Die Zukunft der religiösen Bildung

Wolfgang Huber

Universität Hamburg

Zur Rolle der Kirchen im Erziehungssystem einer pluralistischen Gesellschaft

Dialog mit Karl Kardinal Lehmann

1. Religiöse Bildung als Seismograph

Die Frage nach dem Zustand und der Zukunft religiöser Bildung erweist sich gerade heute in mehreren Beziehungen als Seismograph.

An der Diskussion über dieses Thema lässt sich ablesen, wie wir über Bildung insgesamt denken. Erstaunlicherweise ziehen ja in Deutschland manche aus den Ergebnissen der PISA-Studie nur die Folgerung, diejenigen Unterrichtsanteile zu verstärken, bei denen am ehesten Erfolgskontrollen durch Tests möglich sind. Testbares Wissen zu vermehren und vermehrt zu prüfen, scheint eine verbreitete Konsequenz aus PISA zu sein. Dann wäre freilich die Folge, dass die Gewichte zwischen Verfügungswissen und Orientierungswissen als zwei Polen schulischer Bildungsprozesse sich einseitig zu Gunsten des Verfügungswissen verschieben. Nicht die Kategorien, mit denen unsere komplexe Welt gedeutet und verstanden werden kann, sondern das Wissen über diese Welt, nicht die Traditionen des kulturellen Gedächtnisses, sondern die Erfordernisse der Informations- und Wissensgesellschaft bestimmen dann die Weiterentwicklung des Bildungswesens. Die Frage heißt, ob das unausweichlich und ob es wünschenswert ist. Ich jedenfalls setze mich dafür ein, dass die religiöse Bildung als PISA-fähig anerkannt wird.

An der Diskussion über dieses Thema lässt sich aber auch ablesen, welchen Stellenwert in der öffentlichen Diskussion die Frage nach dem Lebenswert religiöser Bindungen und Überzeugungen hat. Erleben wir gegenwärtig, wie immer wieder behauptet wird, eine Verschiebung in der öffentlichen Wahrnehmung von Religion – und worin besteht diese Verschiebung? Gilt die Teilhabe der Kirchen am öffentlichen Raum noch ungeschmälert und wie verhält sich dazu die Präsenz nichtchristlicher Religionen in unserer Gesellschaft? Wie verbindet sich der überlieferte Öffentlichkeitsauftrag der Kirchen mit der Situation religiöser Pluralität? An kaum einem Thema wird diese Frage nach der Teilhabe der Kirchen und Religionsgemeinschaften am öffentlichen Raum so intensiv diskutiert wie am Thema des Religionsunterrichts.

Seismographische Bedeutung hat das Thema schließlich auch im Blick auf den Bildungsauftrag der Kirchen. Er wird ja vorrangig an drei Orten wahrgenommen: in den christlichen Gemeinden selbst, zu deren Grundfunktionen die Aufgabe der Bildung gehört, in eigenen kirchlichen Bildungseinrichtungen, für deren Notwendigkeit vor allem die Situation in den neuen Bundesländern einen aufregenden Anschauungsunterricht erteilt, und schließlich in den Einrichtungen des öffentlichen Bildungswesens insgesamt, also insbesondere in den staatlich getragenen Institutionen, den staatlichen Schulen vor allem. In den Kirchen gibt es einen breiten Konsens darüber, dass sie sich aus keinem dieser Bereiche zurückziehen wollen. Aber sie setzen gegebenenfalls unterschiedliche Akzente. Die katholische Kirche hat eine besonders starke Tradition im Betreiben eigener kirchlicher Bildungseinrichtungen; die evangelische Kirche hat sich über lange Zeit vor allem als Anwältin des staatlichen Bildungswesens betrachtet und ihren Beitrag zum öffentlichen Bildungswesen geleistet. Unter den Bedingungen der DDR hat sie besonders den Bildungsauftrag der Gemeinde neu entdeckt – das wichtige Stichwort heißt „Christenlehre“. Heute treten auch für eine evangelische Betrachtung die drei Orte des kirchlichen Bildungsauftrags in ein neues Verhältnis zueinander. Insbesondere wird die Bedeutung kirchlicher Schulen neu entdeckt.

2. Neues Fragen nach Religion

In welcher Situation fragen wir neu nach religiöser Bildung? Ich weiß nicht, ob die Diagnose unserer Gegenwart als einer „dürftigen Zeit“ die Lage wirklich trifft. Dürftig ist eine Zeit eigentlich nicht zu nennen, in der wir noch immer dabei sind, die größte geschichtliche Wende zu verarbeiten, die wir jedenfalls in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs erlebt haben. Die Spaltung des Kontinents und damit auch die Spaltung unseres Landes kam ans Ende; und noch immer haben wir damit zu tun, die Folgen politisch, geistig und kirchlich zu gestalten. Dürftigkeit zeigt sich vielleicht in den Ideen, wie diese Gestaltung aussehen könnte; kleinmütig sind wir vielleicht darin, was wir uns zutrauen. Als eine „erschöpfte Generation“ hat Bernhard Schlink vor kurzem die Generation bezeichnet, die gegenwärtig die Geschicke unseres Landes bestimmt; freimütig hat er hinzugefügt, dass er trotzdem die Hoffnung nicht fahren lässt – schon deshalb, weil er selbst dieser Generation angehört.

Im kirchlichen Bereich – vorsichtiger sage ich: im evangelischen Bereich – hat diese Erschöpfung auch damit zu tun, dass sich vor allem im Osten Deutschlands ein generationenübergreifender Gewohnheitsatheismus wie ein Meltau über viele neue kirchliche Initiativen legt. Auch im Westen merkt man aus diesem Anlass, dass viele Selbstverständlichkeiten brüchig geworden sind. Auch im Bildungswesen können wir nicht an Vertrautes anknüpfen, gerade was die religiöse Bildung betrifft. Die Lücke, die Familien- und Horterziehung in diesem Bereich oft hinterlassen, ist offenkundig. Gewiss ist eine Familienbildung wichtig, die religiöse Bildung als familiäre Aufgabe neu erschließt. Zugleich aber kann man nicht verkennen, dass die Aufgaben religiöser Bildung im Bereich des Elementarunterrichts und des Primarbereichs rapide wachsen. Deshalb richtet sich die Aufmerksamkeit der Religionspädagogen verstärkt nicht nur auf den Primarbereich, sondern auch auf den Elementarbereich. Eine Vertrautheit mit religiösen Fragen und Riten lässt sich in diesem Alter leichter entwickeln und fördern als in späteren Phasen des Lebens. Es ist dieser Bereich, in dem der Religionsunterricht seine überzeugendste Stabilität gewinnt. Es ist dieser Bereich, in dem auch das Angebot gottesdienstlicher Gestaltung von lebensgeschichtlichen Übergängen eine besondere Anziehungskraft entwickelt. Der wachsende Zustrom zu Schulanfängergottesdiensten ist dafür ein sprechendes Beispiel.

Nicht dürftig ist unsere Zeit; sondern sie leidet an einer Diskrepanz zwischen dem Orientierungsbedarf der Menschen und der Orientierungsleistung von Traditionen und Institutionen. Sie leidet an einer Diskrepanz zwischen der Sehnsucht nach Religion und dem Misstrauen gegenüber dem, was sie enthalten. Sie leidet an der Diskrepanz zwischen der behaupteten Säkularität unserer Zeit und der Intensität der religiösen Fragen, die sich neu stellen.

Viele haben es als befreiend empfunden, dass Jürgen Habermas vor Jahresfrist eine post-säkulare Epoche eingeläutet hat. Damit war keine Rückkehr in überlieferte oder gar überholte Formen eines Öffentlichkeitsanspruchs der Großkirchen gemeint. Denn der Vorschlag, religiös motivierten Minderheiten das Recht zu einem aufschiebenden Veto in politischen Fragen von existentieller Bedeutung einzuräumen, weist deutlich in eine andere Richtung. Aber eindrücklich macht dieses Plädoyer eines Menschen, der sich selbst für „religiös unmusikalisch“ erklärt, deutlich, dass sich heute – angesichts der wissenschaftlichen Entwicklung ebenso wie angesichts der politischen Konstellation – elementare Fragen neu stellen, für deren Beantwortung man auf das Potential der Religion schlechterdings nicht verzichten kann. Dass Religion zur allgemeinen Bildung gehört, gilt also nicht nur deshalb, weil sie für die geschichtliche Entwicklung unserer Kultur eine prägende Bedeutung hat. Es gilt zugleich, weil für den Umgang mit den großen gesellschaftlichen Zukunftsfragen wie auch für die Beantwortung persönlicher Existenzfragen auf ihr Potential nicht verzichtet werden kann. 

Freilich sind wir nicht nur in ein postsäkulares Zeitalter eingetreten, in dem sich wichtige Fragen neu stellen. Wir erleben zugleich in massiver Form eine Wiederkehr der Religion. Niemand hat sich ausgesucht, dass dieses Stichwort sich nun vor allem mit dem 11. September verbindet. Zu diesem Datum gehört die Erfahrung von Religion in ihrer blasphemischen Form, nämlich als Motivationsquelle und Rechtfertigungsgrund für mörderische Gewalt. Zu diesem Datum gehört eine öffentliche Diskussion, die eben deshalb Religion als vormodernes Relikt darstellen möchte, das in beunruhigender Weise in die Postmoderne hineinragt.

Die religiöse Situation der Gegenwart konfrontiert uns in der Tat auch mit unangenehmen Formen von Religion. Aber es ist absolut leichtfertig, sich vorzustellen, man könne mit diesen als unangenehm empfundenen Formen von Religion dadurch fertig werden, dass man der Frage nach der eigenen religiösen Identität ganz und gar ausweicht und sich im Status eines religiösen Analphabeten einrichtet. Diese Gefahr aber ist in Mitteleuropa – und dabei ganz besonders in Deutschland – nicht von der Hand zu weisen. Ihr gegenzusteuern ist eine gemeinsame Aufgabe. Eine kundige, aber auch kritische theologische Auseinandersetzung mit der religiösen Situation der Gegenwart hat für mein Verständnis eine hohe Priorität; entsprechende Erwartungen richten sich ganz besonders an die theologischen Fakultäten. Ein klares Profil der Kirchen, die bewusste Anerkennung ihrer missionarischen Situation eingeschlossen, gehört ebenso zu den notwendigen Konsequenzen wie die Einsicht, dass religiöse Bildung ein unaufgebbares Element der allgemeinen Bildung darstellt.

Vor allem verbindet sich mit den Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit auf eine neue Weise die Präsenz der Gottesfrage. Im unmittelbaren Betroffensein durch erschütternde Ereignisse wie den 11. September, durch das Massaker von Erfurt, durch Flugzeugunglücke über dem Bodensee oder in Luxemburg oder durch andere große Unglücksfälle suchen Menschen Zuflucht in der bergenden Sprache der Psalmen; zugleich aber stellt sich ihnen die Gottesfrage in neuer Intensität. In Schulen ist das besonders unmittelbar zu spüren. Dem Religionsunterricht wächst in solchen Situationen eine wichtige und unvertretbare Aufgabe zu.

3. Religiöse Bildung und Werteerziehung

Diese Überlegungen zeigen, dass die gegenwärtige Debatte über religiöse Bildung als Teil der allgemeinen Bildung von gefährlichen Verengungen bedroht ist. Eine solche Verengung besteht darin, den Religionsunterricht umstandslos als Teil eines „wertorientierten Unterrichts“ anzusehen und seine wichtige, ja vielleicht sogar seine einzige Aufgabe in der „Wertevermittlung“ zu sehen. Gegen eine solche Verengung muss klargestellt werden: Ein Verständnis für Religion zu ermöglichen ist mehr als Werte zu vermitteln. Deshalb ist es verkehrt, die Aufgaben des Religionsunterrichts ausschließlich aus der Perspektive der Wertevermittlung zu betrachten. Die Eröffnung einer begründeten Handlungsorientierung (“Werte”) ist nur ein Teil dessen, worum es in der Religion geht. Es geht in ihr um die Wahrnehmung und die Gestaltung des Verhältnisses zu Gott, zu der von Gott geschaffenen Welt, zum Mitmenschen und zu sich selbst.

Wenn man religiöse Bildung als Ausgang aus religiösem Analphabetismus versteht, dann verbinden sich damit drei vorrangige Aufgaben: Diese Bildung muss religiös lese- und sprachfähig machen. Religiöse Zeichen zu verstehen und mit der religiösen Sprache umgehen zu können, ist ein erstes Ziel. Diese Bildung muss sodann religiös urteils- und kritikfähig machen. Die Kenntnis des Fremden wie die Beheimatung im Eigenen sind dafür unerlässliche Voraussetzungen; Kriterien für den Umgang mit bedrohlichen Formen der Religion sind unerlässlich. Und schließlich: Religiöse Bildung vollzieht sich nur, wenn in ihr nicht nur das Reden über Religion, sondern auch das religiöse Reden selbst Raum hat (W.Härle).

Auch wenn religiöse Bildung einen unverwechselbaren Beitrag zur Werteerziehung leistet, geht ihre Bedeutung darüber doch weit hinaus. Sie macht deutlich, dass Religion ein eigenständiger Bereich unseres Lebens und unserer Kultur ist. Sie vermittelt Kenntnisse und befähigt zu einem eigenen Urteil in diesem wichtigen Bereich. Sie lehrt, im Bereich religiöser Phänomene zu unterscheiden und dialogfähig zu sein. Sie bereitet junge Menschen darauf  vor, vom Grundrecht auf Religionsfreiheit einen eigenständigen Gebrauch zu machen. In dieser Befähigung zur mündigen Inanspruchnahme des Grundrechts auf Religionsfreiheit sehe ich eine besonders wichtige Aufgabe des Religionsunterrichts. Gerade angesichts einer Tendenz, Religionsfreiheit vorwiegend nur noch als negative Religionsfreiheit zu verstehen, sollte man mit dieser Aufgabe des Religionsunterrichts sorgsam umgehen. Im Blick auf diese Aufgabe verstehen wir den evangelischen Religionsunterricht als offen für alle suchenden und fragenden Schülerinnen und Schüler; aber wir geben seinen evangelischen Charakter deshalb nicht auf.

4. Religiöse Bildung in der Pluralität

Bei der Beschreibung der gegenwärtigen Situation greift man schnell zu der Aussage, wir lebten in einer multireligiösen und multikulturellen Situation. Doch so dringlich es ist, sich in einer Gesellschaft zurechtzufinden, die durch kulturelle und religiöse Pluralität gekennzeichnet ist, so notwendig ist es doch zugleich, dass Menschen zu einer geklärten kulturellen und religiösen Identität finden. Wer andere verstehen will, braucht auch Klarheit darüber, wo er selbst zu Hause ist und was die eigene Identität prägt. Das Verstehen des Fremden und die Ausbildung einer eigenen Identität gehören unaufhebbar zusammen. Nur dann kann sich ausbilden, was unsere Gesellschaft besonders dringlich braucht: eine Kultur der Anerkennung. Die wechselseitige Anerkennung, die wir um des Zusammenlebens willen brauchen, ist dabei mehr als bloße Toleranz.

Von der pluralistischen Situation unserer Gesellschaft kann auch der Religionsunterricht nicht absehen. Aber der oft geforderte “interreligiöse Dialog” in der Schule erweist sich häufig als Projektion einer Erwachsenenphantasie. Diese überschätzt die Möglichkeiten eines unterrichtlichen Dialogmodells. Denn Unterricht muss Schülerinnen und Schüler mit dem “Material” vertraut  machen, das sie dann im Diskurs auch argumentativ einsetzen können. Deshalb muss auch der Religionsunterricht sich weit stärker zur Vermittlung von Inhalten bereit finden, als dies in der Phase eines vorwiegend “problemorientierten” Unterrichts der Fall war. Glaubenswissen ist sein wichtigster Inhalt. Zum christlichen Religionsunterricht gehören aber neben den Kenntnissen über die biblischen Grundlagen, die geschichtlichen Ausformungen und die gegenwärtigen Erscheinungsweisen des christlichen Glaubens auch elementare Kenntnisse über nichtchristliche Religionen. Wo das eine wie das andere fehlt, ist der “interreligiöse Dialog” eine Chimäre. Wo dagegen solche Kenntnisse vermittelt werden, wächst auch die Fähigkeit zum Dialog – in der Schule wie über die Grenzen der Schule hinaus.

5. Religiöse Bildung und Religionsfreiheit

Einerseits bildet Religion als eigenständiger Lebensbereich einen wichtigen und unaufgebbaren Teil des schulischen Bildungsauftrags. Andererseits muss der Staat als Träger der öffentlichen Schule sich um der Religionsfreiheit willen in der Bestimmung dessen, was Religion ist, zurückhalten. Diese Spannung hat der Verfassungsgeber dadurch gelöst, dass er den Religionsunterricht als ordentliches Unterrichtsfach eingerichtet hat, das nach den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt wird. Daraus ergibt sich, dass der christliche Religionsunterricht in der inhaltlichen Verantwortung der Kirchen steht. Dass er in diesem Sinn konfessionell bestimmt bleibt, schließt die Möglichkeit ökumenisch-kooperativer Gestaltung nicht aus, sondern ein. Aber die ökumenische Verantwortung für den Religionsunterricht kann nicht weiter gehen als die ökumenische Gemeinschaft der Kirchen selbst.

Aus der verfassungsrechtlichen Lage ergibt sich die Möglichkeit, einen islamischen Religionsunterricht einzurichten. Doch dazu müssen auf muslimischer Seite Partner erkennbar werden, von denen erwartet werden kann, dass sie zur Verantwortung für die Grundsätze zur Erteilung dieses Unterrichts bereit und in der Lage sind. Die Bereitschaft, die Religionsfreiheit der Muslime auch für diesen Bereich anzuerkennen, kann nicht bedeuten, dass die Verbindung von individueller und korporativer Religionsfreiheit aufgelöst wird, die das deutsche Religionsverfassungsrecht prägt.

Christlicher Religionsunterricht vermittelt nicht nur Kenntnisse in den Traditionen des Christentums, sondern eröffnet die Begegnung mit dem christlichen Glauben als gegenwärtiger Lebensform. Nur in dem Maß, in dem das gelingt, ist er dazu imstande, Wertorientierung für die Gestaltung des menschlichen Lebens weiterzugeben. Von einem Ethikunterricht – oder auch dem brandenburgischen Fach LER – unterscheidet er sich dadurch, dass er den Ort dieser Wertorientierung in einer “Ethik aus Religion”, nicht in einer “Ethik ohne Religion” sieht. Er enthält den begründeten und notwendigen Einspruch gegen eine gesellschaftliche Denkweise, die behauptet, die “Ethik ohne Religion” sei das allgemein Kommunizierbare, eine “Ethik aus Religion” sei dagegen auf einen – schrumpfenden – Binnenraum der Kirchen beschränkt.

Das Ergebnis dieser Überlegung heißt: Um des Themas der Religion wie um der Wahrung der Religionsfreiheit willen ist auch aus der Sicht des Staates, aber ebenso aus der Sicht der Kirchen die Verantwortung der Kirchen für die religiöse Bildung in den öffentlichen Schulen nicht zur Disposition zu stellen. Die religiöse Pluralität, in der wir leben, kann ein Anlass dazu sein, die Angebote religiöser Bildung auch in der Schule zu differenzieren. Dabei ist die Begegnung und Kooperation der so entstehenden Lerngruppen an gemeinsamen Themen ein unerlässlicher Bestandteil jedes in dieser Richtung zu entwickelnden Konzepts. Differenzierung und Begegnung bilden zusammen die angemessene Antwort auf Pluralität. Diese Antwort ist auch freiheitsfreundlicher als eine verordnete Einheit – mag diese verordnete Einheit in dem Monopolanspruch eines Ethikfachs mir religionskundlichen Anteilen oder in einem religionskundlichen Fach selbst liegen.

Eine beherzte Weiterentwicklung des Religionsunterrichts in der Gestalt eines ordentlichen Unterrichtsfach, das nach den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt wird, ist deshalb die angemessene Antwort auf die gegenwärtige Situation. Seine Einbettung in eine auf Kooperation angelegte Fächergruppe halte ich für die Richtung, in die diese Weiterentwicklung gehen sollte.

Ob Sie in Hamburg mit solchen Vorschlägen etwas anfangen können, müssen Sie selbst entscheiden.