehört soziale Bildung, meinen wir als Diakonie. Wir stehen damit in der Tradition Johann Hinrich Wicherns. Bildung heißt nicht, dass irgendein Wissensstoff in einen hineingetrichtert wird. Sondern, dass man forscht, entdeckt, einen künstlerischen Ausdruck findet und so feinfühliger und offener für die vielen Lebensfragen wird.“  Denn das so gerne Verdrängte brauche Formen, sichtbar zu werden.

„Evangelischer Diakog mit Politik und Wirtschaft zu Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik“ wird gemeinsam von DWEKD, EKD, Evangelische Akademie zu Berlin und Diakonie Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz veranstaltet.

Hannover/Berlin, 3. Juni 2008

Pressestelle der EKD
Christof Vetter/Silke Römhild

Pressestelle des DWEKD
Barbara-Maria Vahl