150 Jahre Deutsche Evangelische Gemeinde Den Haag (Mk 5, 26 – 32)

Antje Heider-Rottwilm

Festgottesdienst am Sonntag, dem 30.September 2007
Predigttext: Mk 5,  26 – 32

Die Gnade unseres Herrn Jesu Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen

Liebe Festgemeinde

Es geht auch an diesem Sonntag um nichts mehr und nichts weniger als um das Reich Gottes – um die Vision  von einer Zeit, von einer Wirklichkeit, in der Gott abwischen wird alle Tränen, in der die Blinden sehen, die Lahmen gehen und den Armen das Evangelium gepredigt wird, um das Reich der Gerechtigkeit und des Friedens, das mit der Geburt des Jesus von Nazareth angebrochen ist.

Jede Kirche, jede Gemeinde ist  ein Samenkorn, das wächst und treibt und größer wird und  Wurzeln und Raum bietet denen, die unterwegs sind auf dem Weg zwischen Geburt und Eingehen in den Tod, in der Hoffnung auf das ewige Leben im Reiche Gottes.

Davon redet Jesus in den beiden Bildern: erst in dem vom Samenkorn und dann dem vom Senfkorn. ‚Das Reich Gottes ist so...’ heißt es erst  - und dann: ‚wem wollen wir das Reich Gottes vergleichen, und durch welches Gleichnis wollen wir es abbilden?’

Heute an diesem Festtag der Gemeinde im Haag möchte ich die Bilder, die Jesus entfaltet, näher anschauen:

1. Das Reich Gottes, so sagt Jesus, ereignet sich, wächst uns zu. Jede Ähre war einmal ein Samenkorn, jeder noch so riesige Senfstrauch war einmal ein kleines Senfkorn.
Wir Menschen können sie nicht machen: Menschen versuchen zwar und oft mit Erfolg, Saatgut  zu verändern und zu verbessern. Manche von uns sind in großer Sorge, dass dieses zu unwiderruflichen Eingriffen in die Genstruktur führt und unwägbare Folgen für das Bio-System hat. Samenkörner werden gehandelt, Konzerne beanspruchen Rechte auf sie, so dass die Bauern in vielen Ländern von ihnen abhängig werden.

Wir können vieles Gute und vieles Problematische mit Samenkörnern anstellen, aber machen können wir ein Samenkorn nicht.  Es ist immer  gewachsen aus einer vorherigen Ähre, aus einem vorhergehenden Samenkorn. Es ist Teil einer unendlichen Kette von Werden und Wachsen.

Wir können das Samenkorn säen, aufs Land werfen. Im Gleichnis heißt es von dem Sämann: er schläft und steht auf Nacht und Tag - der Arme!
Wir können uns denken, was er dann tut; den Boden bereiten, das Unkraut ausreißen, gießen, düngen, beschneiden oder was immer. Aber Jesus sagt dazu weiter:‚Und der Same geht auf und wächst, ohne das er’s weiß. Denn die Erde bringt von selbst Frucht.’

Wir feiern heute Erntedankfest. Diejenigen unter uns, die jetzt oder früher auf einem Hof oder mit einem Gemüsegarten leben, können erzählen, wie froh  Menschen  sind, wenn endlich die Kartoffeln im Keller, die Gurken im Glas, der Kürbis eingelegt, das Korn in der Scheune, die Äpfel in den Regalen, die Nüsse auf dem Schrank, die Möhren und Rote Beete im Erdkeller lagern. Der Winter kann kommen. Dankbar schaute man in früheren Zeiten auf die Fülle und Farben, roch die Düfte, schmeckte die Köstlichkeiten, stillte den Hunger – und dankte Gott dafür, dass er wieder einmal alles hatte wachsen lassen.

Auch wenn es Dürre oder Sturm, Frost oder andere Plagen zur Unzeit gegeben hatte, das Lebensgefühl war Dankbarkeit, denn was gewachsen war, war aus Gottes Güte gewachsen. ‚Alle gute Gabe kommt her von Gott dem Herrn’ singen wir in einem Erntedanklied.

Sie schauen als Gemeinde heute auf das, was gewachsen ist in 150 Jahren Deutsche Evangelische Gemeinde Den Haag. Ihre Gemeinde ist Teil der einen  Kirche Jesu Christi, die aus der Verheißung lebt, dass das Reich Gottes nahe herbei gekommen ist. Dankbar können Sie - und wir Gäste mit Ihnen -  auf die Fülle dessen schauen, was in dieser langen, reichen Zeit geschehen  und gewachsen ist. Ob es die Zeit der Ähren ist, mag ich nicht beurteilen – aber wie aus dem  Senfkorn ein Strauch wächst, so ist doch aus den mutigen Anfängen vor 150 Jahren eine eindrucksvolle Gemeinde gewachsen. Auch wenn die Vögel unter dem Himmel hier eher im Gemäuer der Kirche oder im Pfarrgarten Schatten finden, so haben  doch in den Jahrzehnten viele Generationen von Menschen ‚unter dem Schatten wohnen können’. Das Bild von dem Vogel als Bild für die menschliche Seele, die Beheimatung und Schutz sucht, ist uns ja auch schon in der Psalmlesung begegnet:’ Der Vogel hat ein Haus gefunden und die Schwalbe ein Nest für ihre Jungen – deine Altäre, Herr Zebaoth, mein König und mein Gott. Wohl denen, die in deinem Haus wohnen, die loben dich immmerdar.’
 (Ps 84, 4-5).

Trotz allem  Machen und Tun, trotz aller Anstrengungen und allem Engagement, das von Anfang an notwendig war, damit es diese Gemeinde geben konnte und gibt, ist sie ein Geschenk.

Ich habe mit großem Interesse in dem hochinteressanten Artikel von Herrn Heusmann aus der Festschrift gelesen, wie es zur Gründung dieser Gemeinde kam. Und ich konnte etwas nachempfinden von dem, was  damals  für die Menschen, die sie als deutschsprachige Gemeinde gründen wollten, das Gewirr der politischen und  konfessionellen Diplomatie bedeutete:
- zwischen preußischer Gesandtschaft und niederländischer Krone,
- zwischen den lutherischen und reformierten Gemeinden in Den Haag und dem preußischen Oberkirchenrat
- zwischen Personalvorschlägen aus Berlin und der gezielten Personalpolitik eines Pfarrer Taube, die schließlich zur Berufung von Pfarrers Kögel führte.
 
Nicht zuletzt damals schon war die Bereitschaft der Menschen, sich auch finanziell für die Gemeinde zu engagieren, ein wichtiger Beitrag dazu, dass der preußische OKR einen Pfarrer schickte .
Das war insgesamt sicher eine Meisterleistung, die viel flexibles Agieren und Reagieren beweist, die aber auch zeugt von ungebrochenem Zutrauen in die Nähe des Reiches Gottes, ohne die die Herzen nicht geöffnet, bestimmte Entscheidungen nicht möglich und Zeitabläufe nicht so frappierend günstig gewesen wären.

So war hier in Den Haag  der Boden bereitet und ein Samenkorn auf das  Land geworfen worden, ein Samenkorn, das die Gemeinde verbindet mit der weltweiten Wolke der Zeuginnen und Zeugen der Liebe Gottes. Viele sind seitdem auch in dieser Gemeinde, wie es im Gleichnis heißt, aufgestanden Nacht und Tag und haben sich gemüht, damit das Pflänzchen wachse und Frucht bringe, damit daraus ein Zweiglein oder gar ein starker Zweig des Reiches Gottes werde. Die Gemeinde wuchs heran zu einem Ort, an dem die Menschen, die seit damals  als Kaufleute und Diplomaten, als Menschen, die Arbeit suchten, als Frauen und Männer, die ihre Liebe in Holland fanden, die hier lernten, die hierhin flohen, die in Armut gerieten, die ihre Erfolge mit anderen feiern und teilen wollte - an dem sie eine Obhut, ein Zuhause, ja, den schützenden Schatten Gottes fanden und finden.

‚Der Vogel hat ein Haus gefunden und die Schwalbe ein Nest für ihre Jungen’ – tief durchatmend und dankbar hat das wohl manche und mancher in den letzten 150 Jahren gespürt, als sie hier ankamen und willkommen geheißen wurden: im Gottesdienst in der  Muttersprache, im Chor beim Einstudieren  der vertrauten Lieder, im Gebetstreff, in dem Freud und Leid vor Gott gebracht werden kann, im Literaturkreis und Ökumenischen Hauskreis, in der Frauengruppe, in der Kinderkirche, in der Eltern-Kind-Gruppe, im Konfirmandenunterricht, in vielen anderen Begegnungsmöglichkeiten, in der Sorge für andere – und nicht zuletzt in der offenen Kirche zu Stille und Gebet im Schutze des wunderschönen Kirchenraumes. Überall da war und ist etwas von diesem Geschenk Gottes, seinem Reich, das sich ausbreitet wie ein Senfstrauch aus einem winzigen Samenkorn, spürbar – und spürbar, dass das alles eben nicht machbar ist, über  alles Engagement auch des Kirchenvorstandes und der Pfarrer und Pfarrerinnen aller Generationen hinaus.
Jesus weist darauf hin:’ Und der Same geht auf und wächst, ohne dass er’s (der Mensch) weiß. Denn die Erde bringt von selbst Frucht.’ (Vs.27) Allein aus Gnade.

2. Ein zweiter Gedanke zu dem Bild, das Jesus in dem Gleichnis zeichnet:

Alles hat seine Zeit. Besonders an Erntedank werden wir uns dessen bewusst, dass zu dem Wachsen und Werden, das wir Menschen nicht in der Hand haben, gehört, dass wir von ihren Rhythmen lernen, sie respektieren. In aller Hektik, aller Mobilität, aller Verfügbarkeit brauchen auch wir Zeiten des Loslassens. Natürlich brauchen wir den Schlaf, um uns an Leib und Seele zu erholen. Und wenn wir das nicht tun, so müssen wir das irgendwann  bitter an Leib und Seele büßen. Wir wissen inzwischen aus der Schlafforschung andeutungsweise, welche komplizierten und lebensnotwendigen Prozesse sich im Schlaf in uns abspielen.

Aber wir brauchen nicht nur den Rhythmus von Tag und Nacht, sondern auch von Werktag und Sonntag. Wir brauchen Zeiten, in denen zumindest der Teil der Bevölkerung, der Teil der Familie, die Freundinnen und Freunde und Nachbarn, die nicht zur Aufrechterhaltung der notwendigsten Infrastruktur arbeiten müssen, verlässlich füreinander Zeit haben; um gemeinsam zu essen, zu feiern, Sport zu treiben, im Chor zu singen, Ausflüge zu machen, in Museen zu gehen, zu wandern....was immer Erholsames und Verbindendes uns einfällt. Sicher auch, um Zeit zu haben, Konflikte auf den Tisch zu bringen und zu bereden und  - wo möglich - zu bearbeiten.

‚Ohne Sonntag gibt’s nur noch Werktage’ mit diesem Slogan haben vor Jahren die Kirchen in Deutschland darauf aufmerksam gemacht, was uns verloren geht, wenn wir den Rhythmus  zwischen Werktag und Sonntag immer mehr aushöhlen - was uns verloren geht an gemeinsamen sozialen und kulturellen Schätzen. In Deutschland wird nun erneut auf Ebene der Bundesländer das bisherige, gegenüber anderen europäischen Ländern bisher noch strikte Ladenöffnungsgesetz  infrage gestellt. So haben sich die Kirchen gemeinsam erneut entschlossen, eine Kampagne zu starten: ‚Gott sei Dank, es ist Sonntag.’ mit einem Internetauftritt und vielen Ideen für eine gute Gestaltung des Sonntags.

Für uns als Christinnen und Christen ist der Rhythmus der Tage und Wochen so kostbar, weil wir in dem Wissen leben, dass Gott auch den Sonntag für uns bereitet hat. Die Schöpfungsgeschichte berichtet, dass Gott selbst ruhte an diesem Tag.
Uns  sind Zeiten geschenkt, in denen wir spüren, dass Gott uns beschenkt, dass er auch in unserem Leben Gutes wachsen lässt. Ein Morgengebet, eine Zeit der Stille am Mittag oder zum Tagesrückblick am Abend, ein Gottesdienst am Sonntagmorgen – das sind Zeiten, um ganz besonders dem Wachsen des Reiches Gottes nachzuspüren, in uns, in unserer Gemeinschaft, mit den Gästen und Suchenden, die sich dazu einfinden.

Eine so wunderschöne Kirche wie hier in Den Haag  lädt ja  in ihrem neu renovierten Glanz dazu ein,
- in den Vorschein der  Schönheit und Herrlichkeit Gottes hineinzutreten
- sie auf sich einwirken zu lassen. 
- die Seele durchatmen zu lassen
- sich einzulassen auf Gott.

Und nicht zuletzt bringt das Erntedankfest  uns auch den Rhythmus des Jahres ins Bewusstsein, der vielen Menschen in den Städten verloren zu gehen droht angesichts von Nahrungsmitteln, die wir kaufen können egal zu welcher Jahreszeit – und angesichts dessen, dass viele den Jahreszeiten entfliehen durch die oft viel zu billig zu erkaufende Mobilität. Das Land, die Erde braucht den Rhythmus von Sommer und Winter. Braucht der Mensch ihn nicht auch?

Umso wichtiger, dass wir uns dem stellen, welche Auswirkungen der Klimawandel hat auf  das Wachsen und Werden  der Natur und damit zugleich der Menschen, insbesondere in den Regionen und den Kontinenten, deren Leben existentiell durch die Klimaveränderungen bedroht ist. Umso wichtiger ist auch, dass wir alles in unserer Macht stehende tun, um nachhaltig, ökologisch verträglich und solidarisch zu leben  - und auch dann müssen wir immer noch eine Menge Gott überlassen, damit unsere Kinder und Kindeskinder auf dieser Erde eine gesegnete Zukunft haben.

Anfang September kamen die Delegierten der europäischen Kirchen in Hermannstadt/Sibiu zur Dritten Europ. Versammlung zusammen. In vielen Gemeinden europaweit wurde der Weg begleitet, auch im Licht der Sibiu-Kerze wie in Ihrer Gemeinde. Vor allem durch das Drängen der orthodoxen Kirchen sagen sie in der Schlussbotschaft:
‚In der Sorge um Gottes Schöpfung beten wir um mehr Rücksichtnahme und Achtung für ihre wunderbare Vielfalt. Wir setzen uns gegen ihre schamlose Ausbeutung ein, denn die ganze Schöpfung wartet auf Erlösung (Röm 8,23), und wir verpflichten uns dazu, auf Versöhnung zwischen Menschheit und Natur hinzuwirken.
Wir empfehlen, dass der Zeitraum zwischen dem 1. September und 4.Oktober dem Gebet für den Schutz der Schöpfung und der Förderung eines nachhaltigen Lebensstils gewidmet wird, um den Klimawandel aufzuhalten.’
Und: ‚Wir empfehlen, dass CCEE und KEK zusammen mit den Kirchen in Europa und mit den Kirchen der anderen Kontinente einen konsultativen Prozess beginnen, der sich mit der Verantwortung Europas für das ökologische Gleichgewicht angesichts des Klimawandels, für eine gerechte Gestaltung der Globalisierung und die Rechte der Roma und anderer ethnischer Minderheiten befasst.’

3. Und ein dritter und abschließender Blick auf das Gleichnis

Alles hat eine Geschichte, auch das Reich Gottes. Die Bibel des alten Bundes weist darauf immer wieder hin. So haben Sie, die Den Haager Gemeinde,  am letzten Sonntag die Einladung aus dem 5. Mosebuch bedacht: Gedenke des ganzen Weges, den dich der Herr, dein Gott, geleitet hat.( 5.Moses 8,2).

Jede Ähre hat ihre Geschichte, jeder Senfstrauch hat seine Tage, Wochen und Jahre. Zum Wachsen gehören  immer wieder Dürre und Hitze, Schnitte und Verletzungen, Bedrohliches oder gar Zerstörendes. Bis – und da spricht Jesus auch von unserer Zukunft - die Zeit der Ernte kommt.

Viele unter Ihnen haben persönlich wichtige Zeiten und Lebensphasen in dieser Gemeinde erlebt. Sie ist ein Ort, an dem Sie als Konfirmand Ihren Glauben bekannt haben, an dem Sie Ihre Ehe unter Gottes Segen gestellt haben, an dem sie Ihre Kind zur Taufe gebracht haben und auch liebe Menschen zur Ruhe geleitet und Gottes Erbarmen anvertraut haben.

Sie haben als Pfarrerinnen oder Pfarrer, im Kirchenvorstand, als Küster, Organist, Leiterin von Gruppen und bei wichtigen anderen Aufgaben diese Gemeinde mitgestaltet. Was ist für Sie in dieser Zeit gewachsen?  Ist ein Vorschein des Reiches Gottes für Sie spürbar geworden  - und wohin gehen Ihre Hoffnungen, wenn Sie an die Zukunft denken?

Ja, und auch Konflikte gehören zur Geschichte dieser Gemeinde. Manche sind mit Auseinandersetzungen über verschiedene Vorstellungen darüber verbunden, was es heißt, glaubwürdig in der Nachfolge Jesu Christi zu leben, an seinem Reich mitzubauen. Oft verbunden mit persönlichen Verletzungen und Enttäuschungen.

Andere Konflikte und schwere Zeiten hingen mit der zeitgeschichtlichen Situation zusammen, vor Allem mit den menschenverachtenden Auswirkungen des deutschen Faschismus auch hier in den Niederlanden und in Den Haag. Wir erinnern uns dankbar der mutigen Arbeit von Pfarrer Kaetzke und  vieler Menschen des damaligen Kirchenvorstandes. Und freuen uns, dass seine Familie heute hier unter uns ist.

Die politischen Umbrüche haben sich auch im Leben der  Gemeinde gespiegelt. Kein Samenkorn wächst im luftleeren Raum, kein Senfkorn gedeiht im Nichts. Die Verwurzelung in der  Umgebung, die Einbindung in die Geschichte -  die Geschichte der Stadt, des Landes, der anderen Schwesterkirchen  - gehört hinzu.
Und es gehört hinzu, sich der gemeinsamen  Geschichte zu erinnern.
 ‚Erinnerung ist das Geheimnis der Erlösung.’ Diese Weisheit aus der jüdischen Mystik ist im Zusammenhang der Erinnerung an die durch das faschistische Deutschland begangenen Untaten für viele Menschen wichtig geworden. Oder umgekehrt, wie der spanische Philosoph George Santayana sagt: ‚Die sich des Vergangenen nicht erinnern, sind dazu verurteilt, es noch einmal zu erleben.’
 
Diejenigen unter Ihnen, die in den Niederlanden schon vor, während und/oder nach dem 2. Weltkrieg gelebt haben, wissen ganz besonders, was es bedeutet, sich mit der Vergangenheit auseinander zu setzen, sich mit ihr zu konfrontieren. Sie wissen, wie notwendig und wie schmerzlich es ist: 
Menschen  verschiedener Nationalitäten und Ethnien, Menschen, die damals eingebunden waren in das Unrechtssystem, ihm  ausgeliefert waren oder ihm widerstanden, müssen der Erinnerung irgendwann Raum geben, und zwar gemeinsam.

Heilende Erinnerung – Healing Memory, das ist auch in der weltweiten Ökumene ein wichtiges Thema. Es ist zutiefst verwurzelt ist in dem Glauben, dass jeder Mensch als Ebenbild Gottes gemeint ist – und ein Wachsen durch Reue, Schmerzen, Umkehr und  Vergebung hindurch möglich ist.
Das gilt auch für die Versöhnung zwischen Völkern und Nationen.
Das Engagement der Gemeinde in der Jom Hasjoa- Kommission ist ein Zeichen dafür, dass der Prozess der Versöhnung weiter geht.

Das gilt auch für persönliche  Verletzungen – und wo, wenn nicht in einer christlichen Gemeinde muss immer wieder Raum sein, um Erinnern, Vergeben und Versöhnen zu leben.
Ja, es geht auch an diesem Sonntag Wie in den 150 Jahren zuvor um nichts mehr und nichts weniger als um das Reich Gottes – um die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Wirklichkeit, in der Gott abwischen wird alle Tränen, in der die Blinden sehen, die Lahmen gehen und den Armen das Evangelium gepredigt wird, um das Reich der Gerechtigkeit und des Friedens, das mit der Geburt des Jesus von Nazareth angebrochen ist.

Sein Segen erfülle diese Gemeinde und Sie alle in Ihrem Wachsen auf sein Reich hin. Amen


Antje Heider-Rottwilm, Oberkirchenrätin
Leiterin der Europaabteilung im Kirchenamt der EKD