Predigt über 1. Johannes 3, 1+2 im Rahmen des Festgottesdienstes am 1. Weihnachtsfeiertag

Kirchenpräsident Christian Schad in derGedächtniskirche zu Speyer

Liebe Gemeinde!

„Seht! Macht die Augen auf! Das Licht des neuen Morgens ist da!“

So werden wir begrüßt. Das ist das Wichtigste. Diese Worte wollen uns sehen helfen. Schaut euch das Wunder der Nacht wirklich an! Seht euch hinein in die Geschichte aus Krippenarmut und Sternenglanz; denn: es ist auch eure Geschichte! „Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen.“

Das Kind in der Krippe ist wirklich Gottes Sohn und ihr, die ihr euren Weg mit ihm gehen wollt, ihr seid wirklich Gottes Kinder. Nicht etwa: „Wir könnten Gottes Kinder werden“ oder: „Immer wieder neu sollen wir Gottes Kinder sein“, nein! Klar und deutlich und ohne Einschränkung wagt Johannes zu sagen: Wir sind es! Gottes Kinder seid ihr!

Das muss man sich erst einmal so richtig ‘runter gehen lassen – am besten gleich mitten ins Herz hinein. Und ich finde, an Weihnachten können wir das einfach mal so mitsprechen, ohne Angst vor Hochmut, ohne uns kleinmachen zu müssen, ohne die vielen Warnschilder aufzurichten, die gerade wir Protestanten manchmal so lieben. Lasst es uns heute Morgen einfach feiern. „Wir sind Gottes Kinder, Töchter und Söhne, Erben des Himmels mitten auf Erden!“

Denn Gott ist uns wie ein Vater und wie eine Mutter. Gott sieht auf uns und freut sich an uns, wie sich eine Mutter an ihren Kindern freut. Gott schaut auf uns und er sieht, was wir tun und wie wir leben. Er sieht uns mit unseren Stärken und Schwächen und er hält zu uns, wie Eltern zu ihren Kindern halten. Denn dass wir nicht nur Stärken haben, sondern auch Schwächen, das weiß Gott nur zu gut. Aber, das eigentlich Erstaunliche ist: Trotzdem nimmt er uns so an, dass wir Gottes Kinder, seine Söhne und Töchter heißen dürfen.

Offenbar kommen wir noch von woanders her, haben wir noch einen anderen Ursprung. Unser Anfang liegt nicht nur in unseren Familien, in liebevollen oder gleichgültigen Elternhäusern. Darum lasst Euch nicht bannen von den Orten, aus denen Ihr kommt, nicht festlegen durch den Stall, dem Ihr entstammt. Wir kommen noch von woanders her. Und diese Herkunft ist gewiss. Sich daran erinnern zu lassen, wird dringlicher in Zeiten, in denen Sicherheiten zerrinnen und Familien auseinanderbrechen. Und oft zeigt sich gerade an Weihnachten, wie heikel das alles ist. Wer darf mitfeiern, und wer nicht? Wo dürfen die Kinder sein und wie lange? Manche Familie erlebt gerade an Weihnachten, wie dünn die Decke ist, auf der wir uns bewegen, wie mühsam die Risse zusammengehalten werden.

Johannes sagt: Es gibt eine Zugehörigkeit, die unverlierbar ist. An der Du Orientierung finden kannst: Maßstab und Halt. In der eine Würde begründet ist, die Dir niemand nehmen kann. Dir nicht und dem Anderen auch nicht.

Ihr seid Kinder der Liebe Gottes: erkannt von ihm, noch ehe Ihr geboren wart, gegründet in einer großen Verheißung. Deshalb bleibt ihr in der Welt auch immer etwas fremd. Lasst Euch nicht bannen von dem, was sie Euch vorgibt an Maßstäben und Verlockungen. Ihr habt noch eine andere Herkunft, einen anderen Kompass. Gottes Söhne und Töchter seid ihr!

Doch der Blick in den eigenen Spiegel bleibt skeptisch! Die Gotteskindschaft ist uns nicht anzusehen. „Es ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden“, schreibt Johannes. Noch liegt im Dunkeln, was einmal werden soll. Noch schlagen wir uns herum mit all den alten Fragen nach dem Sinn des Ganzen; kämpfen um unser Leben, denn es währt nicht ewig. Noch trifft uns manches Unheil, werden wir schuldig, wir wissen es. Und die Zukunft – diese unbekannte Größe – kommt uns eher als Drohkulisse, denn als Verheißung in den Sinn.

Nicht wahr, in den letzten Jahrzehnten hat sich unsere Gesellschaft immer mehr zur Rasanz-Gesellschaft entwickelt. Alles muss immer schneller, immer besser, immer effektiver sein. Der materielle Wohlstand ist dadurch gewachsen. Aber der menschliche Wohlstand hat nicht Schritt gehalten. Viele Menschen sind ausgelaugt, viele können nicht mehr. Und auch die Arbeitszeiten müssen sich immer mehr dem anpassen, was für den Betrieb am effektivsten ist. Der Gemeinschaft tut das nicht gut. Sportvereine zum Beispiel finden immer weniger Trainer, weil die Flexibilität für die Firma keinen regelmäßigen Trainingstermin ermöglicht. Und schon Kinder können sich den Luxus freier, zweckfreier Zeit kaum noch leisten neben der Schule und den vielen anderen Verpflichtungen.

Deswegen wenden wir uns als Kirche so nachdrücklich gegen die Kommerzialisierung der Sonn- und Feiertage. Ökologische Biotope haben wir in den letzten Jahren glücklicherweise immer mehr geschaffen. Nun brauchen wir auch wieder mehr soziale Biotope: geschützte Räume, in denen Familien und andere Gemeinschaften Zeiten und Orte finden für das, was wirklich zählt, nämlich Beziehungen zu anderen Menschen, die unser Leben reich machen und die uns tragen, in guten und in schweren Tagen. Wir brauchen eine Gesellschaft, in der wir wieder Mensch sein dürfen, achtsam für die Lebensquellen, die uns Nahrung geben für Leib und Seele; sensibel für den Reichtum menschlicher Beziehungen, anstatt beherrscht zu sein von den Zwängen der Ökonomie.

Nein, „es ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen aber, wenn es offenbar wird, werden wir ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist.“ Ihm, also Gott, gleich, liebe Gemeinde? Hatte nicht die Schlange mit diesem Versprechen Adam und Eva verführt? „Ihr werdet sein wie Gott“, hatte sie gezischelt und ihnen den Apfel gereicht. Herzhaft war der Biss und die Folgen unabsehbar. Und jetzt dieses Versprechen?

Das Wunder der Weihnachts-Nacht hat augenscheinlich alles verändert! Diese Nacht, in der zusammen kommt, was doch Lichtjahre und Ewigkeiten voneinander getrennt schien, als die Sterne aus der Bahn liefen und die Hirten Freudenfeuer entzündeten, als Gott und Mensch zusammenfanden: in dem Kind in der Krippe. In dieser Nacht hat Gott sich uns gezeigt. Sein Gesicht im Gesicht eines Kindes! Ein Überschuss an Erwartungen wird in diese Geburtsgeschichte eingetragen. Eine Erwartung, die sich aus der Begegnung mit dem erwachsenen Jesus von Nazareth speist, den seine Jünger „Messias“, „Sohn Gottes“ nannten: den „neuen Adam“.

Ein Mensch, der sich berühren lässt, einer, der die Rasanz unseres Lebens elementar unterbricht und wie ein Kind um Vertrauen wirbt und Vertrauen schenkt. Wahrer Mensch und wahrer Gott!

Mit seiner Geburt kommen auch wir noch einmal neu zur Welt. Statt erwachsen zu sein, dürfen wir wachsen. Statt fertig zu sein, dürfen wir werden. Es ist, als zöge diese Geburt uns hinein in eine Bewegung, die uns nicht lässt, wie wir sind. Hirten verlassen ihre Herden, Könige fallen vor einem Kind auf die Knie und Alte haben wieder Träume. Und wir, wir heben heute Morgen unseren Blick und erkennen im Menschen von Nazareth unseren Bruder, den göttlichen Grund der Welt. Die Anspannung weicht und unser Herz öffnet sich für Gott und für unsere Mitmenschen. „Seht! Welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen und wir sind es auch!“

Amen.