Statement zur Pressekonferenz anlässlich der Eröffnung der Sonderausstellung "Am siebten Tag"

Manfred Kock

Bonn, Haus der Geschichte

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Damen und Herren,
schon über die Idee, eine solche Ausstellung zum Thema Sonntag ins Werk zu setzen, habe ich mich sehr gefreut. Das Konzept hat mich sehr positiv beeindruckt. Diese Ausstellung vermeidet die Gefahr einer bloßen Historisierung des Sonntags, weil sie neben ganz hervorragenden Exponaten, die uns seine Geschichte in all ihrer Ambivalenz vor Augen führen, auch künftige Entwicklungsperspektiven des Sonntags einbezieht.

Wenn ich von der Ambivalenz des Sonntags spreche, dann möchte ich damit auch ausdrücken, dass die Kirchen durchaus einen realistischen Blick auf die Praxis des Sonntags haben. Sonntagsspaziergänge mit der Familie waren und sind für Kinder nicht nur erfreuliche Erlebnisse, und wir verkennen nicht, wie viele Menschen noch heute am Sonntag allein sind. Aber das ist nicht nur eine Frage, die den Sonntag betrifft, sondern die Gesellschaft, in der wir leben, insgesamt.

„Den Sonntag gestalten" ist eine Formel, die uns in den Kirchen begleitet, seit die Auseinandersetzung um den Sonntag vor etwa 15 bis 20 Jahren begonnen hat. Für die ganz überwiegende Mehrzahl der Menschen, das zeigen immer wieder Befragungen und soziologische Untersuchungen, hat der Sonntag nach wie vor einen hohen Stellenwert.

Was die Diskussion um den Sonntag immer wieder auslöst, ist der Anspruch der Wirtschaft, über diesen besonderen Tag verfügen zu können wie über jeden anderen. Manche Kreise argumentieren, der internationale Wettbewerb zwinge dazu, die Betriebszeiten zu verlängern und möglichst alle verfügbaren 168 Stunden der Woche für Produktion, Handel und Dienstleistung zu nutzen. Freilich, es geht dabei auch um Arbeit, die für den Bestand der Gesellschaft erforderlich ist, z.B. um alles, was mit öffentlicher Ordnung, mit Verkehr und anderen Rahmenbedingungen der Sonntagskultur zu tun hat. Dazu kommen auch Tätigkeiten, die für kontinuierliche Fertigungsprozesse unabdingbar sind. Aber in den meisten Fällen geht es bei den Forderungen der Wirtschaft um Profitmaximierung, und nur bis zu einen gewissen Grad auch um Arbeitsplätze. Das haben wir in den zwei Dekaden der Auseinandersetzungen nie übersehen. Es muss uns allen aber auch darum gehen, eine Gesellschaft zu erhalten, in der Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft nicht nur Randkategorien sind. Unser Gemeinwesen lebt vom Miteinander, darauf hinzuweisen gehört zum genuin kirchlichen Auftrag.

Die Kirchen treten für den Sonntag ein nicht in erster Linie aus Gründen einer liebgewordenen Tradition und auch nicht nur, um den Kirchenbesuch zu stützen. Wir meinen vielmehr, dass sich gerade am Sonntag so etwas wie eine gute Verbindung von kirchlicher Tradition und Praxis auf der einen Seite und den Erfordernissen einer modernen Gesellschaft auf der anderen herausgebildet hat. Deshalb haben wir uns in dieser Frage in großem innerkirchlichen Konsens engagiert, zum Beispiel mit der gemeinsamen Kampagne "Ohne Sonntage gibt's nur Werktage". Von Beginn an haben wir dabei mit wichtigen gesellschaftlichen Gruppierungen viele Berührungspunkte festgestellt und darum mit ihnen in der Frage des Sonntagsschutzes besonders eng zusammengearbeitet.

Der arbeitsfreie Sonntag ist nach meiner festen Überzeugung ganz und gar unverzichtbar, weil Gemeinschaft überhaupt erst ermöglicht wird in Form von gemeinsamer Zeit. Um zusammenzukommen, um sich treffen zu können in der Familie und mit Freunden ist ein gemeinsamer Lebensrhythmus der Gesellschaft unerlässlich. Das stärkt die Familie, die für ihren Zusammenhalt auf den Sonntag angewiesen ist. Aber auch wer alleine lebt, wer beruflich oder privat viel durch die Lande reist, braucht den gemeinsamen Wochenrhythmus um Freunde treffen und gemeinsame Freizeitprojekte verabreden zu können!

Menschen haben neben all der Aufregung und Hektik - die sie ja zugleich lieben und ohne die viele von uns ja gar nicht leben könnten - im gleichen Umfang das Bedürfnis nach Ruhe und Entspannung. Das ist, um nicht missverstanden zu werden, kein Gegensatz etwa zum gemeinsamen Besuch eines Freizeitparks. Nicht ganz zufällig haben ja wohl nicht zuletzt aus diesem Grunde wenigstens vorläufig nun auch die jahrelangen leidigen Debatten um Sonntagsöffnung der Kaufhäuser und Einzelhandelsgeschäfte ein vorläufiges Ende gefunden. Es sind im wesentlichen nur noch einige Branchen an den Rändern, die mit mehr oder weniger guten Argumenten Sonderregelungen zu erwirken suchen. Nach all den Aufregungen in Leipzig, in Halle und in Berlin und anderswo hat nun der Dachverband des Einzelhandels den Sonntag als - regelmäßigen - Verkaufstag aufgegeben. Diskutiert wird nur noch über Sonderregelungen an ausgewählten Sonntagen und die Sonntagsöffnung in bestimmten zentralen städtischen Lagen, etwa in der Innenstadt von Berlin. Die Kirchen sind nach wie vor gegen solche Sonderregelungen.

Die Kirchen haben noch weitere Gedanken zum Thema „Der Siebente Tag“ beizutragen: Das ist zum einen die Idee der Unterbrechung. Der siebente Tag ist dem Alten Testament zufolge der Tag, an dem Gott ruhte, nachdem er seine Schöpfung vollendet hatte. Dieser Grundgedanke weist auf die Wohltat der Unterbrechung für den Menschen und die Schöpfung hin. Die regelmäßige Ruhe soll nach den biblischen Texten selbst für Nutztiere gelten, die ja als Lastesel oder Zugochsen so etwas wie die „Maschinen“ früherer Epochen waren.

Das ist zum anderen die Bestimmung des Sonntags als Tag, an dem die Kirche der Auferstehung Jesu Christi gedenkt. Dieser Tag am Neubeginn der Woche weist hin auf den Neubeginn in der Geschichte Gottes mit der Menschheit. Das Hören auf diese Botschaft steht dem alltäglichen Handeln der Christen voran, so wie Gottes Rettungstat an Jesus allem menschlichen Tun voraus gegangen ist. Der Sonntag erinnert uns daran, dass wir uns nicht selber am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen können, sondern dass wir auf Gottes Hilfe angewiesen sind.

So gehört beides gehört zusammen: Die Unterbrechung des Alltags und das Erinnern an die Quelle unseres Lebens. So ist der Sonntag ein inhaltlich reich gefüllter Zeit-Raum.

Die öffentliche Diskussion um den Sonntag gehört aus unserer Sicht eben nicht in die Rubrik der Freizeit-Themen, sondern sie ist der Schlüssel zum Selbstverständnis unserer gesamten Kultur. Eine „Sonntagsfrage“ viel grundsätzlicherer Art als die der Meinungsforscher ist darum die Frage, wer sonntags in unserem Land regieren soll: Der Geist des Geldes, der im Menschen nur einen ökonomischen Faktor sieht oder der Geist des Lebens und der Würde des Menschen.

Bei all unseren Bemühungen für den Schutz des Sonntags und die Verteidigung seiner Unverfügbarkeit lassen wir uns leiten von der Erkenntnis Jesu Christi, der im Streit um die Grenzen der jüdischen Sabbatregelungen einmal gesagt hat, was wir nie vergessen dürfen: “Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen.“(Evgl. nach Markus 2,27).

Mehr noch als die alten Sonntagstraditionen zu bewahren oder wiederzubeleben, sollte es darum gehen, den Sonntag als dieses wunderbare Geschenk Gottes für alle Menschen neu zu entdecken, und darum alte und neue Formen von Sonntagskultur miteinander zu verbinden. Wenn diese Ausstellung dazu beiträgt, den Sinn des Sonntags nicht nur affirmativ, sondern kritisch zu diskutieren, wäre das ganz in unserem Sinne!