Toleranz als Respekt unter Gleichen

Elisabeth von Thadden spricht zum Schwerpunktthema der Synode

Die Nagelprobe der Toleranz bestehe nicht im Ertragen des anderen, sondern in der „Wechselseitigkeit der Anerkennung“, erklärte Elisabeth von Thadden (Jahrgang 1961) am Montag, den 7. November, in ihrem Referat zum Schwerpunktthema „Tolerant aus Glauben“ auf der 4. Tagung der 10. Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Bis heute sei die Toleranz eine der Grundfragen an die Werte moderner pluralistischer Gesellschaften geworden. Im Umgang mit den Unterschieden werde die Kirche als „Steuermann“ dringend gebraucht, so die ZEIT-Redakteurin.

Die Debatten um das Kruzifix-Urteil und das Kopftuchverbot hätten gezeigt, dass es bei der Diskussion um die Toleranz um mehr gehe als um die Duldung von Unterschieden. „Vielmehr stellen sie uns vor die Frage, ob eine demokratisch verfasste Gesellschaft den Schritt machen will, Unterschiede als Abweichungen von der Norm nicht nur zu erlauben, sondern darüber hinaus den Respekt aufzubringen, die Haltungen von Minderheiten als ebenso legitim zu respektieren wie diejenigen von Mehrheitskulturen.“ Am Beispiel der in den Niederlanden lebenden Sudanesin Aysaan Hirsi Ali, die seit dem Mord am niederländischen Filmemacher Theo van Gogh unter Personenschutz steht, erläuterte Elisabeth von Thadden, dass in der Toleranzdebatte zwischen der politischen, der kulturellen und der religiös-theologischen Sphäre zu unterscheiden sei.

Das Toleranz-Konzept des Philosophen Rainer Forst erscheine ihr „im Dickicht diffuser Toleranz-Vorstellungen“ als das einzig sinnvolle. Von Toleranz lasse sich demnach nur reden, wenn man erstens davon ausgehe, dass eine Überzeugung als falsch angesehen werde – sonst würde sie bejaht oder gleichgültig hingenommen, aber nicht toleriert. Es müssten Gründe bestehen, warum das für falsch Gehaltene dennoch zu tolerieren sei. Und drittens müssten Grenzen benannt und klar gestellt werden, dass das Intolerierbare zurückgewiesen und geahndet werde. Der moderne Toleranzbegriff betone den Respekt unter strukturell Gleichen, die wechselseitige Anerkennung von Gesellschaftsmitgliedern und ihrer Rechte. Daraus folge, dass ein Gemeinwesen weltanschaulich neutral sein müsse.

In einem historischen Überblick über Entwicklungen des Toleranzverständnisses beschrieb die promovierte Literaturwissenschaftlerin die „Paradoxie der Toleranz“: „Wie kann man es moralisch für richtig halten, etwas zu tolerieren, das man für falsch hält?“ Man könne es aus Erschöpfung, wie etwa in der „furchtbaren Erschöpfung durch den religiös begründeten Dreißigjährigen Krieg“. Aus dieser Erschöpfung resultierte die Erkenntnis von der Vorrangigkeit des politischen Gemeinwesens vor den privaten Auffassungen der Bürger: „Fortan soll man glauben können, was man will, solange man sich an die Normen, Regeln und Gesetze des Gemeinwesens hält.“

Christen in Deutschland hätten freilich das Glück, dass die Normen und Gesetze des modernen Verfassungsstaates „nicht wider das Christentum formuliert sind, sondern durchaus Ausdruck auch des christlichen Erbes der europäischen Tradition sind.“ Ein Christ müsse sich daher zu den Normen des Grundgesetzes nicht grundsätzlich im Widerspruch oder gar im Widerstand sehen, er werde vielmehr dafür eintreten, dass Verfassungsanspruch und Verfassungswirklichkeit übereinstimmen.

In der Frage, wie sich feste Glaubensüberzeugung und die religiöse, weltanschauliche und kulturelle Pluralität der modernen Gesellschaft verhalten, seien Christen ebenfalls nicht zu passiver Duldung, sondern zu aktivem Bekenntnis aufgefordert. Die Frage nach der Toleranz lasse sich als ein „Zentrum der christlichen Botschaft“ verstehen, die Geschichte des Christentums als ein „Weg zum Wesen des christlichen Selbstverständnisses“. Die Kirche habe dabei eine doppelte Aufgabe: sie solle einerseits beim Relativieren und Differenzieren, zugleich aber auch beim Konturieren helfen, „das heißt, das genuin Christliche, das genuin Protestantische erkennbar machen, um es öffentlich deutlich, streitbar und auch anerkennenswert werden zu lassen.“ Die Kirche solle also sowohl das Urteil schärfen als auch das Mitleid, getragen von der Nächstenliebe, spürbar werden lassen, das ein Rechtstaat nicht aufbringen könne. „Die protestantischen Kirchen in Deutschland hätten, trotz und wegen ihrer kulturellen Partikularität, den besonderen Auftrag, das Erbe der Reformation, die hier ihr Mutterland hat, selbstbewusst in den europäischen Toleranzgedanken hineinzutragen, ohne dabei der Individualisierung des Gewissens klare Kriterien für seine Grenzen schuldig zu bleiben.“

Berlin, 06. November 2005

Pressestelle der EKD
Silke Fauzi

Das Referat von Elisabeth von Thadden zur Einführung in das Schwerpunktthema