Statement von Prof. Dr. Heiner Faulenbach

Vorstellung der Reformierten Bekenntnisschriften

Es gilt das gesprochene Wort!

Vorzustellen ist eine wissenschaftliche Edition reformierter Bekenntnisschriften, die im Auftrag der Evangelischen Kirche in Deutschland erfolgt.

Gestatten Sie mir zunächst eine theologisch-historische Reflexion zur Einführung.

Gott ruft uns in den Glauben. Die Kirche lebt mit und aus dem Bekennen. Auch gehört zum Grundwissen: Christen sind wir aufgrund des Taufbekenntnisses, bestätigt in der Konfirmation. Trotzdem kann jedem von uns überraschend die der Edition als Motto vorangesetzte Frage Jesu treffen: „Ihr aber, was sagt ihr, wer ich bin?“

Christen aller Zeiten geben durch das Bekenntnis bis zur Gegenwart ihre im Kern gleiche, aber in Begründungen, Zeitbezügen, Wortwahl wie unterschiedlich breiter Ausformulierung je neuen Antworten auf Jesu Frage. Sie geben sich dabei die Mühe, möglichst gemeinsam zu sprechen, um anzuzeigen, dass man in der Gemeinschaft der einen Kirche Christi lebt. Nach dem Maßstab weltlichen Urteils gehört es jedoch zum Grundgeschick der christlichen Kirche, dass solches Bekennen im gleichen Zeitraum an unterschiedlichen Orten mit differenten Kontexten von Personen oder Gruppierungen bemerkenswert abweichend akzentuiert wurde und wird. Zeiten und Verhältnisse bedingen die Ausrichtung des Bekennens, das Ringen um das je neu auszuformulierende Bekenntnis. Die Zeitläufe mit ihren Anforderungen an das Bekenntnis produzieren nach dem gleichen weltlichen Urteilsmaßstab auch eine Vielfalt von Bekenntnistexten. Da es die eine Frage Jesu gibt, muss also zur Kenntnis genommen werden, dass es darauf viele Antworten gibt. Wissenschaftsmethodisch bedeutet dies, nach Kriterien Ausschau zu halten, die nachvollziehbar begründen, warum bestimmte von Zeit, Ort und Personen abhängige Antworten die Qualität von Kirche bindendem Bekenntnis erhielten und haben. 

In einer allgemeinen Linie sei mit diesen Erwägungen verdeutlicht, warum an der Spitze der Einleitung zur heute mit einem ersten Band präsentierten Edition reformierter Bekenntnisschriften nicht nur ein Zitat aus dem Markusevangelium sondern auch ein Calvin-Zitat steht. In der Reformationszeit kam es zu einer  kirchliche Überlieferung weithin korrigierenden Rückbesinnung auf die Schriften Alten und Neuen Testaments, zu einem erneuerten Verständnis des Wortes Gottes. Das war so überraschend und von so vielfältigem Echo begleitet, dass evangelisches Bekenntnis zwar aus der Einheit des Glaubens beabsichtigt war, die Einheit der Kirche gewahrt werden sollte, sich das Bekennen aber faktisch nur in Variationen zeigen konnte, so dass aus der Wirkmächtigkeit des Wortes Gottes in der abendländischen Kirche Konfessionen mit je eigenem Bekenntnis wurden. Das gilt gleichermaßen für alle reformatorischen Richtungen. Das gilt nicht zuletzt für die auf Zwingli und Calvin zurückreichenden reformierten Kirchen. Damit ist auch markiert, dass alle Bekenntnisse Zeitzeugnisse, Dokumente einer Zeitgeschichte sind. Ja noch erstaunlicher, die alten Zeitdokumente lösten eine nur in reformierten Kirchen sich bis in diese Tage fortsetzende Kette periodisch gliederbarer Erneuerungen, Bestätigungen, Neuausrichtungen des reformatorisch-reformierten Bekenntnisses aus. Die hier vorzustellende  wissenschaftlich sich an höchsten Ansprüchen messende Edition reformierter Bekenntnisse dient mithin nicht allein einem historischen Interesse, sondern über die Geschichte reformierter Bekenntnisse wird der Weg in das aktuelle theologische Profil reformierter Kirchen gewonnen, sofern und solange sie sich theologisch immer wieder reformatorisch neu orientieren anhand des Wortes Gottes. 
 
Sieht man sich die Bekenntnistexte an, die auf evangelischer Seite entstanden sind, so gibt es gerade im Blick auf diese Edition ein die gesamte Forschungsgeschichte beherrschendes Grundproblem: Das Luthertum fand bis zu den Jahren 1577 / 1580 zu einem durch die Konkordienformel wie das Konkordienbuch abgeschlossenen Kanon seiner Bekenntnisschriften, deren Gültigkeit bis zur Gegenwart außer Frage steht. Die reformierten Kirchen führten zwar im ausgehenden 16. Jahrhundert eine Debatte über einen Kanon ihrer anzuerkennenden Bekenntnisse; diese blieb jedoch ohne verbindliches Ergebnis. Je neue Erfordernisse der Bekenntnisbildung erlaubten keinen normativen Abschluss. Das 17., 19. und 20. Jahrhundert verlangten Bekenntniserneuerungen. Reformierte Theologie, fokussiert im Bekenntnis, behielt gerade dadurch eine in dieser Formgebung christlichen Glaubens im gesamten Protestantismus einzigartige Lebendigkeit, ihre typische Zeitaktualität. 

Gestatten Sie mir zum anderen Bemerkungen aus der Entstehungsgeschichte dieser Edition.

Die Luther- und Calvin-Renaissance, die im ersten und zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts einsetzten, führten unter anderem zu einer Rückbesinnung auf die reformatorischen Bekenntnisse, enthalten diese doch in einer hohen Verbindlichkeit den theologische Ertrag aus dem Ringen um die Erneuerung der Kirche im 16. Jahrhundert. Das Ringen um das Wesen der Kirche wie ihren Weg war nach 1918 das Hauptthema theologischer und kirchlicher Auseinandersetzungen. Es war daher durchaus geboten, dass sich die organisatorische Spitze des deutschen Protestantismus, der Deutsche Evangelische Kirchenausschuss auf Anregung des Kirchenbundesamtes 1928 entschloss, eine Neuausgabe evangelischer Bekenntnisschriften auf den Weg zu bringen. Da die Rückerinnerung an das 400 Jahre zuvor abgefaßte, reformationsgeschichtlich wie kirchenrechtspolitisch tragende Augsburger Bekenntnis anstand, wurde zunächst eine wissenschaftlichen Editionsansprüchen wie der Förderung der theologischen Studien dienende Ausgabe der lutherischen Bekenntnisse, ihres seit 1580 festliegendes Kanons umgesetzt; diese Edition erschien 1930.
 
Im gleichen Zeitpunkt wurde 1928 jedoch auch beschlossen, eine gleichartigen Ansprüchen genügende Edition der reformierten Bekenntnisschriften auf den Weg zu bringen. Diese Aufgabenstellung kam einmal durch Frontstellungen im sogenannten Kirchenkampf während des Dritten Reiches nicht zum Ziel und andererseits gab es im Kreis der an der Edition zu beteiligenden Wissenschaftler kein abschließendes Einvernehmen über einen Textkanon.  Diese Auseinandersetzungen führten schließlich dazu, dass geschäftsführend allein Otto Weber durch die Kirchenkanzlei der Deutschen Evangelischen Kirche in die Verantwortung für die von allen Seiten gewünschte Edition genommen wurde. Er warb Mitarbeiter an. Eine zwischen Weber und anderen Gelehrten nachweisbare Uneinigkeit über den Textkanon, der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wie das Ableben wichtiger Mitarbeiter Webers führten zum Stillstand des Editionsprojektes. Nach dem Ende des Krieges nahm Weber die Aufgabenstellung nur zögerlich wieder auf, ab 1957 unterstützt durch eine beratende Herausgeberkommission. Sichtbare Fortschritte gab es bis zu seinem Tod im Jahr 1966 trotzdem nicht. Das hatte einen wesentlichen Grund darin, dass nochmals der Textkanon zur Debatte gestellt wurde und bezogen auf diesen jetzt erst alle wissenschaftliche Basisarbeit für die Edition, die Suche nach Originaltexten, Drucken wie Handschriften in ca. tausend Bibliotheken und Archiven organisiert und aufgenommen wurde. Diese Aufgabe übernahm und leistete unter Webers Regie seine Schülerin Hannelore Erhart. Frau Professor Erhart setzte diese Arbeiten auch nach Webers Tod fort. Es war nochmals eine ungeklärte, auf Widerspruch stoßende konzeptionelle Ausrichtung der Edition, die schließlich ab 1976 dazu führte, dass im Unterschied zu allen bisherigen Ansätzen im Auftrag der Evangelischen Kirche in Deutschland nun ein gleichberechtigt kollegial zusammengesetzter Herausgeberkreis mit der Umsetzung des Projektes betraut wurde. Die Leitung dieses Kreises übernahm Professor Gerhard Goeters. Vorrangige Aufgabe war es, dass durch Otto Weber wie Hannelore Erhart gesammelte Material zu sichten, dazu eigenständige Forschungen aufzunehmen und schließlich in gemeinsamer Bewertung aller Ergebnisse zu einem im Herausgeberkreis einvernehmlichen Urteil über den Textkanon zu kommen. Das wurde ein über zwanzig Jahre laufender mühsamer Entscheidungsprozess. Beim Tod von Herrn Goeters im Jahr 1996 lag zumindest und endlich eine durch die unterschiedlichen Einsichten in reformiertes Bekenntnis und seine Ausformungen abgesicherte Textliste vor, die breiter als je zuvor die gesamte Entwicklung reformierter Bekenntnisse erfaßt. Darauf lies sich aufbauen. Die kollegiale Leitung des Herausgeberkreises liegt seit 1996  in meiner Hand.

Herr Goeters hatte selbst umfangreich Arbeiten für diese Edition übernommen; nur rudimentär hatte er sie fertiggestellt. Die durch seinen Tod entstandene erhebliche Lücke konnte zwar durch die Gewinnung neuer Mitherausgeber und deren Arbeiten bald gefüllt werden, aber es trat doch nochmals eine aus der Summe vieler weiterer misslicher Umstände resultierende Verschiebung ein, bis der erste Band der Edition erstellt werden konnte.

Die von 1976 bis 1996 betriebene Forschung und Sachentscheidungen hatten zur Folge, dass ein Textkanon zunächst nur bis zum Jahr 1675, dem Zeitpunkt des Abschlusses der älteren reformierten Bekenntnisentwicklung, verabschiedet war. Dieser Textkanon bestimmt den wesentlichen Inhalt von vier Textbänden, deren erster vor uns vorliegt. In der mit diesem Band vorgelegten Einleitung zur Gesamtedition sind aus einem  tabellarischen Überblick 86 Texte entnehmbar, die in vier Bänden vorgelegt werden. Otto Weber wollte einst 40 Texte in seine Edition aufnehmen. Da vom Umfang wie der Zahl der Dokumente her nun mehr als das Doppelte vorgesehen ist, wird die Geschichte der reformierten Bekenntnisentwicklung in einer bisher noch nie erreichten Breite erfaßt und durch zugehörige Spezialeinleitungen historisch wie theologisch gemäß aktuellem Forschungsstand erläutert. Die angestrebte Leistung wird noch umfangreicher; wenn der abschließende fünfte Band mit Texten des 19. und 20. Jahrhunderts hinzugerechnet wird. Dieser Abschlußband ist vorprojektiert. Aber zu diesem Band sind noch intensive Forschungen, die zur Erweiterung der Textliste führen können, wie ein einvernehmlicher Beschluss des Herausgeberkreises nötig. Die hier anstehenden Arbeiten wurden seit dem Tod von Herrn Goeters zugunsten eines intensivierten Arbeitens an dem älteren Material vorläufig zurückgestellt.

Der Herausgeberkreis hat sich nach dem Tode von Herrn Goeters wie dem Ableben unseres England-, Schottland- und Amerika-Spezialisten Professor Walton erweitert und verjüngst; zwei schweizer und 10 deutsche Wissenschaftlicher sind derzeit in ihm vertreten. Wir sind zuversichtlich, dass durch die kollegiale Steuerung des Editionsprojektes, den Einbezug auch von Spezialisten z.B. aus den Niederlanden, Polen und Ungarn auch die weiteren Bände nach und nach zum Druck kommen werden. Alle Erfahrungen, die sich mir aus der bisherigen Forschung oder dem plötzlich Ausfall von Mitarbeitern eingeprägt haben, verwehren jedoch jede Festlegung auf konkrete Fristen. Versichern kann ich lediglich, dass alle bestrebt sind, die Abstände bis zum Erscheinen der weiteren Bände so klein wie möglich zu halten.

Gottes Wort in der antwortenden Gestalt des Bekenntnisses immer erneut wahrzunehmen, es auch in dieser Form zu verbreiten, das ist eine Grundaufgabe kirchlicher Leitungsverantwortung. Für den Herausgeberkreis danke ich daher der Evangelischen Kirche in Deutschland für den über alle Zeiten durchgehaltenen Entschluss, reformiertes Bekenntnis wissenschaftlich aufarbeiten zulassen und damit christlichem Glauben in seiner historisch angewachsenen, heue ökumenisch praktizierten Vielfalt zu dienen.

Hannover/Emden, 30. Januar 2003
Pressestelle der EKD