Dialogpredigt im festlichen Schlussgottesdienst beim Ökumenischen Kirchentag

01. Juni 2003, Berlin

(Es gilt das gesprochene Wort)

Gemeinsam mit Karl Kardinal Lehmann, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, soll Psalm 67 ausgelegt werden (abwechselnd als Predigt im Dialog, Teil 2 und Teil 4 hat Herr Präses Kock übernommen).

Gottes Segen für alle Welt

Predigttext:  Psalm 67,2-5 (Einheitsübersetzung)
2 Gott sei uns gnädig und segne uns. Er lasse über uns sein Angesicht leuchten,
3 damit auf Erden sein Weg erkannt wird und unter allen Völkern sein Heil.
4 Die Völker sollen dir danken, o Gott, danken sollen dir die Völker alle.
5 Die Nationen sollen sich freuen und jubeln. Denn du richtest den Erdkreis gerecht. Du richtest die Völker nach Recht und regierst die Nationen auf Erden.
6 Die Völker sollen dir danken, o Gott, danken sollen dir die Völker alle.
7 Das Land gab seinen Ertrag. Es segne uns Gott, unser Gott.
8 Es segne uns Gott. Alle Welt fürchte und ehre ihn.


Teil 1 Kardinal Lehmann

Jeder spürt sofort, dass unser Psalm in großer Nähe zum bekannten Segen des Aaron und seiner Söhne für die Israeliten steht (vgl. Num. 6,22-27). Dabei gibt es jedoch im Vergleich aufschlussreiche Veränderungen. So steht hier an erster Stelle der Wunsch: Gott sei uns gnädig. Diese gnädige Zuwendung Gottes zu den Menschen und zur ganzen Erde ist die Voraussetzung für allen Segen. Der Psalm kommt offenbar von der Erfahrung her, dass das Geschehen in der Welt und unter den Menschen dunkel, ja unbarmherzig und grausam ist. Wenn Gott nicht gnädig wäre, blieben wir in dieser Finsternis und Friedlosigkeit. So aber wendet er sich uns wohlwollend zu. Gott ist gut. Wenn er gnädig mit uns ist, spüren wir auch seinen Segen. Mit ihm kann das Leben gelingen, sonst kommt vielfacher Fluch auf uns als Folge der Unordnung und der Störungen in unserem Leben. Gott teilt seiner Güter großzügig aus. Dabei handelt es sich nicht bloß um einen einmaligen, sondern um einen fortwährenden Gunsterweis, der auf die Fülle und das Glück des Lebens zielt. So wird die ganze Welt, alles, was ist, einbezogen: der Einzelne, die Familie, die Gesellschaft und die Schöpfung. Die Fruchtbarkeit der Erde zeigt sich in einer guten Ernte. Dabei geht es um das alltägliche Leben: jeder soll all das erhalten, was er zum Leben braucht. Er soll es in innerer und äußerer Ruhe genießen können. So soll auch Gott „sein Angesicht über uns leuchten lassen“: Wie ein freundliches Gesicht unter uns Menschen Freude und Wohlwollen ausstrahlt, soll Gott sich Israel gegenüber gütig verhalten. Israel soll den Segen und den Frieden der ganzen Welt und allen Völkern vermitteln.


Teil 2 Ratsvorsitzender Manfred Kock:

Liebe Kirchentagsgemeinde!

"Ihr sollt ein Segen sein", denn Gott segnet Euch! ER schenkt die Fülle des Lebens und Frieden. Die biblischen Erzählungen vom Weg Israels in die Freiheit, die Visionen vom Reich des Friedens, die Gesänge der Verwandlung von Schwertern zu Pflugscharen sind weitergegeben durch die Zeiten.

Die Menschheit sehnt sich nach Frieden. Alle großen Religionen tragen die Spuren dieser Sehnsucht. Der Friede ist ihr ausdrückliches Ziel. Fanatismus und Hass dürfen in ihnen keinen Rückhalt haben.

"Die Nationen sollen sich freuen und jubeln", heißt im Psalmgebet. Eine großartige Vision ist das. Sie steht gegen die Klagen der Rechtlosen, gegen das Wimmern der Hungernden, gegen die Schreie der Gequälten. Denn „Gott richtet den Erdkreis gerecht“.

Mit Jesu von Nazareth ist die Vision der Gebete Israels hinausgegangen in die Welt der Völker dieser Erde. Mit ihm ist der Maßstab des Friedens bekannt gemacht in aller Welt. Dieser Maßstab ist Gottes Recht, das den Traum vom Frieden in Realität verwandelt.

Damit entsteht kein Gottesstaat, das ist keine ausgetüftelte Rechtslehre, die Menschen gängelt. Gottes Recht ist kein Wald von Paragraphen, sondern ein Schutzraum gegen die Verletzung von Leben, Ehe, Eigentum und Ehre. Gottes Recht ist die Grundlage menschlicher Würde und Freiheit.

Wir haben in diesen Tagen des Ökumenischen Kirchentages auch Unrecht beim Namen genannt, die Quellen des Leids, ihre Verursacher und ihre selbstsüchtigen Ziele. Wir haben die Stimmen der Opfer gehört. Wir haben Anteil genommen an ihren Schmerzen. Wir haben ihre Sehnsucht wahrgenommen nach einem Recht, das den Schwachen schützt vor der Willkür der Starken. Recht, das sich ausbreitet, gegen Korruption und gegen die Globalisierung des Unrechts.

Im Hören auf die Heilige Schrift haben sich die Quellen des Segens geöffnet. In den Gottesdiensten und Gesprächen, an den Orten der Stille und der Anbetung haben wir es erfahren: Gottes Segen kann die heiligen Worte wieder reinigen, die die Menschheit in ihrer Geschichte abgenutzt und befleckt hat: Liebe – Gerechtigkeit - Barmherzigkeit - Trost. Gottes Segen schenkt diesen Worten neue Kraft.


Teil 3 Kardinal Lehmann

Der Dank der Völker ergibt sich auch daraus, dass Gott eine gerechte Weltordnung aufgerichtet hat und Gerechtigkeit walten lässt. Es darf kein Ansehen der Person geben. Darauf kommt es im Recht an. Gerecht ist er auch dadurch, dass er dem kleinen, schwachen Israel inmitten einer riesigen Völkerwelt Segen und Heil zukommen lässt. Dieses „Völkerrecht“ schafft unter den Nationen Frieden und Ordnung. Es dominieren nicht die Stärkeren. Die Gewalt hat nicht das letzte Wort.

Es gibt viele solcher Worte des Dankes an Gott für ein friedliches Weltregiment (vgl. Jes 42,1-4; 51,4-5; Mi 4,1-5; Sach 8,12f., 20-22). Wenn wir in unsere Welt hineinschauen, können wir rasch erkennen, wie aktuell dieser Dank ist. Es bleibt aber auch nicht zu übersehen, dass unser Psalm nicht schon das volle Geglücktsein dieser Weltordnung feststellt, sondern er erbittet und erhofft, dass sich die Völker der von Gott gefügten Weltordnung unterstellen.

Vielleicht darf man noch einen eigenen Akzent dem Text hinzufügen. Wenn die Erde einen so guten Ertrag gibt, wenn alle wirklich in Frieden leben können und wenn die Fruchtbarkeit als fortwährender Gunsterweis Gottes verstanden wird, dann liegt darin auch eine große Hoffnung für die Zukunft der Welt: die Erde ist in den Augen und nach dem Willen Gottes so reich, dass sie auch die kommenden Generationen ernähren kann. Dies gibt uns in keiner Weise das Recht zu einem egoistischen Abbau der natürlichen Ressourcen, zu einem räuberischen Verhalten auf Kosten kommender Generationen. Es ist vielmehr vorausgesetzt, dass wir nicht die unumschränkten Herren dieser Welt sind und dass wir zum Teilen bereit sind. Dies ist aber nur möglich, wenn wir in der Verwaltung unserer Welt schonend und bewahrend mit unseren Schätzen umgehen. Dies gilt auch für den Umgang mit der Mangelware Arbeit in unserem Land und mit unserem Verhältnis zu den Arbeitslosen.

Wenn dies gelingt, aber nur wenn dies gelingt, sind wir ein wahrer Segen für die künftigen Generationen in unserem Land und auf der ganzen Welt. Wir haben in diesen Tagen als Christen bei vielen Problemen immer wieder gespürt, wie verheißungsvoll und zukunftsweisend solche Perspektiven aus dem Glauben sind. So erhält der Segen, der ursprünglich Israel allein zugesagt worden ist, eine menschheitliche, ja sogar eine politische und ökologische Dimension erst dann vollzieht sich wahrhafte „Ökumene“: eine wahrhaft für alle bewohnbare Welt.

Teil 4 Ratsvorsitzender Manfred Kock

"Es segne uns Gott - alle Welt fürchte und ehre ihn" (Ps. 67,8)

Segen erwartet Antwort. Nicht als ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Gott schenkt Liebe und Gnade ganz einseitig, von sich aus, ohne jede Vorleistung.

Darum ist Ehrfurcht die angemessene Antwort auf Gottes Segen. Diese Antwort atmet Freiheit. Denn die Ehrfurcht vor Gott befreit von dem Hochmut, wir seien die Herren der Welt und dürften die Erde ausbeuten ohne Rücksicht auf kommende Generationen oder wir dürften selber zu Schöpfern menschlichen Lebens werden. Wir sind Gottes Beauftragte. Wir sollen die Erde bebauen und bewahren, sollen uns am Ertrag unserer Arbeit freuen.

Es ist keine oberflächliche, wirkungslose Etikette, wenn Verfassungen in unserem Kulturkreis – auch die künftige Verfassung Europas - in ihren Präambeln einen Gottesbezug enthalten. Das ist keine religiöse Vereinnahmung Andersglaubender. Es ist vielmehr Hinweis darauf, dass wir Menschen in unseren Völkern, Staaten und Gemeinschaften das Zusammenleben nicht nach eigenem Maßstab gestalten, sondern nach Werten, die vorgegeben sind. Sie bieten Orientierung denen, die in diesem Parlament Gesetze verabschieden und denen, die unser Land regieren.

Wir sind Gottes Beauftragte, aber wir sind es als reich Beschenkte! So viele Gaben hat er uns Menschen geschenkt, soviel Phantasie und Kreativität unter uns möglich gemacht! So viele geistige und seelische Kräfte sind unter uns versammelt. Junge mit der Phantasie zum Neuen und Lebendigen, alte mit dem Reichtum ihrer Erfahrungen und mit Treue zum Bewährten. Welche Fülle des Reichtums an Gaben, an Begabungen!

Da gab es im Vorfeld dieses ökumenischen Kirchentages - und auch noch hier in Berlin - die Klage über das, was wir in unseren Kirchen noch nicht gemeinsam können: Das Mahl am Tisch des Herrn gemeinsam zu feiern. Wir empfinden das Leiden daran ja deshalb so stark, weil wir so nahe beieinander sind. Doch das gelungene Miteinander dieser Tage in Berlin hat uns gezeigt: Der Schmerz über das, was noch aussteht, wird weit überboten von der Freude über das, was uns verbindet.

Kehrt nun gestärkt zurück an die Orte, wo sich die Gemeinden sammeln!

Tragt die Erfahrungen von Berlin weiter in die Gemeinden und in die Orte, an denen Ihr lebt !

Haltet Euren Gemeinden die Treue, auch wenn es im Alltag nicht immer so festlich und fröhlich zugeht wie hier in Berlin.

Wo wir Gottes Namen die Ehre geben, wird sein Segen uns tragen und trösten.

Ihr sollt ein Segen sein! 

Amen.