Predigt zum Beginn des Weltjugendtages (Mt 2, 1-13)

Manfred Kock

Antoniterkirche Köln

Wir sind gekommen, um IHN anzubeten

Mit diesem Sonntag beginnt die Woche des katholischen Weltjugendtages. „Wir sind gekommen, um IHN anzubeten“ so lautet das Motto. Der Spruch läuft als Banner über die Homepage des Weltjugendtages und steht auf vielen Plakaten und Prospekten. Am neuen Hochhaus in Deutz leuchtet ein riesiger gelber Stern mit einem Kometenschweif, aus gerechnet an dem Gebäude das die Stadt um ein Haar den Status als Weltkulturerbe kostet, weil es den Blick auf den Dom verstellen soll.

Das ist alles sehr beziehungsreich. Denn das Motto und der Stern und der Dom sind mit einer biblischen Geschichte verbunden, die eigentlich in den Weihnachtskreis gehört. Es ist die Erzählung von den Weisen aus dem Morgenland, die im Volksmund die Heiligen Dreikönige heißen.

Die hatten sich aufgemacht, dem Stern folgend, um den neugeborenen König der Juden zu sehen und ihn anzubeten. Heute steht im Dom zu Köln ein kostbarer Schrein, der ihre Gebeine enthalten soll. Jedenfalls ein Ort, der alle Menschen zum Gedenken und zu Anbetung Jesu Christi einlädt.

Um diese Geschichte soll es heute auch in dieser Predigt gehen.

Ich hoffe, niemand ist irritiert, der WJT ist ja keine evangelische Veranstaltung. Und manches an der Inszenierung ist auch anstößig für uns: Das mit dem Tag verbundene ausdrückliche päpstliche Versprechen auf vollkommenen Ablass zu Beispiel. Da wird ausgerechnet das Element katholischen Volksfrömmigkeit aktiviert, das im 16. Jahrhundert der Anlass für die Spaltung der Kirche war. Die kirchenamtliche Verrechnungstechnik von guten und bösen Taten, die Vorstellung eines Fegefeuers, in dem die Strafen abgebüßt werden müssen, wenn sie nicht wegen frommer Leistungen abgelassen werden, das ist alles nicht mitzuvollziehen. Und ich bedaure katholische Freunde, die nun enttäuscht sind, dass das Mittelalter wieder heraufbeschworen wird. – Auch die Massenfixierung auf den Papst hat etwas, das mit dem, wie Kirche Jesu Christi mitleidend durch  die Zeiten leben soll, nicht übereinstimmt.

Aber dennoch: Da kommen hunderttausende, vielleicht eine Million junger Menschen. Und die meisten möchten wohl einen Weg gehen, der der Anbetung dient. Viele von uns Älteren trauen dieser neuen Generation eine Sehnsucht nach dem Ewigen gar nicht mehr zu, dieser „Generation mit Zeitvertrag, die stets nur bis auf Widerruf arbeitet und liebt“, wie es neulich wieder in einer Tageszeitung zu lesen war (Tagesspiegel 12.8.). Aber dieses Vorurteil verkennt, wie unbändig der Wunsch drängt, etwas gemeinsam zu erleben, das über den Alltag hinauswirkt. Das war bei dem wunderschönen Kirchentag in Hannover nicht anders. Und so sollten wir Evangelischen uns mitfreuen, dass die Stadt voller Sternreisender ist.

Dem Geheimnis ihres Weges lasst uns näher kommen, wenn wir die wunderschöne Geschichte hören, wie sie im Evangelium nach Matthäus im zweiten Kapitel überliefert ist.

Mt 2,1-13
Die Weisen aus dem Morgenland

Als  Jesus geboren war in Bethlehem in Judäa zur Zeit des Königs Herodes, siehe, da kamen Weise aus dem Morgenland nach Jerusalem und sprachen:
2 Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir  haben seinen Stern gesehen im Morgenland und sind gekommen, ihn anzubeten.
3 Als das der König Herodes hörte, erschrak er und mit ihm ganz Jerusalem,
4 und er ließ zusammenkommen alle Hohenpriester und Schriftgelehrten des Volkes und erforschte von ihnen, wo der Christus geboren werden sollte.
5 Und sie sagten ihm: In  Bethlehem in Judäa; denn so steht geschrieben durch den Propheten (Micha 5,1):
6 »Und du, Bethlehem im jüdischen Lande, bist keineswegs die kleinste unter den Städten in Juda; denn aus dir wird kommen der Fürst, der mein Volk Israel weiden soll. «
7 Da rief Herodes die Weisen heimlich zu sich und erkundete genau von ihnen, wann der Stern erschienen wäre,
8 und schickte sie nach Bethlehem und sprach: Zieht hin und forscht fleißig nach dem Kindlein; und wenn ihr's findet, so sagt mir's wieder, daß auch ich komme und es anbete.
9 Als sie nun den König gehört hatten, zogen sie hin. Und siehe, der Stern, den sie im Morgenland gesehen hatten, ging vor ihnen her, bis er über dem Ort stand, wo das Kindlein war.
10 Als sie den Stern sahen, wurden sie hoch erfreut
11 und gingen in das Haus und fanden das Kindlein mit Maria, seiner Mutter, und fielen nieder und beteten es an und taten ihre Schätze auf und  schenkten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe.
12 Und Gott befahl ihnen im Traum, nicht wieder zu Herodes zurückzukehren; und sie zogen auf einem andern Weg wieder in ihr Land.
13 Die Flucht nach Ägypten

Als sie aber hinweg gezogen waren, siehe, da erschien der Engel des Herrn dem Josef im Traum und sprach: Steh auf, nimm das Kindlein und seine Mutter mit dir und flieh nach Ägypten und bleib dort, bis ich dir's sage; denn Herodes hat vor, das Kindlein zu suchen, um es umzubringen.
Eine anschauliche Geschichte, alle kennen sie. Eine Geschichte zum Malen und Gestalten. Auf unzähligen Bildern ist sie gedeutet und ausgeschmückt worden. Meistens sind da kostbar gekleidete Männer; auf dem Lochnerbild im Dom repräsentieren sie die drei Lebensalter: ein Greis, ein Mann im mittleren Alter und ein Junger. Weise, Magier nach dem griechischen Wortlaut, Sterndeuter nennt sie die Bibel. Sie tragen keine Kronen in der Geschichte – anders als auf vielen Bildern. Auch dass es drei waren, steht nicht ausdrücklich da, es ist ein Rückschluss aus den drei Geschenken Gold Weihrauch und Myrrhe. Ihre Namen stehen noch nicht in der Bibel, erst eine spätere Zeit hat sie ihnen zugelegt: Kaspar Melchior und Balthasar.

Da sei übrigens noch ein vierter König gewesen, weiß eine alte russische Legende. Der habe  als Geschenk für den neugeborenen König Edelsteine mitgenommen. Aber unterwegs habe er all das Elend der Welt gesehen und habe voller Mitleid die Geschenke und alles, was er hatte, den Armen verschenkt. Erst nach 30 Jahren sei er in Jerusalem angekommen, zu dem Zeitpunkt, als Jesus gekreuzigt wurde.  Gerade noch rechtzeitig, wie es in der Legende heißt. Nun, auch das ist eine schöne Geschichte.

Aber sind solche Geschichten, einschließlich aller Ausschmückungen nicht wunderbar? Sie sind Glaubenerzählungen im besten Sinn. Solche Geschichten bewegen Herzen und Hände und Füße. Sternsinger gehen zum Jahresbeginn durch die Straßen von Haus zu Haus. Sie sammeln Geschenke und Geld für die Ärmsten der Welt. Das ist eine wunderschöne Geschichte, weil sie es fertig bringt, dass Menschen über ihren Horizont blicken, ihre Brieftaschen öffnen und Hilfe schenken.  Auch dass viele junge Leute aufgebrochen sind hierher nach Köln, um IHN anzubeten, das Krippenkind, den Mann am Kreuz, zeigt, die bleibende Wirkung der Geschichte von den Weisen aus dem Morgenland.

Kepler, der berühmte Astronom, hat eine Sternkonstellation errechnet, etwa um das Geburtsjahr Jesu. Mit wissenschaftlichem Fleiß wurden die Knochen und Beigaben im Dreikönigsschrein untersucht. Uralt soll alles sein, und um Gebeine von drei Männern soll es sich handeln. Ich glaube, es gibt immer noch ungestillten Forscherdrang, die Knochen als echt zu erweisen.

Aber nichts ist von Bedeutung an dieser uralten Legende, was Astronomie und Archäologie, Medizin und Chemie in ihr finden könnten. Die Geschichte ist eine Huldigung des Kindes in der Krippe. Ihren historischen Kern brauchen wir nicht, wir müssen ihren gegenwärtigen bedenken.

  • Vom Suchen und Finden ist hier die Rede, von unserem Suchen und Finden auch.
  • Von der Angst, die Macht zu verlieren, ist die Rede, auch von heutiger Angst und vielleicht von unserer Angst.
  • Von verborgener Herrlichkeit ist die Rede – auch das könnte uns heute aufgehen.

Vom Suchen und Finden

 „Wo ist der neugeborene König der Juden?“ Eine klare Frage- Wir stellen sie so nicht, auch nicht die jungen Leute, die den WJT besuchen. Fragen, die denen und uns kommen, sind oft unklar – aber drängend nach Leben, nach Glück und nach Sinn. Auch diese Begriffe hängen sehr hoch. Die meisten Menschen sind froh, wenn sie überhaupt irgendwie durchkommen. Aber hinter den Begriffen ist eine Sehnsucht zu spüren, die nach Erfüllung sucht.
„Wo ist der neugeborene König der Juden?“ Gesucht wird kein Neutrum, keine Sache, keine Idee, keine abstrakte Philosophie, sondern eine Person, an die sich die Hoffnung hängt. Das Geheimnis der Botschaft vom Kind aus Bethlehem, vom Mann aus Nazareth, der am Kreuz endete und lebt, das ist der Kristallisationspunkt der Hoffnung, dass alle Sehnsucht in Erfüllung geht.

Angst vor Machtverlust

„Wo ist der neugeborene König der Juden?“ – Plötzlich wird es politisch. Herodes ist doch der König Und der gerät in Angst und Schrecken. Er fürchtet in seinem verlogenen Leben nichts mehr als die Menschgewordene Wahrheit. Und so ruft er eilig den ganzen Krisenstab zusammen, die Stützen von Thron und Altar, die Sicherheitsberater und Geheimdienstleute, die Großen aus Wirtschaft und Politik. Die wissen auch gleich, wo der neugeborene König zu finden wäre Aber dieses Politbüro macht sich nicht auf den Weg zum neuen Menschen. Es ist einfacher, die Macht beim Alten zu lassen.

Wer wirklich sucht und gefunden hat, bleibt nicht beim Alten. Wer erlebt, dass Gott ihn leitet, weil der ihn längst gefunden hat, bleibt nicht beim Alten. Bricht vielmehr auf, will neu werden, will auch in der Kirche erneuern, dass sie lebensdienlich bleibt, will nicht konservieren, was das Leben hindert.

Aufbrechen, dem Stern folgen, nicht schweigen, wo Unrecht geschieht; zu Gott stehen, auch wenn viele nichts von ihm wissen wollen.

Die Legende weiß: Herodes bleibt chancenlos. Seine Macht ist abgelaufen. Er kann noch blind wüten, aber er hält den Lauf der Dinge nicht auf. Die Zukunft gehört dem Kind.

Die Weisen gehen auf einem anderen Weg in ihr Land zurück und lassen da, was sie mitgebracht hatten: Gold, Sinnbild des Besitzes; Weihrauch, Symbol der Hingabe; Myrrhe, Zeichen der Bereitschaft zum Leiden.

Verborgene Herrlichkeit

Das Kind ist das Licht der Völker. Herodes hat es nicht begriffen. Aber von weit her waren sie gekommen, die Repräsentanten der Völker, der Heiden, sie waren gekommen, um IHN anzubeten. Die alten Bilder zeigen, wie die Großen der Welt dem Kinde huldigen. Auch die kostbaren Geschenke waren keine Bestandteile des historischen Lebens Jesu. Sie sind Bilder der Verehrung für den wahren König.

Vor wem beugen wir die Knie? Haben wir überhaupt einen Sinn für das Gottesgeheimnis? Anbeten jenseits aller Vereinnahmung, verehren als Wendung des Herzens? Gibt es für uns eine solche Sternstunde? Eine die uns aufbrechen lässt, wie die Weisen aus dem Morgenland - und wie die jungen Leute aus aller Welt? Die werden nach der Erfahrung von Gemeinschaft heimkehren, hoffentlich fröhlich und nicht frustriert. Und erfüllt vom Vorsatz, noch mehr zu erfahren von der Kraft des Glaubens an IHN.

Woher denn sonst kommt Menschenfreundlichkeit? Von welchen Wurzeln nährt sie sich? Von welchen Quellen wird sie gespeist? Mir liegt es fern, unseren religiösen Wurzeln und Quellen einen Alleinvertretungsanspruch bei der Hervorbringung und Förderung von Menschenfreundlichkeit, Friedfertigkeit oder Versöhnungswillen zuzuerkennen. Aber eines wird man sagen müssen: Es gibt in der Kultur der Menschheit nicht unendlich viele Ressourcen, die sich als fähig gezeigt haben, diese Tugenden hervorzubringen und kräftig zu erhalten. Der Ruf in die Nachfolge Jesu gehört auf jeden Fall dazu.

So möge uns ein Stern aufgehen, dass wir Orientierung behalten, die in dieser Zeit besonders nötig ist.
Ich bin gespannt auf den Verlauf der Woche. Am kommenden Sonntag wollen wir wieder auf Gottes Wort hören und in seinem Licht auf das Ereignis des WJT zurückschauen.