Charta Oecumenica - Leitlinien für die wachsende Zusammenarbeit unter den Kirchen in Europa

Antje Heider-Rottwilm

Vortrag vor der Mitgliederversammlung der ACK am 13. März 2002


I.    Bestandsaufnahme:

Als sich Ende Januar dieses Jahres die gemeinsame Arbeitsgruppe von KEK (Konferenz Europäischer Kirchen) und CCEE (Rat der europäischen Bischofskonferenzen) in Ottmaring trafen, stellte sie dankbar fest, dass die Charta tatsächlich in Europa - Ost und West, Nord und Süd - unterwegs ist. Ein Jahr zuvor während der Sitzung in Porto noch waren wir uns sehr unsicher, ob das breite Echo, das die Diskussion des Vorentwurfs ausgelöst hatte, nicht schon den Höhepunkt des Prozesses bedeuten würde.

Andererseits waren wir sehr beeindruckt davon, wie die Redaktionsgruppe - zu der aus Deutschland Prof. Ilona Riedel-Spangenberger und Prof. Reinhard Frieling gehörten - die Fülle der Rückmeldungen integriert hatte in den neuen Text. Es gab nur wenige Formulierungen, an denen wir - allerdings dann auch wieder in langen Nachtsitzungen - noch gefeilt haben.

Die ökumenische Feier in der Woche nach Ostern in Straßburg, das Miteinander von Jugendlichen und leitenden Geistlichen, die Aussendung in alle Regionen Europas - all das sollte zeichenhafte Bedeutung für den weiteren Weg mit der Charta haben. Besonders stark ist mir die Bibelarbeit zur Emmausgeschichte in Erinnerung geblieben, während derer wir zu zweit - je eine oder einer derer, die in CCEE oder KEK ihre Kirchen vertreten und eine oder ein Jugendlicher für eine Weile miteinander auf den Weg geschickt wurden. Wir waren gefragt, einander zu erzählen, einander mitzuteilen, wer der Auferstandene für uns ist und was als Aufgabe vor uns liegt - in seiner Nachfolge, je dort, wo wir leben. Und darum, allein darum geht es in der Charta.

1.     Die Rezeption auf europäischer Ebene

Aus den Büros von KEK und CCEE wurde im Januar 2002 in Ottmaring berichtet, dass die Charta Oecumenica zu einer Fülle von Ereignissen geführt hat:

Bis zum Januar wurden ca. 15.000 Exemplare der Charta verschickt - sie liegt bisher in 25 Sprachen vor. Die armenische Übersetzung ist hier in Deutschland entstanden, die serbische ist gerade in der Überarbeitung, ebenso die russische. KEK und CCEE waren verantwortlich für die Übersetzung ins Englische, Französische, Italienische - alle anderen Übersetzungen sind aus der Initiative derer entstanden, die sich in einzelnen Ländern für die Charta engagieren. Und manche Übersetzung war und ist schon in sich ein spannender ökumenischer Prozess.

Übrigens hat der Lutherische Weltbund die Charta zur intensiven Diskussion an seine Mitgliedskirchen weltweit geschickt. Der ÖRK und der päpstliche Rat für die Einheit der Christen haben sie einbezogen in die Erarbeitung des Materials für die Gebetswoche zur Einheit der Christen - da ist sie Ihnen in diesem Jahr wiederbegegnet.

Sie war Thema bei der Vollversammlung der Leuenberger Kirchengemeinschaft im Juni 2001 in Belfast - und ein Bezugspunkt in der Schlusserklärung.

Die lutherische Kirche Dänemarks hat sich zu eingehender Beschäftigung mit der Charta verpflichtet, in Italien hat es große Konferenzen gegeben, u.a. mit Prof. Paolo Ricca und Kardinal Kasper, aber auch mit mehr als 300 Ökumene-Delegierten der röm.-kath. Diözesen.

In Bosnien-Herzegowina hat der Rat für Ökumene der römisch-katholischen  Bischofskonferenz einen Runden Tisch zum Gespräch über die Charta mit den orthodoxen Bischöfen vorbereitet.

In Albanien fand eine Konferenz zur Rezeption der Charta mit mehr als 100 Menschen statt - unter Beteiligung der orthodoxen Kirche, der anglikanischen Kirche und der evang. Allianz.

Das rumänische Patriarchat hat die Charta in alle Bistümer und Gemeinden geschickt - und bittet, sie zu beraten und die Ergebnisse nach Bukarest zu schicken.

Distanzierungen kommen von der russisch-orthodoxen Kirche, deren Vertreter schon in Straßburg mitteilte, dass seine Kirche zwar nicht grundsätzlich gegen Leitlinien für die ökumenische Zusammenarbeit sei, aber z.B. die Form der Unterzeichnung ablehne - und für kontra-ökumenisch hielte. Da gibt es weiteren Gesprächsbedarf, der nicht zu trennen ist von der innerorthodoxen und gesamtökumenischen Situation im Blick auf die russisch-orthodoxe Kirche. So hat im Januar 2002 ein Besuch des Generalsekretärs der KEK beim Moskauer Patriarchat ergeben, dass die Russisch Orthodoxe Kirche zum weiteren Diskussionsprozess um die Charta konstruktiv beitragen will. Eventuell wird es - wie schon vor der endgültigen Fassung der Charta, angesichts derer sich die orthodoxen Kirchen gemeinsam auf Kreta verständigt hatten - eine weitere Tagung orthodoxer Kirchen geben.

Berichte aus England, Holland, der Schweiz spiegelten, dass selbst dort, wo man meinte, gute ökumenische Beziehungen zu leben, die Charta auf kritische Punkte aufmerksam machte und wichtige Anstöße gab.

In Portugal soll die Charta von den Bischöfen der episkopalen und der römisch-katholischen Kirche unterzeichnet werden.
Insgesamt wurde von europaweiten Aktionen, Projekten, Dialogprozessen berichtet - in Orden, Gemeinden, Schulen und Akademien. Die Charta ist Bezugspunkt in vielen neueren ökumenischen Texten, Beiträgen und Veröffentlichungen.
Wichtig war für mich der Aspekt, dass die Charta auch für die Bezugspunkt ist, die in den Gruppen des Konziliaren Prozesses - in Umweltfragen, dem interreligiösen Dialog, Friedensfragen - oder im europäischen Integrationsprozess engagiert sind.

Und ein zweiter Aspekt, der mir wichtig war und auch für unsere Gespräche in Deutschland Relevanz hat: die Charta ist in vielen Ländern als Anstoß erlebt worden, eine wachsende Verantwortung für Europa als Ganzes zu entwickeln sowie - für die gemeinsame Aufgabe der Kirchen in diesem Europa - eine Herausforderung, die in unterschiedlichen Kontexten sehr schmerzliche und mühsame Prozesse in Gang bringt.

2.     Die Rezeption in Deutschland

Über die Charta Oecumenica und ihre Rezeption in Deutschland zu reden ohne dies einzubetten in das, was sich auf europäischer Ebene entwickelt, widerspräche dem Geist der Charta. In bezug auf die Entwicklungen hier bei uns sind Sie die Expertinnen und Experten. So will ich nur kurz ein paar Stichworte aus meiner Perspektive einbringen:
Der Rat der EKD hat die Charta gleich nach dem Erscheinen im April begrüßt und einen Rezeptionsprozess initiiert, der von der Kirchenkonferenz und der Synode der EKD aufgegriffen wurde. Die ACK wurde gebeten, den Rezeptionsprozess zu begleiten und dafür auch eine Arbeitshilfe zu erstellen. Der Rat und die evang. Landeskirchen haben sich verpflichtet, die Charta auf allen Ebenen bekannt und bei allen ökumenischen Dialogen, Konsultationen etc. zum Gegenstand der Gespräche zu machen. Ob das schon allein innerhalb Deutschlands umgesetzt wird, wissen Sie besser als ich.
Die EKD hat um eine erste Bestandsaufnahme bis September gebeten, um diese an KEK und CCEE weitergeben zu können.
Die Evang. Frauenhilfe in Deutschland hat eine Arbeitshilfe erstellt, ebenso die Evang.-Luth. Kirche in Bayern.
Von den spannenden Vorbereitungen für eine Jugendtagung mit aej, BdKJ und 24 europäischen Jugendlichen im Vorfeld des Kirchentages wird Frau Rudolph Ihnen kompetenter berichten können.

In der vorletzten Woche gab es eine interessante Sitzung der Ökumene-, Missions- und Entwicklungs-Referentinnen und Referenten aus dem Bereich der EKD zusammen mit der Ökumene-Kommission, bei der berichtet wurde, was sich in den Kirchen getan hat.

Es gibt Landeskirchen, die die Charta in jede Gemeinde verschickt haben, sie zum Synodenthema und zum Thema grenzüberschreitender Konsultationen gemacht haben, sie ins Amtsblatt setzten, sie unterzeichnen werden oder schon haben.

Deutlich wurde: in einigen Kirchen ist das Echo mäßig - unter dem Motto 'das ist für uns doch nichts Neues' oder: 'nun schon wieder ein ökumenisches Papier' - in anderen Kirchen wird die Charta genutzt, um das ökumenische Engagement zu verstärken und um die dezidiert europäische Perspektive zu erweitern.

Von Seiten des Kirchenamtes haben wir über den KEK-Versand hinaus ca. 6.000 Exemplare verschickt - und zwar nicht die Großlieferungen an die Kirchen, die Anfragen haben wir natürlich an die KEK weitergeleitet - aber an Einzelpersonen, Einzelgemeinden, die deutschsprachigen Auslandsgemeinden, die sie z.T. als ökumenischen Dialoganstoß genutzt haben, auch an den Kirchentag und die ACK, an diverse Gremien, Gruppen, Einzelpersonen und Einrichtungen.

II.  Perspektiven und Herausforderungen:

1. Ich beginne wieder mit der europäischen Ebene - unter dem Vorzeichen, dass sie konstitutiv für unseren Umgang mit der Charta auch bei uns in Deutschland sein sollte.

1.1 'Die wichtigste Aufgabe der Kirchen in Europa ist es, gemeinsam das Evangelium durch Wort und Tat für das Heil aller Menschen zu verkündigen!' so heißt es zu Beginn des Kapitels II 'Auf dem Weg zur sichtbaren Gemeinschaft der Kirchen in Europa!'

Positiv aufgegriffen wird diese Selbstverpflichtung da, wo die Kirchen endlich gemeinsam darüber nachdenken, wie sie auf die Herausforderung durch die 'Entfremdung von christlichen Werten' bzw. 'Orientierungslosigkeit', wie es in der Charta heißt, reagieren wollen. Ein Instrument dazu ist der Arbeitsschwerpunkt der KEK zu 'gemeinsamer Mission' aber auch die gesamte Arbeit der Kommission 'Kirchen im Dialog' der KEK, da sie Vertreter/innen auch der orthodoxen Kirchen umfasst.

Auf europäischer Ebene gibt es eine Fülle von Irritationen, ökumenischen Stolpersteinen, schier unüberwindbaren Abgrenzungen zwischen den Konfessionen - gerade da ist behutsame und beharrliche Erinnerung an das, was im Kapitel I der Charta als unsere gemeinsame Basis im Glauben benannt ist, notwendig.

Wir haben die Aufgabe, uns in diesem Geist hilfreich und unterstützend in die Gesprächsprozesse unter und mit den Partnern einzubringen. Das gelingt jedoch nur glaubwürdig, wenn wir auch hier in Deutschland, unter uns, zu Absprachen hinsichtlich des gemeinsamen Auftrages kommen und dazu stehen - wenn unsere ökumenische Verbundenheit und unser Zeugnis hier so stark sind, dass sie nach außen strahlen und stärken - statt dass wir bei unseren Partnern zu 'schädlicher Konkurrenz und Spaltungen' beitragen. (II,2)

1.2  Wie brisant die zweite Verpflichtung unter II,2 im europäischen Kontext ist, brauche ich nicht zu erläutern.
"Wir verpflichten uns, anzuerkennen, dass jeder Mensch seine religiöse und kirchliche Bindung in freier Gewissensentscheidung wählen kann. Niemand darf durch moralischen Druck oder materielle Anreize zur Konversion bewegt werden; ebenso darf niemand an einer aus freien Stücken erfolgenden Konversion gehindert werden."
Dies ist die innerkirchliche Umsetzung dessen, was wir auf politischer Ebene im Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), der Arbeit für Religionsfreiheit und Gewissensschutz immer einfordern - und was trotzdem in vielen Regionen Europas die Kirchen selbst den Menschen nicht zugestehen. Auch dieses Thema gehört auf die kirchlich-ökumenische Tagesordnung, insbesondere im Blick auf Osteuropa.

1.3  Ich gehe weiter zu Kapitel III: unsere gemeinsame Verantwortung für Europa.

Es heißt dort: 'die Kirchen fördern eine Einigung des europäischen Kontinents'. Auf der Ebene von KEK und CCEE bzw. COMECE wird das darin konkret, dass sich die Kirchen engagiert in die Debatte um die Zukunft der europäischen Union einbringen. Das ist ja unser besonderer Schatz als Kirchen, dass wir mit Schwestern und Brüder in allen Regionen Europas verbunden sind, ihre Hoffnungen und Sorgen teilen - und nicht nur die Perspektive derer, die ihren Besitzstand im Rahmen der EU sichern wollen. Diese Perspektive bringen wir miteinander bei den europäischen Institutionen vor - ob es um europäische Asyl- und Flüchtlingspolitik, um Sicherheits- und Verteidigungspolitik, um Agrarfragen, Bioethik, Verantwortung für die südliche Hälfte der Erde oder Fragen einer zukünftigen europäischen Verfassung geht.

In den Verpflichtungen heißt es: 'Wir wollen uns über unsere Visionen verständigen - und sie gegenüber den säkularen europäischen Institutionen möglichst gemeinsam vertreten',. (III, 7) Darin steckt heftiger Zündstoff: die Schere zwischen dem Bemühen um gemeinsame Absprachen etc. und konfessionellen Alleingängen und Alleinvertretungsansprüchen ist groß. Ich deute das hier nur an. Brisant wird das, wo es um die zukünftigen Strukturen des Dialogs zwischen Kirchen und europäischen Institutionen im Rahmen einer europäischen Verfassung geht und um die zukünftige Zusammenarbeit mit den anderen Weltreligionen und Weltanschauungsgemeinschaften.

Es sollte uns zu denken geben, wie genau auch Menschen in den europäischen Institutionen die Charta lesen - uns daraufhin befragen - und dabei behaften.
Und es sollte uns zu denken geben, dass diejenigen in den europäischen Institutionen, die eher distanziert oder ablehnend den Kirchen gegenüberstehen, sich weigern, uns ernst zu nehmen, wenn wir als Kirchen auch noch einander widersprechende Interessen und Themen vertreten!


2.  Nun geht es nicht nur um das, was wir auf europäischer Ebene vertreten. Das ist hohl, solange es nicht gefüllt ist mit dem, was in den Gemeinden, Gruppen und Kirchen lebt. Auch da sehe ich uns vor großen Herausforderungen:

2.1  Ist das, was dort im III. Kapitel der Charta steht 'Unsere gemeinsame Verantwortung in Europa' Thema in unseren Gemeinden? Muss das nicht ein zentraler Aspekt unserer sozialen und gesellschaftlichen Verantwortung in dieser Zeit sein?

Gelingt es uns

  • die Frage der Identität als Familien, Gemeinde- u. Kirchenmitglied,
  • der kommunalen, nationalen, regionalen Verbundenheit,
  • der ethnischen und konfessionellen Zugehörigkeit,
  • die Sehnsucht, sich zu verorten und aus einer Geschichte heraus zu verstehen,

zu verbinden mit einer Gruppen, Ethnien, Familien, Nationen, Kirchen u.
Konfessionen überschreitenden Identität, wie sie uns in Jesus Christus geschenkt ist und frei macht zu Solidarität und Liebe.

Dieser Anfrage müssen wir uns immer wieder stellen und sie auch auf den europäischen Kontext bezogen annehmen - ohne dass wir uns in Europa nun wieder abgrenzen vom 'Rest der Welt'!

Dazu gehören die Verpflichtungen wie: Nationalismus überwinden, sich für Minderheiten, für gewaltfreie Lösungen einsetzen (III,8) - aber auch die Frage des solidarischen Lebensstils (III,9).

2.2  Zu der 'gemeinsamen Verantwortung in Europa' gehört auch die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Die wieder aufgeflammte Diskussion um die Geschichte zwischen Deutschen und Tschechen ist ein Signal dafür, dass trotz vieler Versöhnungsschritte - auch durch die Kirchen - die Wunden der Vergangenheit noch lange nicht geheilt sind, nicht zwischen Ethnien, nicht zwischen Völkern, nicht zwischen Mehrheits- und Minderheitenkirchen.

Für uns heißt das u.a., dass wir in intensiver theologischer Arbeit klären müssen: was das 'Andere' bedeutet in meinem Glauben, was sagt die Bibel dazu, wie gehe ich damit um?
Dazu gehören intensive Gesprächsprozesse im geschützten Raum, um voneinander zu hören, wie der oder die Andere die Vergangenheit erfahren haben - und dazu gehört Umkehr und Vergebung. (s. II, 3)

Wenn solche 'heilenden Erinnerungen' die gemeinsame Zukunft prägen sollen, müssen sie Eingang finden in Erziehung und Ausbildung, müssen sie vor allem verankert werden in religiöser Erziehung, theologischer Ausbildung und ökumenisch verantwortlicher Jugendarbeit, aber auch in der Entwicklung von Austauschprogrammen und der Koordinierung konfessioneller Ausbildungsprogramme (II,3).

Wir reden von Europa und reden zugleich von uns, unseren Gemeinden, Gruppen, Kirchen und davon, dass die Verpflichtungen der Charta uns anstoßen wollen:

  • im eigenen Kontext diese Herausforderungen anzunehmen,
  • Partnerschaften, ökumenische Besuche, regionale Zusammenarbeit als Baustein für 
    ein zusammenwachsendes Europa zu nutzen,
  • wo immer es uns möglich ist dazu beizutragen, dass so etwas wie 'heilende Er-
    innerung' passiert und uns auch den Schmerzen, die dieser Prozess bedeuten
    kann, nicht zu entziehen.

2.3  Die Charta Oecumenica ist, wie es heißt, 'ein Basistext', der 'allen Kirchen und Bischofskonferenzen von Europa' zur Annahme und Anpassung in ihrem jeweiligen Kontext empfohlen wird.

Was hindert uns in Deutschland daran, die Charta in den Gemeinden, Kirchen und Gruppen zu lesen

  • und sofern wir denken, das ist alles selbstverständlich, sie anzunehmen
  • sie feierlich zu unterschreiben
  • und dann umzusetzen.

Das heißt dann als nächster Schritt und als logische Konsequenz

  • unsere Partner, mit denen wir die Zusammenarbeit vertiefen wollen bzw. müssen,
      zu identifizieren,
  • auf sie zuzugehen, mit Ihnen zusammen zu lesen, was darin steht,
  • das herauszufinden, was schon gemeinsam getan wird, es aufzuschreiben,
  • aber auch das, was wir uns neu vornehmen, vor allem das, was schwierig ist
      und wir gründlich klären müssen
  • und dann die Charta gemeinsam anzunehmen.

Aus dieser Annahme folgt garantiert - wenn wir die Verpflichtungen ernstnehmen - dass wir wiederum und nun gemeinsam herausfinden, welche theologischen und gesellschaftlichen Herausforderungen wir konkret aufnehmen wollen und auf welche kirchlichen und außerkirchlichen Partner wir nun wiederum zugehen.

Es geht um 'wachsende' Zusammenarbeit. Mich erinnert das an das Bild in Rilkes Gedicht von den 'wachsenden Ringen'. Es geht nicht um neue Forderungen oder gar Überforderungen, aber um die Fortsetzung eines Weges, auf den wir uns längst und unwiderruflich in der ökumenischen Bewegung, in der ACK, im Konziliaren Prozess gemacht haben.

Was hindert uns denn noch, gerufen zur Einheit und im Wissen um die Kraft des Heiligen Geistes, 'auf allen Ebenen kirchlichen Lebens gemeinsam zu handeln, wo Voraussetzungen dafür gegeben sind und nicht Gründe des Glaubens oder größere Zweckmäßigkeit dem entgegenstehen' (II, 4) ?

2.4  Die Charta Oecumenica lebt davon, dass wir uns selbst verpflichten und diese Selbstverpflichtung umsetzen. Das schafft Freiheit, nimmt die Angst vor dogmatischen Festschreibungen und respektiert die Vielfalt der Situationen, in denen wir leben.

Wir haben die Freiheit, auf der Basis dessen, was wir gemeinsam glauben, sehr genau im lokalen wie im überregionalen und ökumenischen Kontext zu sortieren: was sind die nicht-theologischen, die historischen und kulturellen Gründe dafür, dass wir dies oder jenes nicht und erst recht nicht zusammen verwirklichen?

In diesen Zusammenhang gehört u.a. die Selbstverpflichtung, dass wir 'die Stellung und Gleichberechtigung  der Frauen in allen Lebensbereichen...stärken sowie die gerechte Gemeinschaft von Frauen und Männern in Kirche und Gesellschaft ...fördern' wollen. (III, 8)

Zweiundzwanzig Selbstverpflichtungen sind in der Charta formuliert. Prof. Riedel-Spangenberger hat sie und mögliche Folgerungen in KNA vom 27.3.01 eindrücklich aufgelistet.
Wenn ich von Menschen höre, was da genannt ist, sei doch alles selbstverständlich hier bei uns, dann bin ich immer versucht, in belehrender Weise zurückzufragen:

  • Haben die Menschen, die Gremien, die Kirche in der oder für die Sie arbeiten  und leben, tatsächlich die Ergebnisse der Dialoge mit den anderen Konfessionen zur Kenntnis genommen (II, 6)

  • und gehen Sie damit auf Ihre ökumenischen Partner zu?

  • Setzen sie sich miteinander für gewaltfreie Lösungen in Europa und weltweit
    (III, 8),  aktiv, konstruktiv ein?

  • Ist das Thema 'Lebensstil' bzw. 'nachhaltige Lebensqualität' weiterhin auf Ihrer Tagesordnung und Teil Ihres Alltags? (III, 9)

  • Treten Sie auf allen Ebenen Antisemitismus und Antijudaismus entgegen? Was heißt das für Sie in der momentanen politischen Situation? (III, 10)- Treten Sie, Ihre Gruppe, Gemeinde, Kirche für Religions- und Gewissensfreiheit und  auch für die korporativen Rechte aller Menschen ein (II, 12) ?

Wie gesagt, das hört sich sehr belehrend an, aber es spiegelt natürlich, dass ich einfach nicht glauben kann, dass es nicht noch Bereiche gäbe, in denen wir auch hier in Deutschland, zwischen den Gemeinden, Gruppen und Kirchen zusammenwachsen dürfen und müssen!

2.5  Die Charta Oecumenica ist ein europäischer Text, der erste dieser Art,  Frucht der großen ökumenischen Versammlungen in Basel und Graz. Sie respektiert die Verschiedenheit, aber ruft zur Verantwortung auf für das Zusammenleben im eigenen Land wie in ganz Europa - und in Europa als einem Kontinent unter den Kontinenten weltweit.

Die Charta unterstützt die multilateralen Prozesse, in denen jede Gruppe und Gemeinde eine Chance hat, mitzuarbeiten am Prozess der Versöhnung unter Christinnen und Christen in dem immer noch so angespannten und zerrissenen Europa.

2.6  Und die Charta ist ein Aufruf zum Gebet.
Sie beginnt mit der Erinnerung an das Gebet Jesu Christi: 'Sie sollen Eins sein'
(Joh 17, 21). Sie endet mit der Bitte um den Beistand des Heiligen Geistes.

Sie enthält in der Spannung zwischen der Überschrift 'Miteinander beten' (II, 5) und der Verpflichtung 'füreinander und für die christliche Einheit zu beten' eine Bestandsaufnahme dessen, dass manche unter uns die Gemeinschaft in Christus feiern können - und andere immer noch schmerzlich die Zerrissenheit untereinander leben und erleiden.

Ich möchte gerade angesichts dieser Zerrissenheit fragen: Was könnte es bedeuten, wenn wir das wirklich in unseren Kirchen tun, wozu wir uns in der Charta verpflichten: 'füreinander beten',
- nicht sofort um die Einheit, die leicht im eigenen Sinne weitergedacht wird,  zu beten, sondern füreinander beten;

  • die andere Kirche oder Konfession dem Schutze Gottes anvertrauen, Gottes reichen Segen für sie erbitten;

  • geistliche Kraft und Wachstum für ihre Geistlichen, seien es Frauen oder Männer erbitten;

  • hoffen, dass Gott unser Gebet erhört und uns die Augen öffnet um zu sehen, wo wir seine Werkzeuge sein können, damit Wirklichkeit wird, worum wir bitten;

  • sich dankbar dafür öffnen, dass die andere Kirche Gottes reichen Segen für uns erbittet;

  • und so 'füreinander und für die christliche Einheit zu beten'

Das ist eine der Selbstverpflichtungen, die uns am meisten herausfordert - alltäglich und sonntäglich.


Antje Heider-Rottwilm