Dialog zwischen EKD und Russischer Orthodoxer Kirche wird fortgesetzt

11. Juni 2002

Entgegen vieler Befürchtungen wird der theologische Dialog zwischen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Russischen Orthodoxen Kirche intensiv fortgesetzt. Auf der dritten Begegnung nach der Wende in Europa, zu der die EKD vom 1. - 7. Juni 2002 in die Evangelische Akademie Mülheim eingeladen hatte, einigten sich die beiden Delegationen unter der Leitung von Metropolit German und Bischof Rolf Koppe darauf, die gegenseitigen Beziehungen, deren Anfänge bis ins Jahr 1952 zurückgehen, trotz erheblicher Irritationen über die jüngste Erklärung der russisch-orthodoxen Bischofssynode über die "Beziehungen der Orthodoxen Kirche zu den Nichtorthodoxen" vom Jahr 2000, in der die Ökumene als eine Rückkehr zur Orthodoxie dargelegt wird, sowie der Stellungnahme der EKD zur "Kirchengemeinschaft nach evangelischem Verständnis", die die Leuenberger Konkordie als ökumenisches Modell auch für orthodoxe Kirchen empfiehlt, auszubauen und sie theologisch und praktisch weiter zu entwickeln. Der Ratsvorsitzende der EKD, Präses Manfred Kock, machte in selbstkritischer Weise deutlich, dass es darum gehen müsse, den Dialog in gegenseitiger Achtung vor der jeweiligen Identität des anderen zu führen. Die russisch-orthodoxe Seite stellte heraus, dass ihr Papier vor allem zur eigenen Selbstvergewisserung in einer schwierigen neuen Situation verfasst worden sei. Im Lichte der Ergebnisse der Sonderkommission des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) zur Frage der Beteiligung der orthodoxen Kirchen am Leben des ÖRK wurde mit Dankbarkeit festgestellt, dass sich die Delegationen in der Kapelle der Evangelischen Akademie ganz selbstverständlich zu gemeinsamen, abwechselnd evangelisch oder orthodox gestalteten Gebetsandachten versammelten und beim Thema Bildung und Erziehung eine der wichtigsten Herausforderungen in ihren jeweiligen Ländern sahen. Die Russisch-Orthodoxe Kirche versucht, Gespräche zwischen Kirche, Gesellschaft, Kultur, Staat und Wissenschaft in Gang zu bringen, um das Bewusstsein für die Verantwortung der Bürgerinnen und Bürger gegenüber Gott und den Menschen zu stärken. Einig war man sich auch darin, den Zugang orthodoxer Schülerinnen und Schüler zum Religionsunterricht an den Schulen in Deutschland zu fördern. Erzbischof Feofan aus Berlin wies auf die Notwendigkeit der Integration von orthodoxen Zuwanderern aus dem Bereich der ehemaligen Sowjetunion hin. Der lutherische Pastor Anton Tikhomirov aus St. Petersburg hob den Beitrag der Lutheraner zur Kultur Russlands hervor. Beide Delegationen nahmen zu Beginn des Dialogs an einem von Erzbischof Longin geleiteten Gottesdienst in Düsseldorf und zum Schluss an einem evangelischen Gottesdienst in Schwerte teil. Auslandsbischof Koppe wertete das Treffen, das in guter Atmosphäre stattfand, als eine Ermutigung dafür, auch die in den zwischenkirchlichen Beziehungen theologisch strittigen Fragen direkt miteinander zu besprechen.

Hannover, den 11. Juni 2002
Pressestelle der EKD


Der Wortlaut des Kommuniqués ist dieser Pressemitteilung angefügt.



KOMMUNIQUÉ

der 3. Begegnung im bilateralen Theologischen Dialog zwischen der Russischen Orthodoxen Kirche und der Evangelischen Kirche in Deutschland nach dem Neubeginn in Bad Urach (Bad Urach III)

I.

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hatte vom 1. -  7.  Juni 2002  zur  3. Begegnung  in der neuen Reihe des bilateralen Theologischen Dialogs mit der Russischen Orthodoxen  Kirche (ROK) in die Evangelische Akademie in Mülheim an der Ruhr eingeladen.


An dem Gespräch nahmen teil:


1. von Seiten der Russischen Orthodoxen Kirche:

Metropolit German (Timofejew) von Wolgograd und Kamyschin (Delegationsleiter)
Erzbischof  Feofan (Galinskij) von Berlin und Deutschland
Archimandrit  Iannuarij (Iwlijew), Dozent der Sankt Petersburger Geistlichen Akademie
Priester Wladimir Schmalij, Berater des Kirchlichen Außenamtes, Sekretär der Synodalen Theologischen Kommission, Lehrer der Moskauer Geistlichen Akademie
Alexey I. Osipov, Professor an der Theologischen Akademie, Moskau
Valerij A. Tschukalow, Assistent des Vorsitzenden des Kirchlichen Außenamtes, Moskau
(Hierodiakon Kiprian (Jaschtschenko), Dekan der pädagogischen Fakultät am St. Tichon-Institut in Moskau, war leider im letzten Moment an der Teilnahme verhindert)

2. von Seiten der Evangelischen Kirche in Deutschland:

Bischof  Dr. h.c. Rolf  Koppe, Leiter der Hauptabteilung Ökumene und Auslandsarbeit im Kirchenamt der EKD, Hannover (Delegationsleiter)
Pfarrer Professor Dr. Christof Gestrich, Berlin
Oberkirchenrätin Pfarrerin Dr. Dagmar Heller, Hannover
Pfarrer Direktor Siegfried T. Kasparick, Brandenburg
Religionspädagoge, Diplom-Pädagoge Karl Kruschel, Schwerte
Oberkirchenrat i.R. Pfarrer Dr. h.c. Claus-Jürgen Roepke, Gräfelfing
Pfarrerin Dr. Ariane Schneider, Erlangen
Pfarrer Professor Dr. Günther Schulz, Münster
Pfarrer Professor Dr. Dr. h.c. Reinhard Thöle, Bensheim (Berater)

3. Gäste:
Pfarrer Anton Tikhomirov, Erlangen (ELKRAS)
Landespfarrer Hans-Peter Friedrich, Düsseldorf
Pfarrer Michael Hübner, Erlangen
Diplomtheologin Anna Briskina, Heidelberg

4. Eingeladene Referierende:
Professor Dr. Christof Scheilke, Münster
Landeskirchlicher Schuldirektor Winfried Walter, Düsseldorf
Akademiedirektorin Dr. Sybille Fritsch-Oppermann
Präses Manfred Kock, Vorsitzender des Rates der EKD, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland

5. Stab:
Marianne Grefer, Hannover
Erzdiakon Dr. Georg Kobro, Penzing (Dolmetscher)
Frau Nadja Simon, Pulheim (Dolmetscherin)

Die Sitzungen der Dialogberatungen wurden abwechselnd von Metropolit German und Bischof Dr. Rolf Koppe moderiert.
Die gesamte Begegnung wurde durch ein gemeinsames geistliches Leben in Morgen- und Abendgebeten begleitet, die abwechselnd von orthodoxer und evangelischer Seite gestaltet wurden.

Die Teilnehmenden am Dialog danken der EKD für die Einladung zu dieser Begegnung und die Gastfreundschaft sowie der Evangelischen Akademie in Mülheim, die einen hervorragenden äußeren Rahmen für solch ein Gespräch bot.

Die Dialogpartner hatten sich im Vorfeld auf zwei Hauptthemen geeinigt:
a) Religiöse Bildung und Erziehung
b) Zwischenkirchliche Beziehungen: Situation und aktuelle Dokumente.

II.

Religiöse Bildung und Erziehung

Für die EKD hielt Professor Scheilke (Comenius-Institut, Münster) das grundlegende Referat unter dem Titel "Bildung in evangelischer Verantwortung. Auftrag, Aufgaben und Perspektiven": Der biblische Auftrag und der reformatorische Ansatz zur Bildung umfasst die Verantwortung für eine religiöse Bildung im persönlichen, gesellschaftlichen und kirchlichen Bereich. Dies geschieht in Auseinandersetzung mit den gegenwärtigen gesellschaftlichen Herausforderungen (wie z.B. der Privatisierung von Religion, dem Pluralismus, der öffentlichen Präsenz anderer Religionen). Exemplarisch wurde diese umfassende Verantwortung für religiöse Bildung in den Bereichen der biographischen Begleitung, der evangelischen Kindertageseinrichtungen, der Arbeit mit Konfirmand(inn)en und Jugendlichen, der Evangelischen Schulen und der Erwachsenenbildung entfaltet.

In der Diskussion wurde auf die Beziehung von Bildung und Gottesebenbildlichkeit und auf die Unverfügbarkeit von Bildung im Sinne der Verwandlung des Menschen in das Bild Christi (2.Kor.3) Wert gelegt. Weiterhin ging es um das möglichst weit reichende Angebot einer christlichen religiösen Bildung für alle. Außerdem wurde die Frage der kirchlichen

Bindung und Fortbildung der Vermittler religiöser Bildung diskutiert.

Professor Osipov hielt ein Referat über "Einige Grundsätze der geistlichen Ausbildung in der Russischen Orthodoxen Kirche". Darin gab er eine in drei Epochen gegliederte Übersicht über die 1000jährige Geschichte der geistlichen Ausbildung in Russland. In der Gegenwart zeigt sich das Bestreben, in der geistlichen Ausbildung Antworten auf die aktuellen Probleme im kirchlichen und sozialen Leben zu geben. Die wichtigsten Grundsätze der modernen geistlichen Ausbildung sind ihre soteriologische Orientierung, die Ganzheitlichkeit der christlichen Lehre und des christlichen Lebens, ihre Universalität und Offenheit. In der Diskussion wurde auf die Bedeutung eines vorbildlichen Lebens der Lehrenden (z.B. in den Klöstern) hingewiesen. Gleichfalls wurde die Notwendigkeit unterstrichen, die Sprachen in der Kirche und in der Welt zueinander in Beziehung zu setzen.

Berichtet wurde von Frau Dr. Sybille Fritsch-Oppermann über den Auftrag der Evangelischen Akademien am konkreten Beispiel der Evangelischen Akademie Mülheim. Die Arbeit der Evangelischen Akademien bietet Raum, aktuelle und neue Entwicklungen an der Schnittstelle zwischen Kirche und Gesellschaft kompetent, umfassend und interdisziplinär ins Gespräch zu bringen. Die orthodoxen Teilnehmer fügten im Gespräch ihre Erfahrungen bei, in denen die ROK eine wichtige Plattform für Gespräche zwischen Kirche, Gesellschaft, Kultur, Staat und Wissenschaft in Russland bietet.

Herr Winfried Walter berichtete über den Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen in Deutschland. Dieser Unterricht wird - von Ausnahmen abgesehen - in Deutschland auf der Basis der Verfassung (Art. 7,3) im Zusammenwirken mit dem Staat als konfessioneller Unterricht durchgeführt. Dabei sind die Kirchen für den Inhalt und der Staat für den organisatorischen Rahmen des Unterrichts verantwortlich. Dank anhaltender intensiver pädagogischer Bemühungen der Kirchen erfreut sich dieser Unterricht in der Gesellschaft, bei Eltern, Kindern und Jugendlichen weitreichender Akzeptanz.

Der Vortrag von Hierodiakon Kiprian Jaschtschenko ( in dessen Abwesenheit vorgelesen ) zum Thema "Das System der orthodoxen Ausbildung in Russland, gestern, heute und morgen" enthielt Informationen über den starken Impuls, den die orthodoxe Ausbildung in Russland nach der Feier des Milleniums der Taufe der Rus und den politischen Veränderungen erhalten hat. Es wurde über das schnelle Wachstum unterschiedlicher Formen und Methoden der orthodoxen Ausbildung von Kindern und Erwachsenen berichtet. Die Zusammenarbeit der ROK mit dem Ministerium für Bildung in Russland bietet zum ersten Mal die Möglichkeit für den Unterricht der Theologie an den weltlichen Universitäten und anderen Hochschulen. Zugleich wurde eine Reihe von Schwierigkeiten wie der Mangel an qualifizierten Fachkräften, Räumlichkeiten, materiellen und technischen Hilfsmitteln erwähnt. In der Diskussion wurde auf die in den letzten Jahren entstandenen Kontakte mit Bildungseinrichtungen im Ausland, so z.B. mit der Humboldt-Universität in Berlin hingewiesen. Außerdem wurden als Wünsche formuliert, (1.) die akademischen Kontakte zwischen vergleichbaren Institutionen (z.B. Fakultäten, Instituten) zu intensivieren, (2.) in beiden Kirchen den Erwerb von Fremdsprachenkenntnissen zu unterstützen, (3.) die Hilfe bei der Beschaffung theologischer Literatur, bei der Übersetzung und beim Austausch zu verstärken.

III.

Zwischenkirchliche Beziehungen: Situation und aktuelle Dokumente

1. Bischof Koppe und Prof. Thöle informierten über den Helsinki-Bericht von der Sitzung der Sonderkommission über die Mitarbeit der orthodoxen Kirchen im Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK), die vom 27. Mai bis 2. Juni 2002 in Järvenpää stattfand und deren Ergebnisse im August diesen Jahres dem Zentralausschuss des ÖRK vorgelegt werden. Dort wurde ein Vorschlag erarbeitet, für die ÖRK-Entscheidungen ein Konsensmodell zu verwenden und neben dem Status der Mitgliedschaft im ÖRK die Möglichkeit eines assoziierten Anschlusses zu schaffen. Besondere Aufmerksamkeit soll in der Arbeit des ÖRK in Zukunft dem Zusammenhang von Ekklesiologie und Fragen des gemeinsamen Gebets gelten. In der Diskussion sprachen die Teilnehmenden über die Notwendigkeit, dass der ÖRK sich in seinen Arbeitsformen wie in seinem Selbstverständnis weiter entwickelt. Von besonderem Interesse für die Teilnehmenden am Dialog waren die Vorschläge der Sonderkommission im Hinblick auf gemeinsame konfessionelle und interkonfessionelle Gebete. Beide Dialogpartner waren sich einig in der Bedeutung einer weiteren Zusammenarbeit von Orthodoxen und Protestanten im ÖRK.

2. Archimandrit Iannuarij (Iwlijew) trug den Teilnehmenden am Dialog in einem Referat "Das Konzept der Beziehungen der Russischen Orthodoxen Kirche zu den Nichtorthodoxen" vor. Es enthielt eine umfassende Übersicht des auf der Jubiläums-Bischofssynode der ROK im Jahr 2000 verabschiedeten Dokumentes "Grundlegende Prinzipien der Beziehungen der Orthodoxen zu den Nichtorthodoxen". Es wurde darauf hingewiesen, daß das Papier auf eine bestimmte kirchliche Situation in Rußland eingeht und von daher in erster Linie für den innerkirchlichen Gebrauch bestimmt war.

Professor Gestrich hielt ein Referat über "Ökumene und zwischenkirchliche Beziehungen aus der Sicht der EKD - gegenwärtige Situation und aktuelle Dokumente".

In diesem Vortrag referierte er den reformatorischen Ansatz für ein Verständnis von Kirchengemeinschaft, beschrieb das Verhältnis zwischen den Kirchen im 20. Jahrhundert, gab einen Rückblick auf die Dialoge mit der ROK und beschrieb Reaktionen auf "Die grundlegenden Prinzipien" der Moskauer Bischofs-Synode. Danach stellte er die Hauptthesen des neuen Textes "Kirchengemeinschaft nach evangelischem Verständnis. Ein Votum der EKD zum geordneten Miteinander bekenntnisverschiedener Kirchen" (2001) dar. Wesentlich kam es ihm darauf an, dass die christologische Ausrichtung in der weltweiten theologischen Diskussion durch ein Verständnis einer "Gemeinschaft des Heiligen Geistes" (2 Kor 13.13) erweitert wird. Das Ziel der ökumenischen Weltarbeit sei nicht der Sieg eines bestimmten Kirchentyps, sondern die enge Freundschaft und konziliare Gemeinschaft verschiedener Kirchen. Die Möglichkeiten, um zwischen dem orthodoxen Verständnis von Sobornostj und dem evangelischen Verständnis von zwischenkirchlicher Gemeinschaft (Confessio Augustana VII und Leuenberger Konkordie) Verbindungsglieder zu finden, seien noch nicht ausgeschöpft.

Präses Manfred Kock, der Vorsitzende des Rates der EKD, gab einen Bericht über die Reaktionen, die das von der EKD veröffentlichte Papier "Kirchengemeinschaft nach evangelischem Verständnis" in Deutschland hervorrief. Dabei wurde deutlich, dass die EKD ihre Position klar vertreten möchte und gleichzeitig ihr Votum selbstkritisch diskutiert. Als besondere Schwierigkeit benannte er, dass das Papier sowohl das eigene Konzept von Kirchengemeinschaft darstellen möchte und gleichzeitig sehr verkürzt versucht, die Beziehungen zu anderen Kirchen zu beschreiben. In der Diskussion betonte die orthodoxe Seite, dass, anders als im EKD -Papier behauptet, die evangelische Taufe seit langem von der Orthodoxen Kirche anerkannt sei.

Präses Kock ermutigte die Teilnehmenden am Dialog, das von Christus vorgegebene Ziel der Einheit fest ins Auge zu fassen. In der Diskussion wurde mit Dankbarkeit festgestellt, dass es dem Präses mit seinen Worten gelungen war, einander entgegengesetzte Positionen neu miteinander ins Gespräch zu bringen.

3. Ziel der mit diesen Referaten verbundenen Diskussionen war es, zu prüfen, inwieweit die vorliegenden Dokumente die Aussichten und den weiteren Verlauf des Bilateralen Dialogs zwischen der EKD und der ROK beeinflussen können.

Aus der EKD Delegation wurde in geschwisterlich offener Weise besonders an den Punkten des Moskauer Papiers Kritik geübt, nach denen es Aufgabe der Dialoge ist, den Partnern das orthodoxe Selbstverständnis darzulegen (4.2.) bzw. sie zu einem Prozess der Genesung und der Veränderung ihres dogmatischen Bewusstseins zu führen ( 4.4 ). Auch der z.T. apodiktische Charakter einzelner Kapitel wurde als beschwerlich und als Rückschritt in den Beziehungen empfunden. Die EKD - Seite wies darauf hin, dass das Dokument zwar das aus vielen Gesprächen bekannte Selbstverständnis der Orthodoxen Kirche wiedergibt, zugleich aber in deutlicher Form von einer nur eingeschränkten Kirchlichkeit der Nichtorthodoxen spricht. Gleichzeitig wiesen die EKD-Teilnehmenden mit Genugtuung auf jene Abschnitte des Papiers hin, in denen die Wichtigkeit des Dialogs betont wird. Dies setzt eine gegenseitige Dialogbereitschaft voraus, eine Bereitschaft, sich zu verstehen.

Die ROK - Vertreter wiesen in der Diskussion darauf hin, dass dieses Papier im Dialog mit den nichtorthodoxen Kirchen keinen Rückschritt bedeutet, sondern lediglich eine klare, systematische Darstellung des ekklesiologischen Selbstverständnisses der ROK, wie es immer wieder bei ökumenischen Gesprächen dargelegt wurde. Hierbei verbindet sich die Treue gegenüber dem eigenen ekklesiologischen Selbstverständnis mit einer Offenheit für den Dialog.

Im Verlauf der Diskussion einigten sich die Dialogpartner, dass ungeachtet der gegenwärtigen Schwierigkeiten eine Fortführung des Dialogs besonders zu Fragen der Ekklesiologie und der Beziehungen zur Ökumene erforderlich sei.

Beide Seiten halten es für zweckmäßig, dass der Dialog die vorhandenen Differenzen nüchtern und realistisch einschätze, die Identität der Dialogpartner achte und zugleich auf ein größeres Verständnis, auf eine größere Gemeinschaft in aller Verschiedenheit hinarbeite.

IV.

Weitere Informationen und Gespräche

Neben vielen informellen Gesprächen beschäftigten sich die Dialog-Teilnehmenden außerhalb der Hauptthemen mit folgenden Bereichen:

1. Die orthodoxe Seite informierte auf Anfrage über ihre Sicht des Begriffes "Kanonisches Territorium".

Hier wurde deutlich, wie schmerzlich die ROK es erlebt, wenn innerhalb ihrer Jurisdiktion, ihrer kirchlichen Strukturen und ihrer Gemeinden andere kirchliche Organisationen mit einer missionarischen Absicht willkürlich oder gar planmäßig aufgebaut werden und die Orthodoxe Kirche dadurch geschwächt wird. Die Dialogpartner bedauerten, dass solche Aktivitäten oft ohne Absprache mit der ROK durchgeführt werden.

2. Pfarrer Anton Tikhomirov gab einen Einblick in die Geschichte und Gegenwart der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Russland und anderen Staaten (ELKRAS), als unverzichtbarem Teil der Geschichte und Gegenwart Russlands. Dabei wurden die vielen guten und wertvollen gemeinsamen Erfahrungen dargestellt, sowie auf noch bestehende gegenseitige Unkenntnis und Vorurteile zwischen Orthodoxen und Lutheranern hingewiesen.

3. Erzbischof Feofan von Berlin und Deutschland berichtete aus dem Leben der Berliner Diözese des Moskauer Patriarchats.

Er erläuterte kurz die Geschichte der Russisch-Orthodoxen Gemeinden in Deutschland und ging dann auf die heutige Situation der 40 Gemeinden ein. Ein besonderes Problem stellen die Erwartungen vieler neuer Gemeinden dar, dass für Gebäude, Priester und Chöre gesorgt wird. Die Mittel und die Möglichkeiten der Berliner Diözese sind aber sehr begrenzt. Erzbischof Feofan dankte den anderen Konfessionen, für die vielfältige Unterstützung der Arbeit. Besonders wies er auf die Schwierigkeiten hin, für die vielen orthodoxen Kinder eigenen Religionsunterricht anzubieten. Auch seien die Informationen über die Orthodoxen Kirchen in den Schulen noch unzureichend. Bischof Koppe versprach, sich von Seiten der EKD für eine Verbesserung einzusetzen.

V.

Zum Auftakt des Dialogs nahmen die Dialogpartner betend an der Göttlichen Liturgie in der Kirche der Vertretung des Moskauer Patriarchats in Deutschland in Düsseldorf teil. Im Anschluss begrüßte Erzbischof Longin die Delegationen sehr herzlich. Metropolit German, Bischof Dr. Rolf Koppe und der Vizepräses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Nikolaus Schneider, richteten Grußworte an die Gläubigen. Anwesend waren auch der Vorsitzende der ACK Nordrhein-Westfalen, Eberhard Spiecker, als Vertreter der Landesregierung Peter Metten und der Generalkonsul der Russischen Föderation.
Mit einem gemeinsamen Mittagessen wurde dieser Besuch beendet.

Um den Dialogteilnehmenden aus Russland ein wenig von den Sehenswürdigkeiten der Umgebung zu zeigen, wurde am gleichen Tag ein Ausflug in das mittelalterliche Städtchen Zons am Rhein organisiert.

Am Mittwoch, den 5. Juni nahm der Ratsvorsitzende der EKD, Präses Manfred Kock, an den Nachmittagsberatungen teil und lud am Abend zu einem Empfang in die Evangelische Akademie ein. In seinem Grußwort wies er auf das Interesse der EKD an einer Weiterführung der Dialoge hin. Metropolit German betonte in seiner Entgegnung die lange gute Geschichte der Dialoge sowohl mit der EKD als auch mit dem Bund der ev. Kirchen in der DDR, erinnerte an die gute Zusammenarbeit zwischen EKD und ROK bei den Milleniumsfeierlichkeiten und betonte seine Hoffnung auf zukünftige enge Beziehungen. Prof. Günther Schulz überreichte dem Metropoliten die doppelbändige Ausgabe der Akten des für die Geschichte der ROK wichtigen Landeskonzils von 1917/18, die in russisch-deutscher Zusammenarbeit in Münster herausgegeben wurde.

Am Donnerstag hatten die Dialogteilnehmenden die Gelegenheit die evangelische Fachhochschule in Bochum kennenzulernen: Vorgestellt wurden die Fachbereiche Sozialwesen und Religions-/Gemeindepädagogik. Der Fachbereich Sozialwesen unterhält seit 10 Jahren eine Partnerschaft mit dem Gebiet Vologda, in die auch die Eparchie einbezogen ist.

Anschließend nahmen die Gesprächsteilnehmer an einem Gottesdienst in der evangelischen Gemeinde St. Viktor in Schwerte teil. Die Gemeinde St. Viktor unterhält seit vielen Jahren eine Partnerschaft zu russisch-orthodoxen Kirchengemeinden in Pjatigorsk.

VI.

Der theologische Dialog zwischen der EKD und der ROK hat inzwischen eine mehr als 40-jährige Tradition. In dieser Zeit sind die Beziehungen zwischen den beiden Kirchen nicht nur  durch die Behandlung theologischer Fragen, sondern auch durch Gespräche über die Situation in beiden Ländern vertieft worden, und man hat sich gegenseitig besser kennen gelernt. Seit den großen politischen Veränderungen in den letzten 10 Jahren haben sich die Rahmenbedingungen dieses Dialogs allerdings verändert, - wie bereits bei den Begegnungen in Bad Urach (1992) und Minsk (1998) festgestellt wurde. Das bis dahin bereits gewachsene Vertrauen hat es möglich gemacht, dass die Gespräche in Mülheim in einer freundschaftlichen und geschwisterlichen Atmosphäre stattfanden, in der auch schmerzhafte Dinge offen angesprochen werden konnten. Es wurde festgestellt, dass die beiden Kirchen jetzt an einem wichtigen Punkt in ihrem Dialog angelangt sind, an dem die schwierigen ekklesiologischen Fragen in ihrer Bedeutung für das ökumenische Miteinander deutlicher hervortreten.

Es war die allgemeine Auffassung auf  beiden Seiten, dass gerade jetzt der Dialog fortgesetzt werden muss und dass es unsere Aufgabe ist, in aller Offenheit an den schwierigen Fragen weiterzuarbeiten, um uns auch in Zukunft mit gegenseitiger Achtung, Verständnis und Liebe begegnen zu können und damit zu Versöhnung und Frieden in der Welt und zu einem gemeinsamen Zeugnis vom Evangelium Jesu Christi beizutragen.

Metropolit German
von Wolgograd und Kamyschin

Bischof Dr. Rolf Koppe
Leiter der Hauptabteilung
Ökumene und Auslandsarbeit im Kirchenamt der EKD


Dieses Kommuniqué wurde von den beiden Delegationsleitern unterzeichnet unter dem Vorbehalt der Herstellung einer ins Russische übersetzen Fassung.