Kantatengottesdienst zur Eröffnung des Festjahres anlässlich 150 Jahre Deutsche Gemeinde in Finnland, letzter Sonntag nach Epiphanias

Antje Heider Rottwilm

Telemann-Kantate „ Singet dem Herrn ein neues Lied“ zu Psalm 96,1-9

1  Sonate

2  Chor: Singet dem Herrn ein neues Lied,
              singet dem Herrn, alle Welt!

3  Duett:   Singet dem Herrn und lobet seinen Namen,
                   predigt einen Tag am andern sein Heil!

4  Rezitativ:  Erzählet unter den Heiden seine Ehre,
                     unter allen Völkern seine Wunder!

5  Solo:  Denn der Herr ist groß und hoch zu loben,
              wunderbarlich über alle Götter.
              Denn alle Götter der Völker sind Götzen,
              aber der Herr hat den Himmel gemacht.

6  Chor:  Es stehet herrlich und prächtig für ihm
               und gehet gewaltiglich und löblich zu in seinem Heiligtum.

7  Solo:  Ihr Völker, bringet her dem Herrn
              Ehre und Macht!

8  Duett:  Bringet her dem Herrn die Ehre seines Namens,
                bringet Geschenke und kommt in seine Vorhöfe!

9  Chor:  Betet an den Herrn im heiligen Schmuck!
               Es fürchte ihn alle Welt!


Liebe Gemeinde,
singet dem Herrn ein neues Lied,
singet dem Herrn, alle Welt!
Wer kann einem solch eindrucksvollen Appell - mit Instrumenten und vielfältigen Chorstimmen, mit Soli und Duetten, mit Rezitativen und Chor - ja mit allen Registern der Kantate - widerstehen.

Wir haben innerlich mitgesungen und gefühlt. Die Bilder der Herrlichkeit Gottes, die uns in Wort und Musik vor Augen und in alle Sinne gemalt wurden, erfüllen uns und klingen nach.

Ja, der Herr ist groß und hoch zu loben, wunderbarlich über alle Götter - und deshalb: Betet an den Herrn im heiligen Schmuck! Es fürchte ihn alle Welt.

Dieses Lied, dieser Psalm, den Georg Philipp Telemann da in seiner Kantate ausgelegt und den das Vokalensemble und die Camerata Bux so eindrucksvoll interpretiert haben, ist ein uraltes Lied. Vor vielen tausend Jahren gesungen, interpretiert, weiter gesungen, wieder verändert - im Gottesdienst, im Tempel, in Stunden der Verzweiflung als Trost, im Freudentaumel angesichts des Überlebens, in stiller Anbetung im Lichte des Heiligen und Heilenden.

Schon vor tausenden von Jahren hieß es:
singet dem Herrn ein neues Lied
Singet dem Herrn, alle Welt!

Wir kennen die alten Lieder der damaligen Zeit vor mehr als 3000 Jahren nur fragmentarisch aus alten Funden, aber wir erkennen aus den folgenden Versen dieses Psalmes: das Neue ist, dass Gott allein der Herr ist. Das Neue ist, dass er Wunder tut, dass er über allem, über allen, die uns abhängig machen wollen, steht, dass er Himmel und Erde gemacht hat. Das Neue ist diese überwältigende, verwandelnde Erfahrung.

Und deshalb heißt es: singt ein neues Lied, lobet seinen Namen
    lobt ihn groß und hoch
    bringt im Ehre und Macht
    bringt Geschenke
    kommt in seine Vorhöfe
    betet ihn in heiligem Schmuck an
und nicht zuletzt:
dies gilt allen Völkern, immerzu - und fürchtet ihn!

Georg Philipp Telemann, geboren 1681, 5 Jahre nachdem Paul Gerhard gestorben ist, hat in seinen vielen musikalischen Werken diese Herrlichkeit Gottes allen Menschen, aller Welt, nahe bringen wollen
- und er hat dies in seiner Zeit wahrhaftig in Gestalt neuer Lieder getan:

  • Es war völlig neu für seine Zeit, dass er die Kantate als Genre der Musik geschaffen hat: 1.660 Kantaten zum Lobe Gottes, ein gattungsgeschichtliches Novum, heute würden wir sagen, ein Marktktprodukt, mit dem er für seine Nachwelt eine neue verbindliche  kirchenmusikalische Form geschaffen hat.

  • Neu war, dass er bewusst mit unterschiedlichen ästhetischen und intellektuellen Niveaus komponierte und agierte - je nach Publikum, je nach dem Verstehenshorizont und den Bedürfnissen der Menschen - aber nicht als Maß und Begrenzung der Schönheit und Klarheit seiner Musik, sondern als Ausgangspunkt für die Weiterentwicklung ihrer ästhetischen Bildung - als ästhetische und religiöse Erziehung, als musikalische Predigt für alle Welt.

  • Neu war die Nutzung des Druckes, der Aufbau einer eigenen Druckerei zu weiten Verbreitung seiner vielen Werke als neuzeitlicher „Musikunternehmer“, der alle vorhandenen Wege der Kommunikation nutzte, offensiv und kreativ, um aller Welt den Zugang zu seiner Musik zu ermöglichen.

  • Neu war nicht zuletzt Telemanns enge Verbindung zu den intellektuellen Eliten seiner Zeit, sein Aufgreifen der Impulse der Aufklärung, sein musikalischer Beitrag zur Aufklärung - zum Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit, wie Immanuel Kant es sagt.


Das uralte Psalmlied „Singet dem Herrn ein neues Lied“ wird so in seiner Kantate selbst zum neuen, für die Gegenwart durchlässigen, ja provokativen Lied. Das uralte Lied wird damals wie heute zum Appell und zur alles durchtönenden Frage:
wie singen wir heute unser neues Lied,  mit dem wir Gott loben, einen Tag am andern sein Heil predigen, unter allen Völkern seine Wunder erzählen?

Ein Jubiläumsgottesdienst, der durchbraust ist von diesem uralten neuen Lied, ist ein guter Auftakt dafür, innezuhalten als Gemeinde und dem mit allen Sinnen nachzuspüren.

In wie vielen Gottesdiensten, aber auch Begegnungen, seelsorgerlichen Gesprächen, Taufen, Trauungen, Beerdigungen, in Sorgen- und Festzeiten ist in diesen 150 Jahren der deutschen Gemeinde(n) in Finnland die Nähe Gottes erlebt worden. Wie oft haben Menschen in Verzweiflung und als Halt in der Not, in Anbetung, im Freudentaumel zu Gott gesungen. Sie haben es in den alten, vertrauten Worten und Melodien getan. Sie haben es  gestammelt, nach Worten und Tönen gesucht, oder offensiv und kreativ in neuer Sprache, neuen Tönen, neuen Formen gesungen.

Viele unter Ihnen können davon erzählen. Vieles davon ist festgehalten in Gemeindechroniken und Gemeindebriefen, nicht zuletzt in der Fotoausstellung, ist spürbar in den Traditionen und Gebäuden Ihrer Gemeinde.

Darum können Sie heute mutig fragen: wie singen wir Gott heute ein neues Lied, mit dem wir ihn loben und ehren - so dass alle Völker seine Wunder sehen?

Und Sie sind ja nicht allein mit dieser Frage: Sie leben in einer bewährten Gemeinschaft mit den finnischen Gemeinden, mit der Evangelisch Lutherischen Kirche Finnlands. Sie leben in bewährter Gemeinschaft mit der Evangelischen Kirche in Deutschland. Sie sind durch die Finnische Kirche und die EKD verbunden mit den Christinnen und Christen in Europa und weltweit, in aller Welt.

Ihr Gemeindebrief erinnert an die Dritte Europäische Ökumenische Versammlung, die im September des letzten Jahres in Hermannstadt/Sibiu in Rumänien stattfand. Viele Menschen aus den europäischen Kirchen, auch aus Finnland und Deutschland, haben dort erfahren, wie sehr wir miteinander verbunden sind. Im Singen von der Herrlichkeit Gottes, in der Anbetung, im Dank, im Lob - trotz unterschiedlicher Klänge und Harmonien, manchmal auch Disharmonien aus Ost und West, Nord und Süd: das neue Lied ist ein vielstimmiges Lied.

Es lässt  Raum für die Klage des Einzelnen und der Einzelnen - die Erfahrung von Einsamkeit, Krankheit, Angst und Tod. Es lässt Raum für die Klage über das, was wir anrichten mit unserer Erde und aneinander, durch Klimawandel und Umweltzerstörung, Ausbeutung und Menschenverachtung.

Dieses neue Lied erfüllt uns und klingt nicht nur nach, sondern schärft alle Sinne, so dass wir nicht anders können, als auch miteinander aktiv werden und handeln - dass alle Welt Gott fürchte, denn seine Herrlichkeit duldet nicht, dass seine Schöpfung leidet unter Schmerzen, unter Habgier, Verachtung und Ausbeutung.

Schon zu Zeiten des Volkes Israel hatte jede Rede und jedes Singen von Gottes Herrlichkeit, von Gottes Wundern und Erhabenheit, von Gottes Ehre und Macht, von Gottes Heil und Heilung, diesen prophetischen Ton, diesen aufrüttelnden Klang.

Der Predigttext, der für den heutigen letzten Sonntag nach Epiphanias, dem Ende der Weihnachtszeit, in der Perikopenordnung vorgeschlagen ist, erzählt die Geschichte der Wunder und Erhabenheit Gottes weiter - bis hin zu dem größten aller Wunder: dass Gott Mensch geworden ist in Jesus Christus.  Es wurde Weihnachten auf Erden. Gottes Erhabenheit und Herrlichkeit und Ehre hat in einem winzigen Kind menschliche Gestalt angenommen.

Und so wird im 2. Petrusbrief wird berichtet  von  Herrlichkeit, von Ehre und Preis:
„ Denn wir sind nicht ausgeklügelten Fabeln gefolgt, als wir euch kundgetan haben die Kraft und das Kommen unseres Herrn Jesus Christus; sondern wir haben seine Herrlichkeit selber gesehen.

Denn er empfing von Gott, dem Vater, Ehre und Preis durch eine Stimme, die zu ihm kam von der großen Herrlichkeit: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.

Und diese Stimme haben wir gehört vom Himmel kommen, als wir mit ihm waren auf dem heiligen Berge.

Umso fester haben wir das prophetische Wort, und ihr tut gut daran, dass ihr darauf achtet als auf ein Licht, das da scheint an einem dunklen Ort, bis der Tag anbreche und der Morgenstern aufgehe in euren Herzen.

Und das sollt ihr vor allem wissen, dass keine Weissagung in der Schrift eine Sache eigener Auslegung ist.

Denn es ist noch nie eine Weissagung aus menschlichem Willen hervorgebracht worden, sondern getrieben von dem Heiligen Geist haben Menschen im Namen Gottes geredet.“ (2.Petrus 1, 16-21)
.......und ich ergänze: und gesungen!

Möge der heilige Geist Sie, liebe Gemeinde treiben, im Namen Gottes ein neues Lied zu singen - im Namen Gottes, zu seiner Ehre
und den Menschen zum Heil und zur Heilung.  Amen.


Pfarrerin Antje Heider-Rottwilm
Oberkirchenrätin
Leiterin der Europaabteilung im Kirchenamt der EKD