Für den Frieden im Nahen Osten beten und sich engagieren

Der Jerusalemer Propst zur Aktionswoche des ÖRK

Der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) hat die Kirchen der Welt aufgerufen, sich im Rahmen einer internationalen Aktionswoche für einen gerechten Frieden in Israel und Palästina vom 4. bis 10. Juni zu engagieren. Neben Aktionen und Lobbyarbeit steht dabei auch das Gebet für den Frieden im Blickpunkt. Deshalb stellt die Evangelische Mittelost-Kommission der Evangelischen Kirche in Deutschland (EMOK) interessierten Gemeinden, Kreisen und Institutionen Gebete zur Verfügung, die im Gottesdienst am 8. Juni die Aktionswoche aufgegriffen werden können. Die Gebete sind in den Kirchen Jerusalems entstanden.

Der Vertreter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Jerusalem, Propst Uwe Gräbe, schreibt,  der Staat Israel begehe in diesen Tagen seinen 60. Geburtstag. Mit vielen Veranstaltungen und typisch mediterraner Festfreude würden jüdische Israelis überall im Land diesen Jahrestag feiern, Staatsbesucher aus der ganzen Welt aus diesem Anlass sich ein Stelldichein geben. Unter den Palästinensern und arabischen Israelis sei dagegen von Festfreude nicht viel zu spüren. Ein Teil von ihnen erinnere in diesen Tagen an die „Nakba“ oder „Katastrophe“, wie die Ereignisse vor sechzig Jahren von ihnen genannt werden. Andere würden still und bescheiden versuchen, am derzeitigen Tourismusboom teilzuhaben und so ihren eigenen Lebensunterhalt zu sichern. Denn die Sperranlage, die das Land durchzieht und Israelis von Palästinensern trennt, habe weite Teile der palästinensischen Wirtschaft gelähmt, begründet Uwe Gräbe.

Weiter schreibt der Propst über die Situation in der Jerusalemer Altstadt: „Gegensätze – an kaum einem anderen Ort der Welt ballen sie sich so sehr wie in Jerusalem. Und nahezu in der Mitte der Altstadt Jerusalems, im christlichen Viertel, liegt die Evangelische Erlöserkirche mit der angrenzenden Propstei. Sie ist fast direkte Nachbarin der Grabeskirche, dem Ort von Tod und Auferstehung Jesu Christi, an welchem orthodoxe, orientalisch-orthodoxe und katholische Christen nebeneinander ihre Gottesdienste feiern. Das Erlöserkirchengelände grenzt zudem unmittelbar an das muslimische Viertel der Altstadt, und auch das jüdische und das armenische Viertel sind nur wenige Dutzend Meter entfernt. Wer ganz in der Nähe das Jaffator durchquert, der unternimmt zugleich den Schritt von Ost- nach West-Jerusalem, aus dem palästinensischen Teil in die moderne jüdische Neustadt.“

Die Erlöserkirche wurde 1898 von Kaiser Wilhelm II eingeweiht, der damit an die Tradition des Johanniterordens anknüpfte, welcher hier seit dem Mittelalter ein Hospital unterhielt. Kirche und Propstei gehören zur Evangelischen Jerusalemstiftung, einer Stiftung der EKD. Arabischsprachige, englischsprachige und dänische Lutheraner sind an dieser Kirche ebenso zu Hause wie die evangelische Gemeinde deutscher Sprache. Sie alle sind fester Teil der vielgestaltigen und multiethnischen Jerusalemer Ökumene, zu der unter anderem auch Griechen, Armenier, Lateiner, Kopten, Syrer und Maroniten gehören.

Das Gebet, das der Propst  für die Sammlung der Gebete aus Jerusalem verfasst hat , soll im Juni an der Erlöserkirche gesprochen werden. Dazu erklärt Uwe Gräbe: „Wer hier betet, der betet nicht allein im Spannungsfeld eines politischen Konfliktes, sondern vor allem auch in einem multireligiösen, multikonfessionellen und interkulturellen Kontext. Die deutschsprachige Gemeinde lebt in enger Partnerschaft mit ihren palästinensischen Geschwistern an der selben Kirche – der „Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien und dem Heiligen Land“. Zugleich führt sie einen intensiven und vertrauensvollen Dialog mit israelisch-jüdischen Rabbinern und Akademikern. Während östlich und westlich der Kirche mitten im muslimischen und christlichen Viertel die Talmudschulen der aggressiv auftretenden, nationalreligiösen jüdischen Siedler immer weiter ausgebaut werden, halten die Gemeinden an der Erlöserkirche fest an ihrer Versöhnungsarbeit. Vertreter der israelischen Friedensbewegung sprechen regelmäßig auf den Gemeindeabenden der evangelischen Gemeinde deutscher Sprache; zuweilen treffen sie hier, im geschützten Raum, auch mit muslimischen und christlich-palästinensischen Gesprächspartnern zusammen. Die Gemeinde, die selbst auf beiden Seiten des Konfliktes lebt, empfängt jedes Jahr Tausende von Pilgern aus der ganzen Welt, um mit ihnen Gottesdienste zu feiern und ihnen die Realität in Israel und Palästina näher zu bringen. Der Sozialausschuss der kleinen deutschsprachigen Gemeinde sammelt jedes Jahr mehrere Zehntausend Euro, um in medizinischen Notfällen – vor allem unter den Palästinensern, aber auch unter Israelis – helfen zu können.“

Angesichts der oft verwirrenden Vielfalt sei es eine große Versuchung, jeweils nur das „eigene Jerusalem“ zu sehen und das „Jerusalem des Anderen“ auszublenden, erläutert Uwe Gräbe. Doch ein „nur jüdisches“ oder „rein palästinensisches“ Jerusalem oder auch ein Jerusalem ausschließlich der christlichen Heiligen Stätten sei seines Erachtens eine erschreckende Vision. Sie vergesse, dass jedem Menschen der „Andere“, sein Gegenüber, immer schon an die Seite gestellt ist. Womöglich stellt Gott selbst uns vor die Herausforderung, so zu beten, dass die Völker, Religionen und Konfessionen dieser Stadt und dieses Landes dabei im Gebet selbst zusammengehalten werden.

Hannover / Jerusalem, 27. Mai 2008

Pressestelle der EKD
Christof Vetter