Vorsitzender der EKD-Sozialkammer: "Mehr statt weniger Feiertage"

Die Diskussion über die Streichung eines Feiertages hat der Vorsitzende der Kammer für Soziale Ordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Gert Wagner, als "in nahezu jeglicher Hinsicht nicht zielführend" bezeichnet. Der Direktor des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung äußerte sich in einem Text, den wir Ihnen im Folgenden zur Verfügung stellen. Es sei offen, ob niedrigere Arbeitskosten gegenwärtig der Konjunktur helfen würden, so der Berliner Volkswirtschaftsprofessor. Entscheidender sei eine möglichst hohe Produktivität.


Magdeburg, 8. November 2004

Pressestelle der EKD
Silke Fauzi


Der Text im Wortlaut:

Mehr statt weniger Feiertage !

Die zur kurzfristigen „Rettung“ des Bundeshaushalts von der Bundesregierung losgetretene Debatte um die Streichung eines Feiertags – nach dem „Nationalfeiertag“ am 3. Oktober kamen der Pfingstmontag und der 1. Mai ins Gespräch  –   ist in nahezu jeglicher Hinsicht nicht zielführend: ob das eigentliche Ziel, die Steuereinnahmen zu erhöhen, erreicht würde, ist sehr fraglich, die Diskussion um das Nationalbewusstsein der Deutschen war bestenfalls überflüssig, und ordnungspolitisch führt die staatliche Verordnung einer niedrigeren Entlohnung durch eine längere Arbeitszeit völlig in die Irre.

Die Streichung eines Feiertags ist Nichts anderes als die Aushebelung von Tarifverträgen.  Falls die Tarifparteien es als ökonomisch sinnvoll ansehen die Jahresarbeitszeit zu erhöhen, können sie das zum Beispiel durch die Streichung eines Urlaubstages unschwer erreichen. Oder schlicht und einfach geringere Lohnsteigerungen tariflich vereinbaren. Ob niedrigere Arbeitskosten  gegenwärtig der Konjunktur helfen würden und damit Hans Eichel mehr Steuereinnahmen beschert, ist allerdings offen. Denn die Nachfrageschwäche wird nicht beseitigt und die weltmeisterliche Exportwirtschaft hat – im Durchschnitt  –   Kostensenkungen gar nicht nötig.

Wenn zu viele Feiertage eine unvertretbare Belastung für die Betriebe wären, dann könnte es auch Bayern innerhalb Deutschlands ökonomisch nicht überdurchschnittlich gut gehen. Denn Bayern hat drei Feiertage mehr als die protestantischen Bundesländer Berlin und Bremen – und in überwiegend katholischen Gemeinden kommt in Bayern noch ein vierter Feiertag hinzu. Die entscheidende Basis für Wirtschaftswachstum liegt offensichtlich nicht in  möglichst niedrigen Arbeitskosten, sondern Rahmenbedingungen für eine möglichst hohe Produktivität. Und dafür braucht man „Sozialkapital“, d. h. die „Vernetzung“ von Menschen. Und dafür sind Feiertage gut.

Schaut man sich im Ausland um, kann man sogar die Frage stellen, ob wir nicht zuwenig statt zu vieler Feiertage haben? In Deutschland stehen den Beschäftigten im Durchschnitt 28 Arbeitstage Jahresurlaub zu, aber es gibt nur neun bundesweite Feiertage. Interessanterweise wird in den arbeitsamen USA nur ungefähr die Hälfte des deutschen Jahresurlaubs gewährt, aber die USA haben mit 10 nationalen Feiertagen einen mehr als wir in Deutschland. Und von diesen neun bundesweiten Feiertagen fallen etliche immer wieder auf einen Sonntag oder Samstag, stellen also keine zusätzliche Mußestunden dar. In den USA werden hingegen fünf Feiertage per Gesetz immer auf Montage gelegt, etwa der „Labour Day“, damit auf jeden Fall ein verlängertes Wochenende entsteht.  Dass jetzt in Deutschland ein erkämpfter Feiertag wie der 1. Mai, für den die Großeltern von etlichen von uns, noch persönlich gestreikt haben, zur Disposition steht, ist kaum zu glauben.

Feiertage dienen wie der Urlaub der Erholung, aber Feiertage haben gegenüber Urlaubstagen den Vorzug, dass sie – da alle gleichzeitig Freizeit  haben  – genutzt werden, um gesellig mit Nachbarn, in Vereinen und Kirchengemeinden zusammenzukommen. Neuerdings nennt man dies die Schaffung von Sozialkapital. Weniger Urlaub und weniger Schulferien hätten auch den   Vorzug , dass das  Schuljahr nicht so stark zerstückelt würde wie das jetzt der Fall ist und es nach jeder Ferienzeit ein paar Tage dauert  bis alle in der Schule wieder Tritt gefasst haben und wieder effektiv gelernt wird.  Und die Betreuung von Kindern in den Ferien ist immer wieder eine neue Herausforderung für Eltern.

Über weniger Urlaub und mehr Feiertage sollten die Tarifparteien mit der Bundesregierung und den Landesregierungen ins Gespräch kommen. Und von staatlich verordneten Lohnsenkungen sollte die Bundesregierung ganz die Finger lassen.

Der Berliner Volkswirtschaftsprofessor Gert G. Wagner ist Vorsitzender der Kammer für Soziale Ordnung der EKD (Evangelische Kirche in Deutschland).