Predigt zum 50-jährigen Jubiläum der Christuskirche in Lima/Peru

Rolf Koppe

Liebe Festgemeinde!

"Kommt her zu mir alle" steht über dem Portal Eurer Christuskirche. Dass der Ruf Christi wirklich für alle gemeint ist, geht daraus hervor, dass er auch auf Spanisch wiederholt wird: "Venid a mi todos". Im Evangelium des Matthäus im 11. Kapitel heißt es vollständig und inhaltlich genauer: "Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken".

Diese schöne Kirche ist vor 50 Jahren durch den hannöverschen Landesbischof Dr. Hanns Lilje eingeweiht worden. Ich weiß nicht, ob sich einer oder eine aus der Gemeinde noch an ihn erinnern kann, an den ziemlich kleinen Mann mit dem runden Kopf und den wenigen Haaren darauf. Damals war er neben Martin Niemöller der bekannteste deutsche Kirchenmann. Ich habe ihn noch als meinen Bischof gekannt. Als ich jetzt las, dass er 1954 hier gewesen ist, wurde ich daran erinnert, dass die hannöverschen Pastoren im sonntäglichen Fürbittengebet gebetet haben sollen: "Lieber Gott, wir bitten Dich auch für unseren Bischof, aber Du allein weißt, wo er gerade ist".

Heute grüße ich Euch ganz herzlich aus dem gegenwärtigen Hannover, aus der Stadt mit der größten Industriemesse der Welt, die gerade gestern nach 6 Tagen ihre Tore wieder geschlossen hat. Und aus der Hauptstadt des deutschen Protestantismus grüße ich Euch, aus dem Kirchenamt der EKD, das die Gemeinschaftsaufgaben von 23 Landeskirchen wahrnimmt, darunter die Pflege der Beziehungen zu den deutschsprachigen Gemeinden im Ausland und zu anderen Kirchen in aller Welt.
Ich überbringe die Grüße unseres Ratsvorsitzenden der EKD, Bischof Dr. Wolfgang Huber aus Berlin - sowohl an die Gemeinde hier als auch an die Pfarrfamilien aus den Nachbarländern, die sich zur Konferenz getroffen haben und an diesem Gottesdienst teilnehmen. Und ich möchte Euch allen gern sagen, dass sich viele, sogar ziemlich viele in Deutschland mit Euch verbunden fühlen. Nicht zuletzt deswegen, weil sich die Erinnerungen an die Zeit vor 50 Jahren häufen, die nicht nur mit den Zerstörungen durch das Naziregime und des Zweiten Weltkriegs zu tun haben, sondern auch mit dem deutschen Aufbruch von Handel und Industrie besonders in Lateinamerika und der geistigen Öffnung zu anderen Kulturen nach den 12 Jahren der Isolation.

Ja, es gab auch eine spürbare Hinwendung zum christlichen Glauben und zur Kirche. Kirchen wurden wieder aufgebaut und wie die Christuskirche hier neu gebaut - so viele in Deutschland bis hinein in die sechziger Jahre, dass sie heute in den Städten schon wieder zu einer Last geworden sind. Und die Deutschen öffneten sich vielen neuen Einflüssen aus den Vereinigten Staaten von Amerika: von der Musik des Rock'n Roll bis zur Evangelisationskampagne von Billy Graham - er lebt noch und ist jetzt 86 Jahre alt.

"Kommet her zu mir alle" - dem Heilandsruf folgten nicht nur viele Flüchtlinge und Auswanderer, sondern vor allem junge Leute, die auf der Suche nach neuer Orientierung waren. Es war die große Zeit der ökumenischen Bewegung: Katholiken und Protestanten nahmen sich gegenseitig als Christen zur Kenntnis, die lutherischen Kirchen entdeckten ihre weltweite Verbundenheit und protestantische und orthodoxe Kirchen schlossen sich im Ökumenischen Rat der Kirchen zusammen und erklärten: "Krieg darf nach Gottes Willen nicht sein". Indem wir uns an die Mühen des Wiederaufbaus und an den bald einsetzenden Glanz eines wirtschaftlich starken Landes, wenigstens was Westdeutschland betrifft, erinnern, wird uns bewusst, was sich wiederum in den letzten 15 Jahren in Europa und in der Welt verändert hat. Ist es nicht in der Tat so, dass sich nach den friedlichen Wenden wieder das Gefühl eingestellt hat, im Krieg zu leben? Ist nicht an die Stelle von Glaube, Liebe und Hoffnung das Gefühl der Bedrohung durch die Gewalt getreten, sowohl innerhalb von Staaten als zwischen Staaten und ganzen Regionen? Aber wem sage ich das in diesem Land, das so viel eigene bittere Erfahrungen gemacht hat und noch macht!

Jesus sagt im Evangelium für den heutigen Sonntag Misericordias Domini: "Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe". Das ist die eigentlich geistige-geistliche Wende, die der Selbstzerstörung und der Zerstörung anderer Einhalt gebieten kann und mit dem Wunder von Ostern zusammenhängt: nicht wir Menschen sterben für Gott, sondern Gott stirbt für uns Menschen, damit wir als seine Kinder leben können. Diesen Glauben setzen wir allen entgegen, die meinen, durch Angst und Schrecken die Welt am Ende besser machen zu können als sie jetzt ist - sei es, dass sie sich hoffnungslos unterdrückt fühlen oder sei es, dass sie sich so stark fühlen, dass sie glauben, keine Rücksicht nehmen zu müssen.

Der Friedensnobelpreisträger Erzbischof Desmond Tutu hat gerade ein neues Buch unter dem Titel veröffentlich "God has a dream" - "Gott hat einen Traum" - nämlich dass alle seine Kinder, welcher Religion sie auch angehören und wo auch immer sie leben, wie in einer großen Familie zusammenleben und Freud und Leid miteinander teilen. Wir kennen den großen Versöhner Südafrikas. Er ist nicht naiv, wenn er an die eine Schöpfung Gottes erinnert, in der sich die Menschen umeinander kümmern, um sich nicht gemeinsam zu Grunde zu richten.

Ich finde es großartig, liebe Gemeinde, dass Ihr Euch seit fast 40 Jahren um Kinder alleinstehender Mütter kümmert und dafür das Sozialwerk Casa Belen nicht nur gegründet habt, sondern aktiv am Leben erhaltet. Ich halte das für einen Teil der Friedensarbeit, die uns als Christen aufgetragen ist und die in der Barmherzigkeit des guten Hirten ihren Ursprung hat. Diakonie ist die Liturgie nach der Liturgie. Sie ist die Inkarnation des Lobes Gottes und unsere Antwort auf das Gefühl der Ohnmacht und der Gleichgültigkeit. Und damit wir gemeinsam über tausende von Kilometern hinweg in Verbindung bleiben und die Perspektive des Glaubens und der Liebe behalten, feiern wir Gottesdienst. "Um Gottes Wort zu hören und ihm in Gebet und Lobgesang zu antworten" - wie unser Reformator Martin Luther den Sinn des Gottesdienstes kurz zusammengefasst hat. Ich freue mich darüber, dass wir die neue digitale Orgel einweihen und ein Glaubensbekenntnis in Gebrauch nehmen können, das die Liebe Gottes von Anfang bis zum Ende in den Mittelpunkt stellt.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus unserem Herrn.

Amen