Ansprache aus Anlass des gewaltsamen Todes von Frère Roger Schutz, Gedenkandacht im Berliner Dom

Wolfgang Huber

Oculi nostri ad Dominum Deum – Unsere Augen sehen stets auf den Herrn. Er ist das Licht der Welt. Sein Wort zeigt uns den Weg.  In dieser Woche kommt es aus dem Jesajabuch zu uns: „Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.“ Dieses Wort weist uns den Weg, wenn wir in dieser Stunde an Frère Roger Schutz denken, an den Prior von Taizé. An dieses Wort halten wir uns, wenn wir den Schmerz über seinen unfassbaren Tod vor Gott bringen und tastend nach Worten suchen, um in diesem Schmerz zugleich auch den Dank für sein Leben auszudrücken, ein Leben im Glauben und für den Glauben.

Mit fassungsloser Bestürzung und in persönlicher Betroffenheit haben wir am vergangenen Dienstag Abend die Nachricht  über den gewaltsamen Tod von Frère Roger Schutz aufgenommen. Mir kamen unsere Gespräche und gemeinsamen Gebete wieder in den Sinn. An die Briefe musste ich denken, die ich mit ihm erst vor kurzem aus Anlass seines neunzigsten Geburtstags gewechselt hatte. Die eindrückliche Szene stand mir wieder vor Augen, wie er beim Trauergottesdienst für den verstorbenen Papst Johannes Paul II. auf dem Petersplatz in Rom aus der Hand des damaligen Kardinals Ratzinger als erster unter den dort versammelten Gläubigen überhaupt die Kommunion empfing. Fassungslos und bestürzt bin ich darüber, dass dieser Mensch einer solchen unbegreiflichen Attacke auf sein Leben zum Opfer fiel.

Als Gründer und Prior der Gemeinschaft in Taizé hat Roger Schutz unzählige gerade auch junge Menschen geprägt und eine geistliche Heimat finden lassen. Sein Tod in den Tagen des Weltjugendtages zeichnet diese Verbindung auf tragische Weise nach.

Roger Louis Schutz-Marsauche wurde am 12. Mai 1915 als Sohn eines protestantischen Pfarrers in der Schweiz geboren, seine französische Mutter stammte aus Burgund. Er studierte Theologie in Lausanne und Straßburg und wurde als Pastor ordiniert. Der Lebensweg Frère Rogers war bestimmt von einem tief im Glauben wurzelnden Engagement für die Ökumene. Im Jahre 1940 kaufte er in dem französischen Bauerndorf Taizé nördlich von Cluny, ein Haus, in dem er mit Gleichgesinnten eine Gemeinschaft gründet.e Er versteckte Juden vor den Nazis und gab Flüchtlingen Schutz. Die Brüder von Taizé nahmen sich deutscher Kriegsgefangener an und gaben Kriegswaisen ein Zuhause.

Zu Ostern im Frühjahr 1949 legten die ersten sieben Brüder ihr Gelübde ab. Sie bekannten sich damit zu einem Leben für Gott und den Nächsten nach den Evangelischen Räten. Dazu zählten Gütergemeinschaft, Ehelosigkeit und Gehorsam gegenüber dem Prior der Gemeinschaft. Frère Roger schrieb „Die Regel von Taizé“, um dem gemeinsamen Leben eine verbindliche Grundlage zu geben. Als Basis der gemeinschaftlichen Lebensform gilt von Beginn an die evangelische Freiheit. Trotzdem gab es manchen Widerstand in den evangelischen Kirchen gegen diese Lebensform. Doch nach und nach fand Taizé immer mehr Zustimmung und Anhängerschaft.

Schon bald wuchs die von Frère Roger gegründete Kommunität zu einer Quelle des ökumenischen Miteinanders. Ihre Mitglieder stehen bis auf den heutigen Tag ein für Geschwisterlichkeit, Versöhnung zwischen den Nationen und Konfessionen sowie zwischen Armen und Reichen. Ein Teil der Brüder lebt in enger Gemeinschaft mit sozial und wirtschaftlich benachteiligten Menschen. Das ist zur Zeit etwa in New York, in Bangladesch, in Südkorea, im Senegal oder in Brasilien der Fall. 1969 trat der erste Katholik der Kommunität bei. Heute leben in Taizé etwa 100 Brüder aus etwa 25 Nationen.

Für viele Menschen waren die Begegnungen mit Frère Roger und die Erfahrungen in der Gemeinschaft von Taizé prägend für ihr ganzes Leben. Die Möglichkeit des persönlichen Austauschs und insbesondere das gemeinsame Gebet haben viele Christen in ihrem persönlichen Glauben gewisser gemacht. An vielen Orten sind Abendgebete und Gottesdienste nach der Liturgie und mit den Liedern aus Taizé entstanden und den Menschen zur Heimat geworden. Einige Lieder aus Taizé haben einen festen Platz im Gesangbuch der Evangelischen Kirche in Deutschland und damit in den Gottesdiensten der evangelischen Kirchengemeinden gefunden.

Die europäischen Jugendtreffen sind für viele zu Quellen der Glaubensgewissheit und der ökumenischen Verständigung geworden. Einige von ihnen haben in Deutschland stattgefunden, zuletzt vor zwei Jahren mit Frère Roger in Hamburg. Das alles wurde möglich, weil der Prior von Taizé – getragen von einem tiefen Gottvertrauen - in allem Versöhnung, Trost und eine besondere Zuversicht ausgestrahlt hat. Er bleibt für viele Menschen eine Orientierung und ein Vorbild wie nur wenige.

Es ist besonders schrecklich und unfassbar, dass ein Mensch, dessen Ziel Frieden, Versöhnung und Gewaltlosigkeit war, nun durch einen Akt der Gewalt den Tod gefunden hat. Aber sein Zeugnis für Frieden und Versöhnung bleibt ebenso wie die Innigkeit seines persönlichen Glaubens ein Vermächtnis für die Zukunft.

Oculi nostri ad Dominum Deum – Unsere Augen sehen stets auf den Herrn. Er ist das Licht der Welt. Sein Wort lautet: „Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.“ Das Lebenszeugnis von Roger Schutz ist durch die Tat vom Dienstag nicht zerbrochen. Wir alle, die er ermutigt und inspiriert hat, werden das Licht weitertragen, das er und die Brüder von Taizé in uns entzündet haben. Die Lieder aus Taizé werden nicht verstummen. Eine Kerze des Gebets wird immer brennen. Die Sehnsucht nach der Einheit der Kirchen lebt ungebrochen fort. Das Leben von Frère Roger, dem evangelischen Pastor und ökumenischen Prior, lässt sich von niemand vereinnahmen. Es gehört Gott allein. Ihm befehlen wir diesen großen Bruder im Glauben an. Oculi nostri ad Dominum Deum.

Amen.