„Wie ein Riss in einer hohen Mauer“- Die Finanz- und Wirtschaftskrise in kirchlicher Perspektive

Nikolaus Schneider

Impulsvortrag beim Managerkreis der Friedrich-Ebert-Stiftung

Eine Tulpenzwiebel der Sorte „Semper Augustus“, rot-weiß geflammt wechselte im Jahr 1635 in Haarlem ihren Besitzer. Es war der Höhepunkt der ersten gut dokumentierten Spekulationsblase, der Tulpenblase. Die Tulpe kostete 6.000 Gulden – den Gegenwert von acht Schweinen, vier Ochsen, zwölf Schafen, 24 Tonnen Weizen, 48 Tonnen Roggen, zwei Fässern Wein, vier Fässern Bier, 2.000 Kilo Butter, 500 Kilo Käse, einem silbernen Kelch, einem Ballen Stoff, einem Bett mit Matratze und Bettzeug und einem Schiff im Wert von 500 Gulden. Eine absolut unangemessene Summe für jeden, der reale Güter auf dem Markt kaufen musste, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Ein Zimmermann verdiente damals 250 Gulden im Jahr.

Vor dem Platzen der amerikanischen Immobilienblase verdiente ein amerikanischer Arbeiter ca. 15.000 Dollar im Jahr. Trotzdem gelang es, ihn dazu zu überreden, ein Haus für 750.000 Dollar zu kaufen und zu „finanzieren“- alles in der spekulativen Erwartung, dass die Immobilienpreise so steigen würden, dass das Risiko tragbar sei.

Die Blase, die vor zwei Jahren platzte, war Ausfluss eines irrwitzigen Glaubens an Wachstum und Risikokontrolle – aber auch einer abstoßenden Verantwortungslosigkeit. So genannte intelligente, strukturierte Wertpapiere wälzten die Risiken anonymisiert auf die Masse der Verbraucher ab. Ein solches Verhalten von Managern lässt jede Haltung vermissen.

In weit höherem Maße als damals im 17. Jahrhundert hat die aktuelle Wirtschaftskrise Wirtschaft und Verbraucher in der globalisierten Welt mit in den Strudel gerissen. Der Zusammenbruch der Finanzmärkte stand kurz bevor – mit allen unabsehbaren Folgen. Und trotz der enormen Summen, mit denen die Staaten systemrelevante Banken retteten und Konjunkturpakete auflegten, sind die Gefahren im Euroraum noch nicht gebannt. Seit der Krise in Griechenland ist sichtbar: Staaten stehen nicht grundsätzlich anders da als Unternehmen. Aber mit dem Anziehen der Konjunktur in Deutschland haben viele den Eindruck, hier könne nun alles so weitergehen wie bisher. Ich bin überzeugt: das heißt, sich selbst Sand in die Augen zu streuen. Wie viele Banken- und Währungskrisen, wie viele Konjunktur- und Sparpakete überstehen die westlichen Staaten noch glimpflich, ohne dass es zu langfristigen Einbrüchen kommt? Ohne dass der Vertrauensverlust gegenüber Wirtschaft und Politik unsere demokratische Ordnung und das soziale Miteinander schwächt? Ohne Spannungen, die sich in Gewalt entladen?

Der Ökonom Birger Priddat hat vor kurzem davon gesprochen, dass eine verschworene Gruppe Lotterie gegen den Staat gespielt hätte. Eine Gruppe, die für ihr Glücksspiel hohe Opfer forderte - nicht nur in den eigenen Reihen, sondern vor allem bei den anonymen Abnehmern, bei Steuerzahlern und Empfängern sozialer Leistungen. Noch vor einem Jahr hätte ich mir nicht vorstellen können, dass diese Leute nun tatsächlich mit einem Beitrag von 31 Milliarden Euro bis 2014 zu den Kosten der Krise beitragen sollen, während wir die Vermögenden allein in den letzten zwei Jahren durch 28 Milliarden Euro Steuersenkungen entlastet haben – ja, dass die Transferempfänger in vielen Plädoyers selbst zu Schuldigen für die Krise werden. Nicht unverantwortliche Spekulationsgeschäfte, sondern die Schuldenlasten der Sozialstaaten werden gebrandmarkt, weil sie zu schlechten Noten der Ratingagenturen führen.

„Noch ist vielen nicht klar, dass hinter ökonomischen auch eine Wertekrise steckt, die die Form unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens betrifft“, schreibt die Zeitschrift „Psychologie heute“ in ihrem letzten Heft. Welche psychologischen Mechanismen, fragt die Zeitschrift, setzten die fatale Abwärtsspirale in Gang? Benannt werden dann das Denken in kurzfristigen Intervallen, der panische Zwang, das einmal Erreichte zu bewahren, interessengeleitete Wahrnehmung und selektive Informationsverarbeitung an der Spitze, das Verdrängen von Überforderung und Inkompetenz, Kontrollillusionen und diffundierende Verantwortung.“ Wer in der Vergangenheit immer erfolgreich war“, so der Artikel, „entwickelt die Hypothese, dass es auch in Zukunft gut gehen werde.“

Gegen diese Illusion hat der Rat der EKD vor einem Jahr eine Warnschrift herausgegeben. Das Ratswort „Wie ein Riss in einer hohen Mauer“ nimmt ein Prophetenwort aus Jesaja 30 auf, mit dem der unbekannte Prophet vor einer Katastrophe warnt, wenn Israel sich weiter vom Unrecht verführen lässt. Wenn es beginnt zu rieseln, wenn sich Risse zeigen in einer hohen Mauer, dann nehmen wir diese ersten Anzeichen der Krise möglicherweise nicht wahr – oder wir nehmen sie wahr und machen uns vor, die Mauer wäre stark genug. So tun wir zu wenig, um das Fundament zu stärken und die Schäden zu flicken – bis die Mauer zusammenstürzt. So drastisch schildert der Prophet die kommende Katastrophe, dass deutlich wird: es gibt ein Zuspät. Darum ist es wichtig, die Zeichen zu deuten und rechtzeitig umzukehren.

Das Wort des Rates der EKD deutet die komplexen Ursachen der Krise auf vier Ebenen: Auf der politischen Ebene, das heißt insbesondere im staatlichen Handeln, hielt die Aufsicht über die Finanzmärkte und die Regulierung der Finanzprodukte mit der Dynamik der Märkte nicht mit. Das war mindestens zum Teil strategisch gewollt und von der Finanzindustrie gefordert. In den Finanzmarkt- und Wirtschaftsunternehmen griff die einseitige Orientierung an den Kapitalinteressen um sich – die Geschäftsziele waren deshalb vor allem auf schnelle und hohe Gewinne ausgerichtet. Die Risiken im eigenen Einflussbereich glaubte man berechnen und beherrschen zu können, die gesamtwirtschaftlichen Risiken nahm man sehenden Auges in Kauf oder maß ihnen keine Bedeutung bei. Und was auf der Ebene der Unternehmen Gang und Gäbe war, das galt selbstverständlich auch und vielleicht zuerst für die Führungskräfte. Alle finanziellen Anreize waren darauf ausgerichtet, möglichst kurzfristig hohe Erträge zu erwirtschaften. Deshalb betont das Ratswort: Die Ursachen der Krise haben auch eine individualethische Dimension: Die Handelnden haben ihre Freiheit allein zur unmittelbaren Verwirklichung von privaten Einzelinteressen genutzt, ohne sich an darüber hinaus reichende Werte zu binden. Verantwortlich handelt aber nur derjenige, der die eigenen Entscheidungen auf ihre Folgen hin ansieht und darauf prüft, dass sie anderen keinen Schaden zufügen. Zu den ursächlichen Faktoren der Krise gehört deshalb auch die Mentalität des schnellen Geldes, die am Ende auch die Verbraucher erreicht hatte…“

An dieser Stelle hat sich allerdings etwas verändert: die Anleger setzen wieder mehr auf Stabilität. Die Strafprozesse gegen einzelne Hasardeure nehmen rasant zu – nur die Umsetzung der politischen Regulierungen kommt schleppend voran. Wer die Beschlüsse der verschiedenen G8 – und G20 –Gipfel und die der europäischen Gemeinschaft analysiert, muss feststellen, dass es sich noch immer zu einem großen Teil um Pläne, Leitlinien und Vorschläge handelt - und dass selbst die beschlossenen Maßnahmen erst in den nächsten Jahren umgesetzt werden können. Das liegt wesentlich an den langwierigen Beratungs- und Entscheidungsprozessen dieser Gremien und Institutionen sowie am Widerstand der Zocker und ihrer Paten in den Finanzministerien. Was sich seit den Beschlüssen der Bundesregierung vom März 2009 durchgesetzt hat, sind eine Verschärfung der Eigenkapitalaustattung von Banken, die Verbesserung der Aufsicht und Kontrolle von Ratingagenturen, Maßnahmen gegen so genannte Steuerparadiese, aber auch Empfehlungen zur Regulierung der Vergütungspolitik im Finanzdienstleistungssektor wie das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung, mit dem Anreize für eine nachhaltige Unternehmenspolitik gesetzt werden sollen. Viele dieser Forderungen finden sich schon in der so genannten „Unternehmerdenkschrift“ der EKD mit dem Titel „Unternehmerisches Handeln in evangelischer Perspektive“. Dort heißt es zum Beispiel, dass die Höhe der obersten Einkommen prinzipiell vor den Empfängern der niedrigsten gerechtfertigt werden müssen.

Geplant sind darüber hinaus bereits seit einem Jahr drei neue europäische Aufsichtsbehörden für Banken und Ratingagenturen, das Versicherungswesen und die Wertpapieraufsicht. Allerdings zeigt sich in diesem Jahr wieder eine Abschwächung dieser europäischen Dynamik – aus Weisungsrechten Europas gegenüber nationalen Aufsichtsbehörden wurden Empfehlungen. Und Mitgliedsstaaten erhielten Vetorechte gegenüber den Entscheidungen der europäischen Finanzpolitik. Die Solidarität in der Krise ist einer neuen Betonung der Nationalstaatlichkeit gewichen.

Nur durch eine gemeinsame und beherzte Politik konnte die Wirtschaftskrise in Europa abgewendet werden. Nach Auffassung vieler wären die Währungsturbulenzen wohl größer gewesen, wenn es noch nationale Währungen gegeben hätte. Mit schnellen Entscheidungen für große Rettungspakete wurde der Riss in der Mauer gekittet - aber die Krise hat sich durch das Mauerwerk hindurch gefressen. Denn die Vertrauenskrise in die Staatsfinanzen, die wir jetzt erleben, ist die Fortsetzung der Finanz - und Wirtschaftskrise. Dabei zeigt sich, dass das institutionelle Gefüge der EU der neuen Dynamik auf den Finanzmärkten, die nicht zuletzt von China ausgeht, noch nicht adäquat ist. Ein automatischer Ausgleich zwischen den Defiziten der ärmeren Beitrittsstaaten und dem Wohlstand der reicheren – wie etwa auf der Ebene der Bundesländer zwischen Brandenburg und Bayern – hat während der Zeit des Wachstums der EU nicht stattgefunden, weil es keine Gesamthaftung der EU gibt und weil die Souveränität der einzelnen Staaten anders als in einem Bundesstaat weiter besteht. Das scheint ein Land wie das unsere zu sichern – während es gleichzeitig Länder wie Griechenland oder Spanien gefährdet. Die öffentliche Debatte, ob man diesen Ländern zu Hilfe kommen müsse oder dürfe, hat in diesem Frühjahr die Spekulation angeheizt, die die Ratingagenturen mit ihrer Herunterstufung nachvollzogen haben. Dass die EZB aus Sorge vor einer möglichen Abwertung des Euro Staatsanleihen aufgekauft hat, war ein Signal – in Richtung der notleidenden Länder wie der Ratingagenturen. Ein Signal, dem nun die Kärrnerarbeit der europäischen Anpassungsprozesse folgen muss. Mehr Verbindlichkeit und mehr Aufsicht in Europa wird nötig sein. Und auch Deutschland muss dafür sorgen, dass Europa als Ganzes funktioniert und dass Ungleichgewichte auf Dauer beseitigt werden. Deswegen bezieht sich der Rat in seinen Empfehlungen ausdrücklich auf die europäische Ebene.

Nachdem nun gerade neue Wetten auf die Kredite geschlossen werden, die Banken im Euroraum einander geben, ist hinzuzufügen: Zu den Hintergründen der Krise gehört die Unfähigkeit, sich eine Wirtschaft ohne Wachstum vorzustellen, die Angst, das Erreichte zu verlieren, ist eben nicht nur eine Paranoia in der Finanzwirtschaft.  Eine Wirtschaft des Genug, wie es der Rat in seinem Wort zur Klimakrise formuliert hat, erscheint vielen als naive Vorstellung. Allerdings haben wir in den letzten Monaten im Golf von Mexiko gesehen, was es bedeutet, wenn wir dem ungebremsten Wachstumspfad in der Energiewirtschaft folgen, und welche Risiken dabei sehenden Auges eingegangen werden. Solange wir nicht bereit sind, auf nachhaltige Energien umzusteuern, riskieren wir einen zerstörerischen Umgang mit der Schöpfung. Dass der Rat mit dem Zitat aus Jesaja 30 den Titel einer Umweltstellungnahme des damaligen Ratsvorsitzenden Wolfgang Huber mit dem anglikanischen Primas Rowen Williams aufgegriffen hat, geschah sehr bewusst: Ökologische und ökonomische Entwicklung sind nicht mehr zu trennen.

„Wachstum gleich Wohlstand“, das war über Jahrzehnte der Glaubenssatz unserer Gesellschaft. In seinem Buch „Exit – Wohlstand ohne Wachstum“ hat nun Meinhard Miegel ausführlich beschrieben, wie das Wachstum von heute den Wohlstand verzehrt – nicht nur den Wohlstand in Wasser, Luft und Meeren, auch den an Infrastruktur und öffentlichen Gütern. In den Kommunen können wir längst beobachten, was das heißt. Der Verlust des öffentlichen Raums, Investitionsrückstände an Schulen, die Schließung von Schwimmbädern, die Probleme bei der Umsetzung des Anspruchs auf einen Krippenplatz zeigen: die Lebensqualität ist gefährdet. Aber auch international hat die Wirtschaftskrise zu einem erheblichen Anstieg von Armut in den Entwicklungs- und Schwellenländern geführt. Die Millenniumsziele zur Halbierung der absoluten Armut sind damit in weite Ferne gerückt. Dass der G-8-Gipfel in Toronto anstelle der in Gleneagles versprochenen und noch ausstehenden 24 Milliarden Dollar nun auf 5 Milliarden Dollar aus der Bill-Gates-Stiftung setzt, spricht Bände. National wie international stehen die Ärmsten für die Risiken der Reichen ein. Wachsende soziale Ungleichheit, Ungerechtigkeit und internationale Ungleichgewichte, das zeigen viele Analysen, sind aber nicht erst Folge der Krise, sie markieren bereits den Beginn einer nächsten. Richard Wilkinson zum Beispiel hat mit seiner empirischen Untersuchung über soziale Ungleichheit gezeigt, dass Gesellschaften mit großer Spreizung höhere Kosten für Gesundheit, für Sicherheit und Gewaltvermeidung haben, dazu schwindendes Vertrauen und einen Mangel und Engagement.

Darum empfiehlt das EKD-Papier von 2009, wieder mehr auf risiko-averse Strukturen zu setzen. Mit unseren Modellen sozialer Wirtschaftsordnungen haben wir Kontinental¬europäer gerade in der Krise bewiesen, wie wichtig soziale Stabilität ist. Und dass Deutschland sich offenbar schnell wieder erholt hat, lag nicht nur an Bankensicherung und Konjunkturpaketen, sondern eben auch an Kurzarbeit und sozialer Sicherung. Das Wort des Rates der EKD weist ausdrücklich darauf hin, dass die Sozialstaatlichen Sicherungssysteme so gestaltet sein müssen, dass sie gerade in der Krise ihrer Aufgabe gerecht werden. Sie haben zudem die Funktion der Stabilisierung von Kaufkraft und der Dämpfung von Krisenfolgen. Die biblische Option für die Armen, die in solchen Sätzen zum Ausdruck kommt und bis zu den Propheten zurückreicht, stellt uns aber vor besondere Herausforderungen, wenn wir auch den globalen Horizont mit einbeziehen; es gilt, über die Erweiterung unseres Konzepts der sozialen Marktwirtschaft zu einer sozial, ökologisch und global verpflichteten Marktwirtschaft nachzudenken. Unter Rückgriff auf die Denkschrift „Unternehmerisches Handeln in evangelischer Perspektive“ bekräftigt der Rat der EKD: „Zur sozialen Gestaltung der fortschreibenden Globalisierung bedarf es weltweit gültiger Spielregeln. Es geht darum, Kriterien der gerechten Teilhabe aller bzw. der sozialen Inklusion weltweit zu verankern.

Drei große Zielsetzungen für eine nachhaltige Zukunft sind für den Rat erkennbar:

• „eine Wirtschaft, die den Menschen heute dient, ohne die Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen zu zerstören, die also die Gerechtigkeit für die Armen hier und weltweit, aber auch für die Zukunft der Schöpfung im Blick hat, sowie
• eine (Welt-)Gesellschaft, die die Verbesserung der Situation ihrer ärmsten und schwächsten Mitglieder zu ihrer vorrangigen Aufgabe macht
• und schließlich ein Finanzsystem, das sich in den Dienst dieser Aufgabe stellt“ (S.18).

Ein Jahr nach Veröffentlichung des Ratswortes haben wir allen Grund, die politische Realität, aber auch unsere eigenen politischen Stellungnahmen daran zu messen, was seitdem geschehen ist. Mein Resümee lautet: Ja, es gibt eine Reihe von Regulierungen, die beschlossen, empfohlen oder auch durchgesetzt wurden, die ganz auf der Linie der Forderungen des Papiers liegen: nämlich eine wirksame Aufsicht für alle Finanzmarktakteure- und –produkte auf allen Finanzmärkten zu schaffen und Steueroasen zu verhindern. Und es gibt das Bemühen, zumindest die europäischen Aufsichtsbehörden auf eine bessere Grundlage zu stellen. Zugleich aber beobachten wir Obamas Kampf um eine neue Finanzarchitektur, aber auch den ergebnislosen Streit um die Finanztransaktionssteuer. Der Druck des Wettbewerbs ist längst wieder gestiegen. Das größte Risiko besteht darin, dass es uns nicht gelingt, den politischen Willen für Reformen aufrecht zu erhalten. Dazu gehört auch weiterhin eine Kultur, in der über Freiheit und soziale Verantwortung, über persönliche Haftung und politische Regulative angemessen reflektiert wird. Nur die Bereitschaft, aus Fehlern zu lernen, schafft Sensibilität, um mit den eigenen Schwächen und mit denen anderer angemessen umzugehen. Schon aber haben wir ein Sparpaket auf dem Tisch, das denen weitere Abstriche zumutet, die nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ohnehin schon unter dem Minimum leben: Kinder und Familien sind besonders betroffen. Das widerspricht der Forderung aus unserem EKD-Papier, die Kosten der Krise müssen vor allem von den Stärkeren getragen werden und dürften nicht über den Abbau von Sozialleistungen aufgebracht oder vorrangig von den nachfolgenden Generationen getragen werden. Und schließlich scheint es, als seien die Forderungen zum internationalen Ausgleich und zur ökologischen Nachhaltigkeit in Vergessenheit geraten. Oder wie sonst lässt sich der Umgang in Toronto mit den Milleniumszielen erklären?

Unter dieser Perspektive muss daran erinnert werden, dass die Verheißung aus Jesaja 58, mit der das Ratswort vom letzten Sommer endet, nicht nur ein Trost ist, sondern zugleich eine Mahnung. „Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus. Wenn Du einen nackt siehst, so kleide ihn und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut. Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des Herrn wird deinen Zug beschließen.“