„Vorrang für Zivil“

Renke Brahms, Friedensbeauftragter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland zur EKD-Reise nach Afghanistan

Anlässlich der Rückkehr seiner gemeinsamen Reise mit dem Vorsitzende des Rates der EKD, Präses Nikolaus Schneider und dem evangelischen Militärbischof, Martin Dutzmann, aus Afghanistan, erklärte der Friedensbeauftragte der EKD, Renke Brahms:

In der Evangelischen Kirche in Deutschland gilt in friedensethischen Fragen der Grundsatz: Vorrang für Zivil. Deswegen ist es folgerichtig, dass ich als Friedensbeauftragter der EKD zusammen mit dem Ratsvorsitzenden und dem Militärbischof nach Afghanistan gereist bin, um mich mit ihnen zusammen über den zivilen Aufbau zu informieren. Außerdem bin ich Vorsitzender des Beirates für die Seelsorge in der Bundeswehr und begleite beratend die Arbeit des Militärbischofs. Schon allein deswegen bin auch sehr interessiert an allem, was die Situation der Soldatinnen und Soldaten und die Seelsorge in der Bundeswehr betrifft. Ich möchte zu den Beispielen, die der Ratsvorsitzende vorhin genannt hat, noch weitere nennen: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BZW) und der in seinem Auftrag tätigen Gesellschaft für Internationalen Zusammenarbeit (GIZ) haben uns von zahlreichen Infrastrukturprojekten in der Nordregion erzählt. Diese Beispiele waren genauso ermutigend, wie der Besuch einer neu geschaffenen Ausbildungsstätte für Lehrerinnen und Lehrer in Mazar-i-Sharif und das Gespräch mit einer Vertreterin der Christoffel-Blindenmission. Es war für mich beeindruckend zu erleben, wie engagiert die deutschen Zivilkräfte dort gemeinsam mit Afghaninnen und Afghanen zusammen wirken.

Eine bessere Kommunikation und Koordination der am Afghanistaneinsatz beteiligten Bundesministerien ist aber dringend nötig. Hier gibt es, das bestätigten unsere Gesprächspartner in den Projekten, noch viele Entwicklungsmöglichkeiten, die für den Erfolg der zivilen Mission von großer Bedeutung sind.

Es ist ausgesprochen bedauerlich, dass die Erfolge ziviler Aufbauarbeit in Afghanistan bisher in der öffentlichen Diskussion und Wahrnehmung in Deutschland kaum vorkommen. Ich hätte es deshalb angemessen gefunden, wenn der Deutsche Bundestag neben der offiziellen militärischen auch eine offizielle zivile Mandatierung ausgesprochen hätte. Dies hat die EKD bereits vor einem Jahr gefordert. In unserem „evangelischen Wort zu Krieg und Frieden in Afghanistan, das den Titel trägt: „Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen“ vom 25. Januar 2010 haben wir gefordert:

„Das politische Konzept für Afghanistan hat neben der zivilen auch eine militärische Seite. Sie ist von vornherein unter dem Gesichtspunkt zu betrachten, wie der Aufbau der Zivilgesellschaft geschützt und gefördert werden kann. Wir werben dafür, dass nicht die militärische Logik das Denken, Planen und Organisieren für Afghanistan beherrscht, sondern dass den zivilen Anstrengungen der Vorrang zukommt, der ihnen in friedensethischer Hinsicht gebührt.“

Die Mandatsverlängerung im Deutschen Bundestag am 28. Januar war wieder „rein militärisch“ – das bedaure ich. Unser öffentlicher Blick ist leider sehr auf das „rein militärische“ fokussiert, dabei ist auch auf dem Sektor des zivilen Aufbaus schon längst vieles in Gang gekommen. Um Missverständnissen vorzubeugen: Eine zusätzliche zivile Mandatierung bedeutet keinesfalls, dass die militärischen und zivilen Aufgaben sozusagen synchron „im Doppelpack“ angegangen werden sollen. Hier haben wir bei unseren Gesprächen in Afghanistan bestätigt bekommen, dass es durchaus zwei verschiedene Logiken der militärischen und zivilen Arbeit gibt – und das ist auch gut so. Weder dürfen die zivilen Instrumente in die militärischen „eingebettet“ sein, noch dürfen sie gar instrumentalisiert werden. Viele Entwicklungshilfe-Organisationen betonen, dass gerade in der Verwechslung und Vermischung beider Ansätze eine Gefahr für sie besteht und dass sie oft sehr viel besser arbeiten können, wenn klar ist, dass sie unabhängig vom Militär arbeiten.

Es ist positiv zu werten, dass es im vergangenen Jahr 2010 nahezu eine Verdoppelung der zivilen Aufbaumittel für Afghanistan durch die Bundesregierung gegeben hat. Die Vertreterinnen und Vertreter der zivilen Kräfte betonten, dass es im Moment nicht mangelnde Finanzmittel sind, die ihre Arbeit hemmen, sondern die noch aufzubauenden Strukturen im Land und auch die schwierige Gewinnung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Dennoch sind weiter mehr als 200 deutsche Entwicklungshelferinnen und -helfer in der Nordregion tätig. Sie leben nicht in befestigen Hochsicherheitslagern, sondern inmitten der afghanischen Städte und Dörfer. Ich finde, es ist dringend nötig, über Konzepte der Seelsorge für diesen Personenkreis nachzudenken und ihre Realisierung in die Wege zu leiten. Für sie und ihre Arbeit gilt in besonderem Maße das Wort Jesu: „Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen.“

Ich verhehle nicht: Die neue offensive Strategie der Bundeswehr beurteile ich kritisch. Ich habe große Zweifel, ob die neue, deutlich offensivere Strategie der ISAF-Truppen in Afghanistan mit der bisherigen friedensethischen Ausrichtung der evangelischen Kirche in Einklang zu bringen ist. Es ist und bleibt sehr zu bedauern, dass in den Jahren seit Beginn des militärischen Engagements in Afghanistan viele Möglichkeiten durch falsche Strategien verschenkt worden sind.

Der Ratsvorsitzende hat eben gesagt, dass die Bundeswehr verantwortlich aber so schnell wie möglich ihre Aufgaben an die einheimischen Sicherheitskräfte übergeben soll. In diesem Zusammenhang möchte ich an den Begriff der „Übergabedividende“ erinnern: Die finanziellen Mittel, die frei werden, wenn die deutschen Soldaten und Soldatinnen sich aus Afghanistan zurückziehen, müssen auf absehbare Zeit diesem Land auf andere Weise zugutekommen: in der Form von Entwicklungshilfe, als Unterstützung für den Aufbau des eigenen Sicherheitsapparats, für zivile Friedensprojekte. Nur wenn es eine Übergabedividende gibt, die dem im Aufbau befindlichen Land zugutekommt, kann die Exit-Strategie zum Erfolg führen.

Düsseldorf/Hannover, 6. Februar 2011

Pressestelle der EKD
Reinhard Mawick