Begrüßung anlässlich des Ökumenischen Gottesdienstes zum Gedenken an die Opfer der Flutkatastrophe in Südasien

Wolfgang Huber

Berliner Dom

Es gilt das gesprochene Wort.

Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen. Mit dieser biblischen Aufforderung grüße ich Sie alle, liebe Gemeinde hier im Berliner Dom und liebe Zuschauerinnen und Zuschauer an den Bildschirmen, zu einem besonderen Gottesdienst. Den Überlebenden des Seebebens im Indischen Ozean gilt mein Gruß, in deren Leben nun diese Bilder des Schreckens eingezeichnet sind. Den Angehörigen und Trauernden, die hier unter uns sind oder die Übertragung des Gottesdienstes verfolgen, gilt in dieser Stunde unsere besondere Zuwendung und Nähe. Mit den betroffenen Menschen in der Region um den Indischen Ozean und in aller Welt müssen sie nach der Welle aus Wasser die Welle des Schmerzes und der Ungewissheit, der Angst und der Verletzung ertragen. Wir wenden uns in diesem ökumenischen Gedenkgottesdienst für die Opfer der Flutkatastrophe in Gebet und Gesang, in Stille und Hören an Gott und bitten ihn um Trost und Geleit. Mit großer Dankbarkeit nehmen viele Menschen das Zeichen der Anteilnahme und der Solidarität wahr, das Sie, Herr Bundespräsident, und Sie, Herr Bundeskanzler, zusammen mit vielen Vertreterinnen und Vertretern des öffentlichen Lebens und des diplomatischen Corps durch Ihre Teilnahme an diesem Gottesdienst geben. 

Erlebnisse aus unserer eigenen Geschichte werden wach, wenn wir nach Sprache suchen für das Entsetzen, das diese Welle in Südasien ausgelöst hat. Für manche von uns werden Bilder aus der Kriegszeit lebendig, an die uns die schrecklichen Bilder erinnern, die uns aus Phuket und Sumatra, aus Sri Lanka und Indien erreichen. Übermenschliche Anstrengungen zur Bergung von Verletzten und Toten kommen uns in den Sinn, wenn wir an die Leistung der Helferinnen und Helfer denken, die in den letzten Tagen Überlebende suchten und oft nur Tote fanden. Aufopfernd ist das Handeln derer, die sich bemühen, Tote zu identifizieren und ihnen damit ihren Namen, ihre Persönlichkeit, ihre Erinnerbarkeit wiederzugeben. Vielen werden ihre Liebsten nicht zurückgegeben werden; keinen Ort des Erinnerns werden sie haben; gerade mit ihnen trauern wir an diesem Tag.

Aber die gewaltige Welle der Flut in Südasien hat andere Wellen ausgelöst, die in uns Dankbarkeit und Hoffnung wecken. Dieser Tage sah ich in einem Bericht einen deutschen Arzt in Sri Lanka, der mit den Kindern ein Kinderlied einübte: „He's got the whole world in his hands“. Ein scheues Lachen huschte über die  kindlichen Gesichter, zaghaft meldete sich Fröhlichkeit in der Mitte von Verwüstungen; ich gestehe, dass mich das außerordentlich berührt hat. Einem jungen Mann bin ich vor wenigen Tagen begegnet, der seine Mutter in Sri Lanka verloren und mit seinem Bruder überlebt hat. Einheimische halfen den beiden weiter; zur Begründung sagten sie nur: „We are all human beings“. In beiden Szenen steckt das doppelte Bekenntnis, zu dem wir heute unsere Zuflucht nehmen: „He’s got the whole world in his hands.“ Und: „We are all human beings.“ Nur zwei Bilder sind das für die gewaltige Welle von Mitgefühl und Hilfsbereitschaft, die durch Deutschland, durch Europa, durch die ganze Welt geht. Darum wollen wir in dieser Stunde an all die Menschen denken, die vor Ort Kinder trösten und Kranke verbinden, die Verletzten Mut zusprechen und Hilfsgüter verteilen, die großes Geld und kleines Spielzeug spenden für.

Zuletzt die dritte große Welle, die wir nicht vergessen wollen: Es gehört zur Wahrheit auch des christlichen Glaubens, dass solche furchtbaren Unglücke auch die Zweifel an Gott und seiner Güte  nach oben spülen. Niemand verbietet uns die Frage nach dem Warum, die auch von Jesus selbst gestellt wurde: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Angesichts des Ausmaßes der Katastrophe sind wir in unserer Seele, in unserer Zuversicht, in unserer Hoffnung, in unserem Glauben angefochten. Gott scheint verborgen hinter dieser Welle. Darum wollen wir in dieser Stunde auch dies tun: Gott bitten, dass er uns stärkt und hält und tröstet in unserem Glauben, und uns Mut und Kraft gibt, weiterhin zu helfen.

Wir bitten Sie hier im Berliner Dom, aber auch Sie alle an den Bildschirmen, auch weiterhin an der Solidarität mit den Betroffenen festzuhalten und in der Kollekte am Ende dieses Gottesdienstes oder auch auf die nun im Fernsehen eingeblendete Bankverbindung nach Ihren Möglichkeiten zu spenden. Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.

Gott segne uns diesen Gottesdienst nach dem Reichtum seiner Gnade. Amen.