Pfingsten als „Fest der Schubumkehr“

EKD-Ratsvorsitzender predigt in der Berliner Gedächtniskirche

„Pfingsten ist ein Fest der Schubumkehr“, sagte der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, in seiner Predigt am Pfingstsonntag in der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Mit „Schubumkehr“ bezeichnen Techniker die Verwandlung von Beschleunigungskraft eines Flugzeugs in eine Bremskraft. Mehrfach beschreibe die Bibel „die Umkehr vom rasenden Weg ins Verderben zu einem neuen Anfang“, so Huber: „Die Umkehr des ängstlichen Sich-Verkriechens der Jünger Jesu ist der mutige Auftritt des Petrus vor der Menge in Jerusalem. Die Umkehr der babylonischen Sprachverwirrung ist das Pfingstwunder: Fremde können sich verstehen. Das Ende, das Jesu Weg auf Erden findet, kehrt sich um in den Beginn des Weges der christlichen Kirche durch die Zeiten.“

Pfingsten gehöre zu den großen Festen im Kirchenjahr, betonte Huber. Hinter Weihnachten und Ostern stehe es nicht zurück. Das Kommen des Heiligen Geistes sei nicht weniger wichtig als Kreuz und Auferstehung, denn: „Es bewirkt eine Schubumkehr. Und diese Schubumkehr kann Leben retten.“ Der Apostel Paulus unterscheide in seinem Brief an die christliche Gemeinde in Korinth zwischen dem „Geist der Welt“ und dem „Geist aus Gott“. Dieser „Geist aus Gott“ sei „von Glaube, Liebe und Hoffnung bestimmt.“ Der EKD-Ratsvorsitzende unterstrich: „Wir brauchen diesen Geist, damit wir nicht versinken in einen Geist des Kleinmuts, der wechselseitigen Abgrenzung und der Resignation. Der Geist des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung ist die große biblische Botschaft am Pfingsttag.“

Mit „Christi Sinn“ werde Pfingsten als ein Tag der Offenheit gefeiert, so Huber weiter. Schon am ersten Pfingsttag sei dies zu Tage getreten, als Menschen verschiedenster Herkunft und Kultur einander verstanden. „Der Gründungstag der christlichen Kirche weist zugleich darauf hin, dass wir unseren christlichen Glauben nicht allein leben können.“ Pfingsten fordere deshalb in besonderer Weise dazu heraus, anderen Menschen grundsätzlich offen und zugewandt zu begegnen. Dies werde besonders in den kommenden Wochen, in denen tausende Fans zur Fußballweltmeisterschaft anreisen, zum Zuge kommen. „Wo Fans einander im Geist von Pfingsten begegnen, wird die Sprache nicht gegeneinander eingesetzt, sondern genutzt, um einander zu verstehen, voneinander zu lernen, miteinander zu feiern.“

Paulus habe in seinem Brief an die Gemeinde in Korinth darauf hingewiesen: „Der Herr – also Christus – ist der Geist; wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit“. Pfingsten ist also auch ein Fest der Freiheit. An diesem „Feiertag der Freiheit erinnern wir uns an Orte, an denen Menschen einander Freiheit und Würde verweigern“, sagte Huber und wies auf den Sudan und „Zustände, die dem Völkermord nahe sind“ hin. Er denke aber auch an den iranischen Präsidenten Ahmadinedschad, „der uns Deutschen nahe legen will, die Scham über den Mord am europäischen Judentum hinter uns zu lassen, weil, wie er sagt ‚kein Volk seine Erniedrigung akzeptiert’“. Ein Volk werde aber nicht dadurch erniedrigt, dass es sich zur Wahrheit bekenne, hielt der EKD-Ratsvorsitzende dagegen. „Erniedrigt wird es, wenn es sich der Wahrheit verweigert.“

Wann immer Menschen die Würde ihrer Mitmenschen missachteten oder gar gewalttätig würden, sehe er vor seinem inneren Auge das Bild eines Düsenjets, der ungebremst über die Landebahn hinausrast, sagte Huber. „Man fragt sich verzweifelt und empört, warum die lebensnotwendige Schubumkehr versagt.“ Gerade dann bitte er um die Kraft des Heiligen Geistes. An Pfingsten werde die Zusage Gottes gefeiert, „dass er uns seinen Geist sendet, der uns mit Leben erfüllen und uns in unserem Handeln bestimmen will. Um einen solchen Geist bitten wir für diese Stadt und für unser Land“.

Berlin, 04. Juni 2006

Pressestelle der EKD
Karoline Lehmann