Kock: Im ökumenischen Dialog redlich streiten

EKD-Ratsvorsitzender würdigt Walter Kardinal Kasper

In einem Grußwort anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde an Walter Kardinal Kasper hat der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Manfred Kock, am 10. Mai in Vallendar (Rheinland-Pfalz) zu Gelassenheit im ökumenischen Umgang der Kirchen aufgerufen. Klarheit, eigenes Identitätsbewusstsein und gegenseitiger Respekt seien notwendige Voraussetzungen des ökumenischen Dialogs.

Kock hob in seiner Würdigung des Leiters des Päpstlichen Rates für die Einheit der Christen, Walter Kardinal Kasper, seine besondere Sensibilität in Fragen des konfessionellen Miteinanders hervor. Zwar lebe das ökumenische Gespräch auch davon, dass man Unterschiede wahrhaftig benenne und kontrovers-theologische Sachfragen mit großem Ernst kläre, "aber das entscheidende Kennzeichen der Ökumene ist der Respekt vor dem Gegenüber." Dies habe der Kardinal bei aktuellen Gelegenheiten ebenso bewiesen wie in seiner Mitarbeit an gemeinsamen Texten der evangelischen und der katholischen Kirche.

Zweifellos sei das evangelisch-katholische Gespräch in Deutschland "in jüngerer Zeit auch belastet", sagte Kock. Texte zum Kirchenverständnis von evangelischer und katholischer Seite hätten sich um theologische Klarheit und deutliche Sprache bemüht, damit träten aber "unvermeidlich auch scharfe Kanten hervor, an denen Verletzungsgefahr besteht." Und angesichts mancher lebhafter Reaktionen auf die jüngste Enzyklika des Papstes zum Abendmahlsverständnis habe sich gezeigt, "wie dringend die Tugend der Gelassenheit im geschwisterlichen Umgang" gepflegt werden müsse.

Der ökumenische Dialog verdiene große Anstrengungen bei der gemeinsamen Suche nach der Wahrheit, sagte der Ratsvorsitzende. Das Ringen um die Überwindung von Trennendem verliere nicht an Bedeutung, "wenn dabei auch redlich gestritten wird."

Die ökumenische Verständigung bedürfe der Klarheit nach innen als "immer wieder neu zu leistende Selbstvergewisserung" und nach außen als Kenntlichmachung des eigenen Profils. "Nur wer sich seiner eigenen Identität bewusst ist und seine eigene Wahrheitseinsicht klar zu beschreiben weiß, kann sich auf die Suche nach gemeinsamer Wahrheit begeben", betonte Kock.

In diesem Sinne habe Kasper, der auch an der Spitze der römischen Kommission für die Beziehungen zum Judentum steht, die Orientierungshilfe zu Verständnis und Praxis des Abendmahls in der evangelischen Kirche gewürdigt. So verstehe und wünsche er sich ökumenische Partnerschaft, sagte Kock. "Denn dann werden wir unter unserem einen Herrn weiter in der Einheit wachsen und können uns gemeinsam den Herausforderungen unserer Zeit stellen."

Hannover, 8. Mai 2003
Pressestelle der EKD 
Silke Fauzi


Das Grußwort im Wortlaut:

Der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) Manfred Kock

Grußwort aus Anlass der Verleihung der Ehrendoktorwürde an Walter Kardinal Kasper am 10. Mai 2003 in der Philosophisch-Theologischen Hochschule der Pallottiner zu Vallendar

Sehr geehrter Herr Kardinal Kasper,

sehr geehrter Herr Kardinal Lehmann,

sehr geehrter Herr Rektor,

sehr geehrte Mitglieder der Professorenkonferenz dieser philosophisch-theologischen Hochschule,

sehr geehrte Gäste, liebe Brüder und Schwestern in Christus,
die Auszeichnung, die Sie, verehrter Herr Kardinal Kasper, heute erhalten, ist nicht die erste ihrer Art und - auch ohne prophetische Gabe traue ich mich, dies zu sagen - sie wird wohl auch nicht die letzte sein. In der Begründung der Fakultät für diese Ehrendoktorwürde wird hervorgehoben, dass Sie als ein ganz besonderer Vermittler gelten, als Vermittler zwischen historischen Einsichten und heutigem geschichtlichen Bewusstseinshorizont, als Vermittler im Gespräch der Christenheit mit anderen Religionen.

Aber Vermittler sind Sie noch auf eine ganz andere Weise, und dies herauszustellen soll mein Part sein.

Die Philosophisch-Theologische Hochschule der Pallottiner zu Vallendar ehrt Sie, lieber Herr Kardinal, als einen „Brückenbauer“ nicht nur zwischen Gestern und Heute, auch nicht nur zwischen den Religionen oder zwischen Kirche und Welt, sondern ebenso als Brückenbauer zwischen den christlichen Kirchen. Dieser Aspekt war der Hintergrund für Ihre Einladung an mich, verehrter Herr Rektor, und so danke ich Ihnen für die Ehre, heute dem Promovierten ein Grußwort und dem Geburtstagsjubilar einen nachträglichen Glückwunsch sagen zu können.

Als Leiter des Päpstlichen Rates für die Einheit der Christen sind Sie, verehrter Herr Kardinal, nicht nur direkt oder indirekt der Ansprechpartner für alle ökumenischen Bemühungen der römisch-katholischen Kirche weltweit, Sie sind auch ein Mensch bedeutsamer Gesten. Sehr berührt hat mich, dass Sie Anfang Februar in enger Abstimmung mit der Kommunität Sant’Egidio und in Aufnahme eines Anliegens des Papstes den evangelischen Pfarrer Paul Schneider als Märtyrer des 20. Jahrhunderts in einer würdigen Feier in St. Bartolomeo geehrt haben. Der Sohn Paul Schneiders und seine Tochter haben uns einen sehr bewegenden Bericht von dieser Feier geschickt. Dass Sie, lieber Herr Kardinal, sich für dieses Zeichen der Verbundenheit im Zeugnis der Märtyrer des 20. Jahrhunderts Zeit genommen und so viel Zuwendung gezeigt haben, ist ein eindrucksvoller Beweis für Ihre ökumenische Sensibilität. Zwar lebt das ökumenische Gespräch auch davon, dass man die Unterschiede wahrhaftig benennt und kontrovers-theologische Sachfragen mit großem Ernst klärt, aber das entscheidende Kennzeichen der Ökumene ist der Respekt vor dem Gegenüber. Dazu gehört auch die Achtung seiner besonderen Glaubenszeugen und die Anerkennung der spezifischen Berufungen des anderen. All dies gehört hinein in das gemeinsame Zeugnis der Christenheit vor der Welt. Vor ein paar Tagen haben Sie das - bei einer Veranstaltung zu Ehren von Bischof Scheele - in den wunderbaren Satz gefasst: "Die Welt braucht nicht unsere vereinigten Frustrationen, sondern unser gemeinsames Zeugnis der Botschaft des Evangeliums."

Aber Sie haben, lieber Herr Kardinal, nicht nur für diese Gemeinsamkeiten großes Gespür, sondern Sie haben auch an vielen großen wegweisenden Texten an herausragender Stelle mitgewirkt.

Bis zum heutigen Tage zehrt die Ökumene in Deutschland von der 1989 veröffentlichten und für die Herausforderungen beim Schutz des Lebens wegweisenden Schrift "Gott ist ein Freund des Lebens". Sie waren seinerzeit - am Anfang noch als Theologieprofessor, am Ende dann als Bischof von Rottenburg-Stuttgart - Mitglied der Arbeitsgruppe, die den Text vorbereitet hat. Über jetzt 15 Jahre hat dieser Text, zu dessen Entstehen Sie maßgeblich beigetragen haben, nichts von seiner Orientierungskraft und Aktualität eingebüßt. Auch die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ hat Ihnen besonders am Herzen gelegen.

Dass Sie auch in relativ stürmischen Gefilden weder klare Worte noch große Gelassenheit scheuten, sondern gerade damit Ihren Ruf als „Brückenbauer“ einzulösen vermögen, das soll heute besonders betont werden. Zweifellos war das evangelisch-katholische Gespräch in Deutschland in jüngerer Zeit auch belastet. Das Dokument „Dominus Iesus“, und unser Beitrag "Kirchengemeinschaft nach evangelischem Verständnis" sind Texte, die sich um theologische Klarheit und eine deutliche Sprache bemühen. Damit treten freilich unvermeidlich auch scharfe Kanten hervor, an denen Verletzungsgefahr besteht.

Wie dringend die Tugend der Gelassenheit im geschwisterlichen Umgang gepflegt werden muss, haben manche Reaktionen auf die neueste Enzyklika „Ecclesia de eucharistia vivit“ gezeigt. Gelassenheit ist etwas anderes als bloße Freundlichkeit. Gelassenheit kann entstehen, wenn auf beiden Seiten das Bewusstsein dafür wächst, wie notwendig die Klarheit nach innen wie nach außen ist.

Klarheit nach innen - damit meine ich die unabschließbare, immer wieder neu zu leistende Selbstvergewisserung. Das hatte uns auf evangelischer Seite ja auch dazu motiviert, sogar genötigt, die Klärungen zum evangelischen Verständnis und zur evangelischen Praxis des Abendmahls vorzunehmen, wie sie seit Januar in der Schrift "Das Abendmahl" vorliegen. Klarheit nach außen - damit meine ich den Vorgang, dass wir uns - in einer Zeit, in der vieles gleich gültig scheint und vielen damit gleichgültig wird - kenntlich machen und unser eigenes Profil zeigen müssen. Es gelingt uns freilich nicht immer, Selbstvergewisserung und Profilbildung auf der einen und die Würdigung all dessen, was uns verbindet, auf der anderen Seite in der Balance zu halten.

Der ökumenische Dialog verdient große Anstrengungen bei der gemeinsamen Suche nach der Wahrheit. Das Ringen um die Überwindung der kirchentrennenden Folgen theologischer Differenzen verliert nicht an Bedeutung, wenn dabei auch redlich gestritten wird. Nur wer sich seiner eigenen Identität bewusst ist und seine eigene Wahrheitseinsicht klar zu beschreiben weiß, der kann sich auf die Suche nach gemeinsamer Wahrheit begeben. Ganz in diesem Sinne haben Sie die jüngste Schrift des Rates der EKD, die eine Orientierungshilfe zu Verständnis und Praxis des Abendmahls in der evangelischen Kirche geben will, gewürdigt. So verstehe und wünsche ich mir ökumenische Partnerschaft: Klar und würdigend zugleich! Denn dann werden wir unter unserem einen Herrn weiter in der Einheit wachsen und können uns gemeinsam den Herausforderungen unserer Zeit stellen.

Sie, sehr geehrter Herr Kardinal Kasper, sind und waren immer bemüht, Enttäuschungen und Missverständnisse auf der einen wie auf der anderen Seite auszuräumen. Sie haben vieles ad bonam partem interpretiert und um gegenseitiges Verständnis geworben, jüngst erst wieder in der belgischen Zeitung "De Standaard" in einem Interview mit dem bezeichnenden Titel "Winterzeit". Dort haben Sie ausgeführt, dass das Interesse an der ökumenischen Bewegung zwar nachgelassen habe; aber zugleich - so betonen Sie - erlebten Sie in der Begegnung mit anderen Christen mehr Reife und Realismus. "Winterzeit" bedeutet daher nicht notwendig Tod oder Rückgang, sondern Konzentration und Kräftesammeln. In winterlicher Zeit spielen die Hoffnungen auf ein Wiedererwachen der Lebensgeister eine große Rolle. Hinzu kommt die Erfahrung und das beruhigende Wissen, dass nach jedem Frost auch wieder Tauwetter folgt. Sie sind nicht Anwalt ökumenischer Eiszeiten, sondern Prediger des ökumenischen Frühlings, auch wenn der eine oder andere „Schauer körnigen Eises“ oder auch noch einmal ein Frühlingsgewitter auf der Flur niedergeht, die aber voller Leben steckt, das zum Licht drängt.

Mit dieser Haltung sind und bleiben Sie einer der wichtigsten ökumenischen Brückenbauer. Das ist Grund und Anlass zur Mitfreude an der heutigen Ehrung. Ihr Dienst, die geistigen und geistlichen Gaben, die Sie dafür einbringen sind ein Geschenk des gemeinsamen Herrn der Kirche. Denn wir sind Gott dankbar dafür, dass Sie uns als ökumenischer Brückenbauer und als Verkündiger seiner guten Botschaft zugewandt sind. Gott segne Sie und den Dienst in Ihrer Kirche, nun gewürdigt und gestärkt als „geehrter Doktor“ dieser Hochschule.