Betrachtung zum Psalm 23 aus Anlass der Reise des Rates der EKD nach Südafrika

Oberkirchenrat Volker Faigle

Auf Einladung südafrikanischer und namibischer Kirchen wird der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Präses Manfred Kock, am Freitag, 18. August 2000, eine zehntägige Reise ins südliche Afrika antreten. Der Ratsvorsitzende wird u.a. begleitet durch den Präses der Synode der EKD, Dr. Jürgen Schmude, Bischöfin Maria Jepsen, Hamburg, und Landessuperintendent Walter Herrenbrück, Leer.

Dies ist der erste offizielle Besuch des Rates der EKD seit der Unabhängigkeit Namibias und der endgültigen Abschaffung der gesetzlichen Rassentrennung in Südafrika. Kein außen- und entwicklungspolitisches Thema hatte den Rat und die Synode der EKD in den Jahren zwischen 1975 und 1994 so sehr beschäftigt wie die Frage der Apartheid und die Rolle der Kirchen in ihren Bemühungen um die Abschaffung dieser menschenverachtenden Rassenpolitik. Die Wunden der Apartheid klaffen noch weit auseinander und stellen die Kirchen im südlichen Afrika vor besondere Herausforderungen. Deshalb wird auch der Versöhnungsprozess inner- und außerhalb der lutherischen und reformierten Kirchen im Mittelpunkt des Interesses der Delegation stehen.

An einem Programmpunkt unserer Reise möchte ich Sie heute teilhaben lassen. Neben dem Ratsvorsitzenden und seiner Begleitung wird auch noch ein ganz besonderes "Delegationsmitglied" mit nach Südafrika reisen. Es ist eine Holzstatue, die den biblischen Guten Hirten darstellt. In dieser Betrachtung möchte ich den Guten Hirten weniger von seiner künstlerischen Gestaltung her würdigen; es geht mir eher um die Symbolik. Wenige Plätze dieser Erde symbolisieren unvorstellbares Verbrechen, das Menschen einander antun können so sehr, wie die Insel "Robben Island" im Atlantik, ca. 8 km von Kapstadt entfernt. Für 400 Jahre wurden dorthin Menschen, die der südafrikanischen Gesellschaft aus dem einen oder anderen Grund nicht genehm waren, verbannt. Lange Zeit, bis zum Jahre 1931, wurden auch Leprakranke dorthin gebracht. Um die Jahrhundertwende waren es ungefähr Fünfhundert.

Es war im Jahre 1890, als der anglikanische Priester, Father William Watkins, sich freiwillig von England zum Dienst unter den Leprakranken auf der Insel meldete. Father Watkins war es, der den Gedanken eines Kirchbaus durchsetzte. Und so wurde schließlich im Jahre 1895 auf der Insel eine kleine Kirche in der Form einer italienischen Basilika geweiht, die Kirche zum Guten Hirten. Den Leprakranken folgten die politisch Gefangenen. Darunter Nelson Mandela, der 19 von 27 Gefängnisjahren auf Robben Island verbracht hat. Zwei der vielen ehemaligen Gefangenen haben mit uns in unserer Kapelle des Kirchenamtes der EKD schon gebetet: der Kapstädter Erzbischof Winston Ndungane und erst vor vier Wochen der lutherische Bischof aus Johannesburg, Phaswana. Mandela beschreibt immer wieder die wichtige Rolle, die der Glaube für ihn während seiner Gefangenschaft spielte.

Das Hochsicherheitsgefängnis hat nun seine Tore geschlossen. Die Insel wird als Wiege des neuen Südafrikas bezeichnet und wurde durch die UNESCO zum Weltkulturerbe ernannt. Die Kirche zum Guten Hirten, im Volksmund auch Leprakirche genannt, wurde in den letzten Jahren unter großem Einsatz Freiwilliger und durch persönliche Spenden vollkommen renoviert. Während der Renovierungsarbeiten wurde anhand der Bilder und Beschreibungen der Kirche offenbar, daß zur Kirche bis vor wenigen Jahren eine Holzstatue gehörte, die den Guten Hirten darstellt. Sie stammte ursprünglich aus Oberammergau und wurde vor 70 Jahren auf die Insel gebracht. Im Laufe der Jahre war sie durch Witterungseinflüsse auf Grund des schlechten Zustands der Kirche zerstört worden und verschwand schließlich ganz.

Auf einer meiner Dienstreisen in Südafrika wurden mir Photographien über den guten Hirten vorgelegt und an Hand der wenigen noch vorhandenen Dokumenten ist uns gelungen, die Holzschnitzerwerkstatt in Oberammergau ausfindig zu machen. Der Holzschnitzer, Florian Lang, fand trotz seines spielerischen Einsatzes als Apostel Bartholomäus bei den diesjährigen Passionsspielen die Zeit, den Guten Hirten rechtzeitig fertigzustellen, den wir heute nach Kapstadt und Robben Island verabschieden. Durch die großzügige finanzielle Hilfe der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und Unterstützung der Lufthansa kann er nun in wenigen Tagen seine Reise antreten.

Wenn ich an den Guten Hirten von Robben Island denke, dann wird eine Facette des 23. Psalms deutlich, die sonst nirgends im Alten Testament zu finden ist, wenn vom Hirten die Rede ist. Es ist die persönliche Zuwendung des Hirten zu seinem Schutzbefohlenen. In anderen Passagen des Alten Testaments geht es ausschließlich um den Hirten und das ganze Volk. Im Psalm 23 steht jedoch der Einzelne im Mittelpunkt, dem sich der barmherzige und fürsorgende Herr auch und gerade in den dunkelsten Stunden seines Lebens zuwendet. Der Psalm 23 entwirft ein anderes Bild als das eines Schafs, das bedingungslos in der Masse einem Führer folgt. Der Mensch wird nicht nur als Teil eines Kollektivs gesehen. Die Gewißheit des Mitseins, der liebenden Verbundenheit Gottes gibt dem Einzelnen jene Sicherheit und Freiheit, die sich vor keiner Anklage und Bedrängnis fürchten und weder vor Tod und Teufel noch vor Engeln und Mächten zurückschrecken muß: Die Beterinnen und Beter des Psalms erhalten Gewißheit, daß sie nichts von der Liebe Gottes zu trennen vermag. Nelson Mandela und viele der heute politisch Verantwortlichen in Südafrika sprechen nicht selten über ihre Erfahrungen während ihrer Gefangenschaft, die Rolle der Kirchen und über ihren Glauben, aus dem große Vergebungsbereitschaft kommt.

Zur Renovierung der Kirche und zur Ankunft des Guten Hirten aus Oberammergau schreibt der frühere Insasse des Gefängnises von Robben Island, der anglikanische Erzbischof Ndungane, Kapstadt: "When my fellow prisoners and I were manhandled onto the ferry, which took us to the Robben Island prison, we experienced the darkest of days, epitomizing the alienation and separation of Good Friday. Little did we know that Sunday would be coming! The good news is that Sunday has come. A process of new beginning is in Place, a new hope has arisen. The restauration of the Church of the Good Shepherd is a powerful symbol of rebirth of our nation."

Am Mittwoch, 23. August 2000, wird der Ratsvorsitzende der EKD in der "Lepper Church" nach dem Besuch der Gefängniszellen auf Robben Island in einem feierlichen Gottesdienst mit Erzbischof Winston Ngungane den Guten Hirten aus Oberammergau übergeben. Dann wird aus dem Kunsthandwerk von Oberammergau wieder der "Gute Hirte von Robben Island".