„Vor Gott verantworten“

Militärbischof Martin Dutzmann zur EKD-Reise nach Afghanistan

Anlässlich der Rückkehr seiner gemeinsamen Reise mit dem Vorsitzende des Rates der EKD, Präses Nikolaus Schneider und dem Friedensbeauftragte der EKD, Renke Brahms, aus Afghanistan, erklärte der evangelischen Militärbischof, Martin Dutzmann:

Vor etwas mehr als einem Jahr hat die EKD auf der Basis der Friedensdenkschrift von 2007 Stellung zur Situation in Afghanistan genommen. Nach unserem gerade beendeten Besuch bei den Soldaten der Bundeswehr sowie bei zivilen Hilfsorganisationen fragen wir: Sind wenigstens einige unserer damaligen Anregungen aufgenommen worden? Hat sich die Situation im Land wenigstens ein bisschen zum Positiven verändert? Im Grundsatz kann ich diese Fragen heute bejahen.

Wir hielten aus ethischen Gründen eine Auswertung des bisherigen Einsatzes, eine klare Zielsetzung für das weitere Engagement sowie eine Reflexion auf das Ende seiner militärischen Komponente für unabdingbar. In allen drei Punkten sind wir heute erkennbar weiter als noch vor einem Jahr: Der „Fortschrittsbericht“ der Bundesregierung vom Dezember 2010 – ich würde lieber von einem „Statusbericht“ sprechen - versucht erstmals eine ehrliche Zwischenbilanz. Die Mandatsverlängerung vom 28. Januar 2011 nimmt mit den Jahren 2011 und 2014 zum ersten Mal die Reduktion bzw. das Ende des militärischen Engagements in den Blick. Das impliziert eine Rechenschaftspflicht zu den genannten Zeitpunkten. Und schließlich: Mit dem Wechsel zur Strategie der „Counterinsurgency“ (COIN) sind die Ziele, die die internationale Gemeinschaft in Afghanistan verfolgt, deutlich genauer beschrieben als bisher.

Dennoch gibt es keinerlei Grund zur Euphorie, denn mit der neuen Strategie ist der Einsatz für unsere Soldatinnen und Soldaten erheblich gefährlicher geworden! Sie gehen jetzt offensiver gegen Aufständische vor, um einen sicheren Raum für den zivilen Aufbau bzw. Wiederaufbau bereit zu stellen. Mir deuten sich folgende Konsequenzen aus dieser veränderten Situation an.

  1. Seelsorgerlich und ethisch: In der Seelsorge spielen nun zunehmend neben den trennungsbezogenen Problemen (Meine Frau hat lange nicht geschrieben. Mein Kind ist krank. Mein Opa liegt im Sterben...) diese Fragen eine Rolle: Was ist, wenn ich einen Menschen töten muss oder getötet habe? Was ist, wenn ich als Vorgesetzter meinen Untergebenen zumuten muss, einen Menschen zu töten? Was ist, wenn ich selbst verwundet werde oder im Gefecht falle? Damit sind ethische Fragen verbunden. Ein Hauptfeldwebel einer Sanitätseinheit sagte uns: „Ich glaube nicht, dass Gott gefällt, was wir hier tun. Ich sehe aber keinen anderen Weg und bin weiterhin gern Soldat. Ich weiß, dass ich mich vor Gott werde verantworten müssen.“ Damit unsere Soldaten mit diesen Fragen nicht allein sind, darf bei der bevorstehenden Umstrukturierung der Bundeswehr die Anzahl der Seelsorgerinnen und Seelsorger keinesfalls verringert werden.
  2. Politisch: Nicht erst heute, aber heute ganz besonders haben unsere Soldatinnen und Soldaten einen Anspruch darauf zu erfahren, für welche Zwecke die Bundesrepublik Deutschland ihre Streitkräfte einsetzt – und für welche nicht. Diese Frage wurde nach dem Ende des Kalten Krieges bis heute nicht wirklich beantwortet. Nachdem die Landesverteidigung nicht mehr im Vordergrund stand, gab es zunächst eine Phase, in der die Bundeswehr in humanitäre Einsätze geschickt wurde, was ihr das Image eines bewaffneten technischen Hilfswerkes einbrachte. Daran änderten weder die Luftschläge auf die Bundesrepublik Jugoslawien noch zunächst der Afghanistaneinsatz etwas. Erst seit der Bombardierung zweier gestohlener Tanklastzüge nahe Kunduz im September 2009 ist in der Öffentlichkeit klar, dass deutsche Soldaten in Ausführung ihres Auftrages kämpfen und töten. Angesichts der damit verbundenen ethischen und seelsorgerlichen Fragen muss es ein sicherheitspolitisches Gesamtkonzept geben. Ein Weißbuch, das zudem kaum zur Kenntnis genommen wird, reicht hier einfach nicht aus.

Fazit: Im vergangenen Jahr ist im Blick auf das deutsche Engagement in Afghanistan einiges geschafft worden. Das gibt Anlass zu vorsichtigem Optimismus. Zugleich ist uns bei unserem Besuch vor Ort klar geworden, dass neue Herausforderungen zu bewältigen sind.

Düsseldorf/Hannover, 6. Februar 2011

Pressestelle der EKD
Reinhard Mawick