Ratsvorsitzender beim Kirchbautag in Stuttgart

"Räume des Friedens in unsicherer Zeit"

Die Bewahrung und Pflege von Kirchenräumen sollte ein Anliegen aller Christen, aber auch eine Verpflichtung der ganzen Gesellschaft sein. Dies erklärte der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, am Freitag, den 30. September in seinem Vortrag „Kirche als Zeichen in der Zeit – Kulturelles Erbe und Sinnvermittlung für das 21. Jahrhundert“ beim 25. Evangelischen Kirchbautag in Stuttgart. Dem Erhalt von Kirchenräumen käme angesichts drängender werdender Fragen nach Sinn und Halt eine ähnlich zentrale Bedeutung zu wie der Heiligung des Feiertages und dem Eintreten für den Religionsunterricht als reguläres Schulfach. In diesen Auseinandersetzungen zeige sich beispielhaft der Umgang der modernen Zeit mit dem christlichen Erbe. „Dem Umgang mit Kirchenräumen“, so Huber, „kommt dabei eine Schlüsselbedeutung zu.“

In unsicheren Zeiten waren Kirchen und Klöster „geschützte Oasen, in denen Streit und Gewalt aufhören mussten“. Seit Mitte des 11. Jahrhunderts wurden sie zu hervorgehobenen Friedensräumen, die den Menschen Kraft zur Bewältigung des Alltags gaben. „Meine These ist: Wir brauchen auch heute Zeiten und Orte des Gottesfriedens.“ Kirchen seien eine „Heimat für alle Seelen, Raum zum Einkehren bei sich selbst, zum Ankommen bei Gott und zum Aufmerken auf den Nächsten.“ Die Kirchenräume seien dabei kein Selbstzweck, erklärte der Ratsvorsitzende: sie „haben Verweisungscharakter, sie sind Fenster zum Himmel und Türen zur Barmherzigkeit“. Als Heterotopien („andere Räume“) seien sie „Zeichen des Widerspruches gegen die einlinige Verzweckung in der Moderne“.

In der heutigen Zeit gelte es, „mit neuen Ideen und guter Qualität die Kirchenräume mit Leben zu füllen“. Alle Ansätze zu einer Verlebendigung der Kirchennutzung seien zu unterstützen und zu fördern. Die evangelische Kirche müsse nach dem Bauboom von Gemeindehäusern und zusätzlichen Kapellen in der Nachkriegszeit „ihre starken Kirchen als Kernräume ihres gemeindlichen Lebens wieder entdecken.“ Huber sprach sich für das Offenhalten von Kirchen aus, „die erreichbar und zugänglich sein sollten“. Damit der Einzelne seinen persönlichen Zugang nicht nur zur Kirche, sondern auch zum Glauben neu entdecken könne, gehe es auch um eine „Bildungsoffensive zu elementaren christlichen Themen“. Die Kirchenpädagogik sei mittlerweile zu einer Form des Erwachsenen-Katchumenates geworden. Es gehöre zu den Grundforderungen unserer Zeit, „dass wir unsere Kirchenräume geistlich zurückgewinnen und sie zu ‚Kompetenzzentren evangelischer Frömmigkeit’ weiterentwickeln.“

Die Wiederentdeckung der Kirchenräume geschehe in einer Zeit, in der die Ressourcen und Finanzkräfte zum Erhalt der Kirchen eingeschränkt seien. Zwei Grundsätze gehören laut dem Ratsvorsitzenden bei der Frage nach dem Erhalt von Kirchen zusammen: „Wegen ihres besonderen Charakters sollen Kirchengebäude nur im Ausnahmefall aufgegeben werden.“ Und: „Damit sie ihren besonderen Charakter behalten, müssen Kirchen auch widmungsgemäß genutzt werden und als Orte des Gottesdienstes und des Gebetes lebendig sein“, erklärte Huber. „Schon eine sehr geringe Zahl von Kirchen, die als Diskotheken, als Einkaufszentren oder als Fischrestaurants genutzt werden, gefährdet den Symbolgehalt auch anderer Kirchengebäude.“ Die Nachnutzung durch nichtchristliche Religionen sei unverträglich mit dem Symbolwert einer Kirche.

Hannover, 30. September 2005

Pressestelle der EKD
Silke Fauzi

Der Vortrag "Kirche als Zeichen in der Zeit - Kulturelles Erbe und Sinnvermittlung für das 21. Jahrhundert" im Wortlaut