Predigt im Kantatengottesdienst am 2. Sonntag nach Weihnachten in der St. Marien-Kirche zu Berlin

Wolfgang Huber

I.

Der Name ist das Thema dieses Gottesdienstes. Auf den Namen verweist der Predigttext für diesen Gottesdienst. Vom Namen handelt die Kantate Johann Sebastian Bachs, die diesen Gottesdienst prägt und ihm seinen Glanz verleiht. Überraschend fügt sich das zusammen.

Die vierte Kantate aus Johann Sebastian Bachs Weihnachtsoratorium dürfen wir in diesem Gottesdienst hören. Die Predigt steigert die Spannung. Denn nach der Predigt ist es dann endlich so weit. Diese Kantate, ursprünglich für den Neujahrstag komponiert, konzentriert sich auf ein einziges Thema: die Namensgebung Jesu. Der Evangelientext für diese Kantate besteht aus dem einen Satz, mit dem die Weihnachtsgeschichte abschließt und den wir uns am Heiligen Abend immer noch aufheben für diese spätere Gelegenheit. Sie erinnern sich an den letzten Satz, den wir am Heiligen Abend aus der Weihnachtsgeschichte gehört haben? „Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.“ Das ist eine Kurzbeschreibung des ersten Weihnachtsfestes; Dass sie auch auf unser Weihnachten zutrifft, war mein besonderer Wunsch in diesem Jahr. Auf diese Kurzbeschreibung der Weihnachtsfreude aber folgt als nächster Satz: „Und als acht Tage um waren und man das Kind beschneiden musste, gab man ihm den Namen Jesus, wie er genannt war von dem Engel, ehe er im Mutterleib empfangen war.“ Dies – und nur dies – singt der Evangelist in der vierten Kantate des Weihnachtsoratoriums. Um den Namen geht es, um sonst nichts.

Und um den Namen geht es auch in den Sätzen aus dem 1. Johannesbrief, die uns für diesen Sonntag als biblischer Text gegeben sind. „Und das ist das Zeugnis, dass uns Gott das ewige Leben gegeben hat, und dieses Leben ist in seinem Sohn. Wer den Sohn hat, der hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, der hat das Leben nicht. Das habe ich euch geschrieben, damit ihr wisst, dass ihr das ewige Leben habt, die ihr glaubt an den Namen des Sohnes Gottes.“ Auch hier geht es um den Namen, um sonst nichts. Denn wer sich an diesen Namen hält, der hat das ewige Leben.

II.

Der Name Jesu ist das Thema, im einen wie im andern Fall. Das Heil, das in diesem Namen beschlossen ist, bestimmt den ersten Johannesbrief. Der Trost, der von diesem Namen ausgeht, bestimmt den Klang von Johann Sebastian Bachs Kantate.

Indem Jesus, jüdischem Brauch entsprechend, bei der Beschneidung seinen Namen erhält, geschieht freilich mehr als eine übliche Namensgebung. Die Verheißung wird bekräftigt, unter der sein Leben steht. Dass der neugeborene Sohn diesen Namen erhält, ist die Antwort auf die Ankündigung des Engels, der zu Maria gesagt hatte: "Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, und du sollst ihm den Namen Jesus geben. Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben, und er wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben." (Lukas 1,31-33)

Der Name, den Maria ihrem Sohn geben soll, ist in sich selbst bedeutungsvoll: Gott hilft, Gott rettet. Das ist der ursprüngliche Sinn dieses Namens, den wir in anderer Form auch von dem alttestamentlichen Josua kennen. In dem Namen selbst ist die Verheißung enthalten, die sich mit dem Weg Jesu verbindet. Er selbst verkörpert Gottes Ja zu seiner Welt. In ihm, in diesem unscheinbaren Kind, kommen alle Gottesverheißungen zusammen, wie es bei Paulus heißt: "Auf alle Gottesverheißungen ist in ihm das Ja; darum sprechen wir auch durch ihn das Amen, Gott zum Lobe" (2. Korinther 1,20).

Der Name ist mehr als Schall und Rauch. Goethes Faust hat nicht recht, wenn er auf Gretchens Frage, wie er’s mit der Religion halte, mit einem reichlich nebulösen Glaubensbekenntnis antwortet, das in den Satz mündet: „Gefühl ist alles; / Name ist Schall und Rauch, / Umnebelnd Himmelsglut.“ Nein, der Name verbürgt Bestimmtheit, Ansprechbarkeit, er ist ein Zeichen der Identität. Wenn der Name bewahrt wird, dann wird die Identität gerettet: „Freut euch, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind“ (Lukas 10,20). Auf den Namen kommt es an.

Im Fall Jesu gilt das erst recht: Gott hilft, Gott rettet – das bedeutet dieser Name. Er weist auf den, in dem Gott sich selbst zeigt, in dem Gottes Identität erkennbar wird, auf den Sohn Gottes. Deshalb heißt es in unserem Predigttext: „ Das habe ich euch geschrieben, damit ihr wisst, dass ihr das ewige Leben habt, die ihr glaubt an den Namen des Sohnes Gottes.“

Könnte es einen eindrücklicheren Kommentar zur vierten Kantate des Weihnachtsoratoriums geben als diese Aussage? Lässt sich die Bedeutung der Namensgebung Jesu eindringlicher beschreiben als mit dieser überschwänglichen Zusage: Ihr könnt wissen, dass ihr das ewige Leben habt, die ihr glaubt an den Namen des Sohnes Gottes.

Dass wir an den Namen Jesu glauben, dass wir in seinem Namen beten, ist das einfachste Grundgerüst des christlichen Glaubens überhaupt, der Halt, der auch dann bleibt, wenn alles ins Wanken gerät. Dass Jesus mein Herr und Heiland sei, war das erste christliche Bekenntnis. Dass er der Sohn Gottes und unser Retter ist, bekannten die frühen Christen, als sie sich den Fisch zum Symbol nahmen; denn in diesem Symbol – in den Buchstaben des griechischen Wortes für Fisch – ist dieses Bekenntnis enthalten, für jeden Kundigen klar erkennbar. Denn im Namen Jesu begegnet uns die Identität Gottes selbst, des Gottes, der uns in seiner Liebe birgt. Damit wir diese bergende Liebe zu spüren bekommen, hören wir Bachs wunderbare Musik.

III.

Einen einzigen Aspekt dieser Musik will ich hervorheben, weil auch er mit dem Namen zu tun hat, mit dem Thema dieses Gottesdienstes. Denn um diesen Namen geht es noch einmal auf besondere Weise an der Stelle der vierten Kantate, die für mich die heimliche Mitte des ganzen Weihnachtsoratoriums bildet. Es ist die Echo-Arie, die mich immer wieder auf eine ganz besondere Weise anrührt. Sie ist als Dialog zwischen zwei Sopranstimmen gestaltet. Dieser Dialog bekräftigt, so empfinde ich es, Gottes Ja zu uns Menschen im Namen Jesu auf eine unvergleichliche Weise. Neben den menschlichen Stimmen haben daran auch die Instrumente - die Oboen in diesem Fall – ihren Anteil. Es ist die erste Soloarie des Soprans im ganzen Oratorium. Ihm tritt im Echo ein Solosopran zur Seite, der überhaupt nur an dieser einen Stelle im ganzen Weihnachtsoratorium einen Part hat.

Das Thema der Arie liegt in der Frage, wie der Name Jesu das Leben, unser aller Leben verändert. Der christlichen Seele, so sagen manche, wird in dieser Sopranarie eine Stimme gegeben. Andere denken, dass Bach durch eine biblische Frauengestalt dazu angeregt wurde, diese Arie von einer Frauenstimme singen zu lassen. Sie hören in dem Sopran die Stimme der Prophetin Hanna, einer der ersten Zeuginnen für das Wunder, das sich mit Jesus und mit seinem Namen verbindet. Hanna lebte nach kurzer Ehe und langer Witwenschaft am Tempel lebte und diente Gott mit Fasten und Beten Tag und Nacht. So wurde sie zur Zeugin für Jesu Darstellung im Tempel und für seine Namengebung. Sie trat hinzu "und pries Gott und redete von ihm zu allen, die auf die Erlösung Jerusalems warteten."

Man kann die Stimme der Prophetin Hanna in dieser Arie hören. Doch sie wird zur Stimme aller, denen der Name Jesu zum Trost und zur Stärkung wird. Sie wird also auch zur Stimme der menschlichen Seele.

"Flößt, mein Heiland, flößt dein Namen / Auch den allerkleinsten Samen / Jenes strengen Schreckens ein? / Nein, du sagst ja selber Nein." / Und dann das himmlische Echo: "Nein". Ein Nein ist das, in dem in Wahrheit ein Ja besonderer Art zu hören ist: ein Nein zu den Schrecken, die unser Leben umlauern, ein Ja zur Freiheit von diesen Schrecken.

Und weiter: "Sollt ich nun das Sterben scheuen? / Nein, dein süßes Wort ist da! / Oder sollt ich mich erfreuen? Ja, du Heiland sprichst selbst ja." Und dann erneut das himmlische Echo: "Ja".

Das "Echo" wiederholt, so scheint es zunächst, nur bestätigend die Antworten, die sich die Fragende selbst schon gegeben hat. "Nein, du sagst ja selber Nein" - "Ja, du Heiland sprichst selbst ja." Doch jeweils am Ende, auf dem Höhepunkt der musikalischen Gestaltung, verselbständigt sich die Echostimme und spricht allein das bekräftigende NEIN, das vergewissernde JA.

Das "Echo" ist nicht nur der Widerhall der Frage. Es hat eine eigene Stimme, einen eigenen Klang. Es bringt eine Antwort mit sich, die niemand von uns sich einfach selber geben kann. Es ist Gottes Antwort auf unsere Frage; es bringt uns eine tröstende Gewissheit, die wir nicht schon in uns tragen.

Aus der Höhe kommt das Echo in Bachs Musik. Klar ist es zu vernehmen, in der Klarheit eines hellen Soprans. Dieses Echo ist die Stimme des Höchsten, die Stimme des Sohnes Gottes selbst, voller Gnade und Wahrheit. Diese Stimme ist es, in der alle Gottesverheißungen in einem einzigen Ja zusammenlaufen. Und wenn wir es hören, dann können wir, jede und jeder für sich, darauf unser Amen sprechen. Denn der Sohn Gottes ist, wie es bei Paulus heißt, "nicht Ja und Nein, sondern es war Ja in ihm. Denn auf alle Gottesverheißungen ist in ihm das Ja; darum sprechen wir auch durch ihn das Amen, Gott zum Lobe." Amen.