Trennendes überwunden – Europa wächst zusammen

Rat der EKD begrüßt Osterweiterung der EU und bittet, am 13. Juni zur Wahl zu gehen

Der Erweiterung der Europäischen Union (EU) um zehn Staaten Ost- und Mitteleuropas am 1. Mai sei ein Hoffnungszeichnen. Das Verbindende unter den Völkern Europas sei stärker als das Trennende, erklärt der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland am heutigen Donnerstag, 29. April in Hannover. Das Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Menschen in den bisherigen Mitgliedsländern und in den Beitrittsländern wachse kontinuierlich auch durch die zahlreichen kirchlichen Partnerschaften.

Die Wahlberechtigten bittet der Rat eindringlich, am 13. Juni, zur Europawahl zu gehen und damit die Hoffnung auf ein geeintes und versöhntes Europa zu unterstützen. Dabei verkenne der Rat nicht, so heißt es in der Erklärung, „dass es bei aller großen Hoffnung in den bisherigen und in den zukünftigen EU-Mitgliedstaaten auch Ängste gibt“. Er trete dafür ein, dass die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger Europas ernst genommen werden, hoffe aber auch, „dass die Menschen im geeinten Europa nicht nur die wirtschaftliche Seite der Einigung sehen, sondern auch die gemeinsamen kulturellen Grundlagen Europas, die Prägekraft der Religion und die politische Verantwortung in der europaweiten Demokratie wahrnehmen“.

Die Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland im Wortlaut:

"Der 1. Mai 2004 ist ein wichtiges Datum, auch für die Kirchen in Europa, auch für die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD)! Mit dem Beitritt zehn neuer Mitgliedstaaten zur Europäischen Union wachsen West- und Osteuropa zu einem gemeinsamen politischen, wirtschaftlichen und geistig-kulturellen Raum zusammen. Der 1. Mai ist damit ein weiterer Schritt, Trennung und Entfremdung, die im vergangenen Jahrhundert durch Kriege und deren Folgen entstanden sind, zu überwinden. Staaten, die sich als ehemalige „Erzfeinde“ gegenseitig bekämpft haben, und Staaten, die über Jahrzehnte durch den „Eisernen Vorhang“ getrennt waren, verbinden sich immer stärker zu einem gemeinsamen Europa. Die bevorstehende Wahl zum Europäischen Parlament bietet den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit, die neue Europäische Union zu würdigen und zu bejahen.

Die Erweiterung um zehn Staaten in Ost- und Mitteleuropa ist ein Hoffnungszeichen: Das Verbindende unter den Völkern Europas ist stärker als das Trennende. Die Gegensätze, die durch die Kriege vergangener Jahrhunderte entstanden, haben nicht das letzte Wort behalten. Nachdem die Spaltung Europas durch Diktaturen und den Kalten Krieg überwunden ist, gilt es nun Gemeinsamkeiten zu vertiefen. Das Zusammengehörigkeitsgefühl der Menschen ist kontinuierlich gewachsen, auch wenn die Vielfalt der kulturellen Prägungen und der unterschiedlichen historischen Erfahrungen weiterhin von hohem Wert ist. Nun ist dafür zu werben, dass die Menschen in den bisherigen und zukünftigen EU-Mitgliedstaaten mit offenem Geist aufeinander zugehen. So kann aus der wirtschaftlichen und politischen Einigung eine versöhnende und versöhnte Gemeinschaft unter Europäern entstehen. Was sich in Europa entwickelt, kann auch zum Hoffnungszeichen für viele Konfliktsituationen in der Welt werden. Das vereinte Europa bleibt verpflichtet, den Blick über die eigenen Grenzen hinweg auf die Lage in Afrika, Asien und Lateinamerika, aber auch auf die Lage in den Ländern östlich der neuen Ostgrenze zu richten.

Der Rat bittet deshalb alle Wahlberechtigten eindringlich, sich am 13. Juni an den Wahlen zum Europäischen Parlament zu beteiligen und damit die Hoffnung auf ein geeintes, demokratisches und solidarisches Europa zu unterstützen.

Auch beim Zusammenwachsen zwischen Ost und West gilt: Nur wenn Menschen sich begegnen und aufeinander zugehen, schwindet die Angst. Viele christliche Gruppen und Kirchengemeinden in Europa haben seit Jahrzehnten über alle Grenzen hinweg Partnerschaften aufgebaut, durch die gegenseitiges Verstehen und Vertrauen möglich wurden. Schon lange pflegen Kirchen Beziehungen über die Grenzen, lange Jahre auch über die schmerzliche Grenze des Eisernen Vorhangs hinweg. Christen aller Konfessionen sind sich dabei begegnet und haben durch gemeinsame Initiativen und Projekte zur Versöhnung in Europa entscheidend beigetragen. Darauf lässt sich nun aufbauen; so kann die Zukunft gemeinsam gestaltet werden.

Dabei verkennt der Rat der EKD nicht, dass es bei aller großen Hoffnung in den bisherigen und in den zukünftigen EU-Mitgliedstaaten auch Ängste gibt. In West und Ost fragen viele besorgt, wie sich die anstehenden Veränderungen auf ihre soziale und wirtschaftliche Lebenssituation auswirken werden. Die einen ängstigt, dass Arbeitnehmer aus Osteuropa ihnen auf dem Arbeitsmarkt Konkurrenz machen könnten. Die anderen befürchten, dass bewährte soziale Strukturen durch ungezügelten Wettbewerbsdruck zerfallen könnten. Der Rat der EKD ist davon überzeugt, dass die Überwindung der Grenzen durch die Aufnahme der neuen Staaten in die Europäische Union letztendlich wirtschaftlichen, kulturellen und menschlichen Gewinn für alle mit sich bringt. Aber er tritt dafür ein, die wirtschaftlichen Sorgen der Menschen ernst zu nehmen. Zugleich hofft der Rat der EKD, dass die Menschen im geeinten Europa nicht nur die wirtschaftliche Seite der Einigung sehen, sondern auch die gemeinsamen kulturellen Grundlagen Europas, die Prägekraft der Religion und die politische Verantwortung in der europaweiten Demokratie wahrnehmen.

Zusammen mit den christlichen Kirchen aller Konfessionen Europas bekennt sich die EKD zu ihrer Verantwortung für den europäischen Einigungsprozess, wie sie in der gemeinsam unterzeichneten „Charta Oecumenica“ zum Ausdruck kommt:
„Aufgrund unseres christlichen Glaubens setzen wir uns für ein humanes und soziales Europa ein, in dem die Menschenrechte und Grundwerte des Friedens, der Gerechtigkeit, der Freiheit, der Toleranz, der Partizipation und der Solidarität zur Geltung kommen. Wir betonen die Ehrfurcht vor dem Leben, den Wert von Ehe und Familie, den vorrangigen Einsatz für die Armen, die Bereitschaft zur Vergebung und in allem die Barmherzigkeit.“ (Charta Oecumenica III.7)

Vor diesem Hintergrund hofft der Rat der EKD, dass bald eine Europäische Verfassung angenommen wird, in der sich die Europäische Union auf ihre gemeinsamen Werte verpflichtet. Das christliche Erbe Europas trägt als inspirierende Kraft dazu bei, die gemeinsamen Werte anzuerkennen, die Voraussetzung einer dauerhaften Einigung und Versöhnung sind. Der Rat der EKD setzt sich für ein Europa ein, das sich seiner christlichen Wurzeln bewusst ist und deshalb entschieden für die Menschenrechte, für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung eintritt."

Hannover, 29. April 2004

Pressestelle der EKD
Christof Vetter