Zwischen Gabe und Tausch – die schwierige Kunst des Schenkens

Petra Bahr

Festvortrag zur Vorstellung der Sonderbriefmarke zum Weihnachtsfest 2006 in der Französischen Friedrichstadtkirche zu Berlin

Haben Sie schon alle Weihnachtsgeschenke? Wenn ihnen jetzt abwechselnd heiß und kalt wird und sie diesen verdächtigen Druck in der Magengegend fühlen, dann sind sie in guter Gesellschaft. Schenken ist nämlich eine ziemlich schwierige Angelegenheit. Nein, keine Sorge, ich will ihnen nicht die Laune verderben an diesem Montag vor dem ersten Advent. Und sie haben ja auch noch drei Wochen bis Heilig Abend. Vielleicht schickt der eine oder andere jetzt ein Stoßgebet in den Himmel und dankt für Ehefrau oder Sekretärin, die die heikle Kunst des Schenkens seit Jahren für Sie übernimmt. Hand aufs Herz, richtig froh macht diese Delegation nicht.

Es ist schon interessant, auf was für Ausflüchte wir uns verlegen, um der schwierigen Übung des Schenkens zu entgehen. Vielleicht kennen sie auch diese Mitmenschen, die mit todernstem Gesicht erläutern, warum sie sich in diesem Jahr mal gar nichts schenken. Das sind wahre Überzeugungstäter, die derart aufgeklärt durch die Gegend gucken, als hätten sie gerade erst kapiert, dass der Weihnachtsmann nicht mit dem Schlitten durch den Kamin gefahren kommt. „Wir haben schon alles“, unterstreichen sie ihren Entschluss und schauen mitleidig auf ihr Gegenüber. Oder sie flüchten in billige Konsumkritik. „Ist doch eh alles nur Kommerz, es geht doch um innere Werte.“ Sprechens und plädieren dafür, Weihnachten lieber ausfallen zu lassen. Hinter großer kulturkritischer Geste verbirgt sich bei genauerem Hinsehen allerdings oft genug nur ängstliche Hoffnung, das irgendwer sich dem selbst gesetzten Imperativ nicht beugen möge.

Es soll Familien geben, in denen nur Geschenke im Wert von je 100 Euro getauscht werden. Damit alles schön gerecht zugehe. Das ist private Verteilungsgerechtigkeit, die noch aus der wunderbarsten Gabe ein Tauschobjekt macht. Geschenke setzen oft genug unter Druck. Was will mir der Geschenkende sagen? Und was fordert er bei nächster Gelegenheit zurück? Wir wissen nur zu genau, dass Schenken eine heikle Angelegenheit ist.

In Geschenkpolitik kennen wir uns aus. In die Welt der Politik und der Wirtschaft übertragen, assoziieren wird das Geschenk zur Affäre. Geschenke gebrauchen wir als Bestechung, als Handel, als Tausch, als Erpressung, oder als symbolische Überzeugungsstrategie. Die Geschenkpolitik beherrschen nicht nur Müllverbrennungsanlagenmanager, Immobilienmakler oder Lobbyisten. Wer glaubt, Geschenkpolitik sei nur eine Angelegenheit für Finanzminister und Transparancy International, der packe sich ruhig an die eigene Nase. Mafiöse Praktiken gibt es auch im feierlich geschmückten Wohnzimmer. Es gibt zwar keine Statistik für innerfamiliäre Korruptionsskandale. Aber wir wissen nur zu gut, dass Geschenke gezielt eingesetzt werden, als handfeste symbolische Kommunikation. Die Schenkkultur ist eine heikle Praxis: Das wertvolle Schmuckstück für die Freundin, die sich nicht zum Ja-Wort durchringen kann. Das gebrauchte Cabrio, damit der Sohnemann doch noch sein Juraexamen macht. Die Klavierstunden für die Tochter, weil die Mutter selbst immer Klavier spielen wollte. Die Bücher für den Lesemuffel. Und Fußballschuhe für den Enkel, der aus unerfindlichen Gründen Gefallen an den Ballettstunden der großen Schwester gefunden hat. Wir Erwachsenen wissen nur zu gut um die Tücken, die das Schenken bereithält. Die Geschenkpolitik ist allgegenwärtig. Schenken und Beschenktwerden, das ist erwartungsintensiv und enttäuschungsanfällig. Das Gedicht zu zweideutig, die Dessous zu aufdringlich, der Sprachkurs zu pädagogisch, die Pralinen zu einfallslos, der Porsche zu erpresserisch.

Und verkaufsoffene Sonntage, das ist eigentlich offensichtlich, helfen aus dem Dilemma nicht heraus. Sie mögen uns Dauerbeschäftigte ein paar weitere Stunden ermöglichen, zum schnell noch die Liste abzuarbeiten, die jedes Jahr in unseren Köpfen entsteht. Dem wahren Wesen des Schenkens helfen sie nicht auf die Sprünge. Im Gegenteil. Wer an jedem Tag der Woche einkaufen kann, verhindert endgültig, dass die verquere Kette aus Tausch und Gegentausch auch nur für einen Tag unterbrochen wird. Das ist kein politisches Kavaliersdelikt zugunsten des verbesserten Konsumklimas, sondern eine handfeste Fehlentscheidung von kulturellem Ausmaß, dessen Folgen uns noch zu schaffen machen werden. Hier wäre Gesetzesfolgenabschätzung genauso angebracht wie bei Gesetzen zur Risikotechnologie, weil wir hier eine kulturelle Tradition mutwillig aufs Spiel setzen. Jetzt wird jeder Tag vom Tausch regiert. Vielleicht halten wir uns so das Moment der Gabe in der Kultur endgültig vom Leibe.

Martin Luther hatte einen guten Blick für unsere Unfähigkeit, Geschenke als das zu nehmen, was sie sind. „Die ganze Welt“, sagt er, „die ganze Welt ist toll und töricht. Sie kann sich der Gaben nicht freuen. Sie ertragen es nicht, dass sie die Nehmenden sind. Sie wollen nichts umsonst haben.“

Das Weihnachtsfest ist die Urszene der Gabe, die keine Gegengabe erfordert, weil keine Gegengabe ausreicht, um das überbordende Geschenk Gottes an den Menschen zu vergelten. Martin Luther formuliert das mit spitzer Feder: „So ist das Herz und der Geber unermesslich groß. Was gibt Gott? Seinen Sohn. Das heißt wahrlich: er gibt nicht einen Groschen, ein Auge, ein Pferd, eine Kuh, ein Königreich, auch nicht den Himmel mit der Sonne und den Sternen, auch nicht die ganze Kreatur, sondern seinen Sohn, der so groß ist wie er selbst.“ Im Weihnachtsfest kommen die Deals, der Handel und das Geschäft aus Gabe und Gegengabe zum Ende. Wir können nur staunend dastehen wie Kinder und annehmen, was uns in die Hand gedrückt wird: das Versprechen, dass wir selbst nicht aufgehen in dem, was wir tauschen, leisten oder kaufen. An Weihnachten wird klar, was der Kern des christlichen Menschenbildes ist. Und wenn wir uns an Weihnachten Geschenke machen, erinnern wir uns daran, dass auch die, die wir lieben, mehr sind als das, was sie leisten, kaufen oder können. Geschenke verkörpern diesen Mehrwert, diesen Überschuss. So werden wir selbst herausgerissen aus dem vertrackten Kreislauf, der alles und jedes zur Ware macht. Würde ist das Gegenteil von Ware! Geschenke sind Symbole der Würde des Beschenkten – auch dann, wenn sie Geld gekostet haben. Deshalb ist Weihnachten entgegen anders lautender Gerüchte kein Fest für Kinder. Kinder haben nämlich noch kein Problem, Geschenke anzunehmen, ohne sofort die Gegengabe zu kalkulieren. Kinder schenken und lassen sich beschenken. Für sie ist ein Geschenk noch das Symbol für eine Beziehung, die voraussetzungslos ist. Wir Erwachsenen brauchen das Weihnachtsfest viel dringender. Um immer wieder neu zu lernen, dass Geschenke Beziehungssymbole sind, die das zum Ausdruck bringen, was alle Werte übersteigt. Schenken erzeugt Beziehungssinn. Es ist versinnlichte Liebesrhetorik. Im gelungenen Geschenk erfährt sich der Beschenkte als erkannt und geschätzt. So ist er vielleicht um ein Buch, eine Uhr oder eine Krawatte, vor allem aber um eine Anerkennung reicher. Martin Luther formuliert für uns Erwachsene, welche Haltung wir Weihnachten wieder lernen sollen, wenn wir Geschenke verteilen und auspacken: „Was ist die Tasche, das Kästchen, darein man den Schatz legt? Es ist allein der Glaube. Der hält seine Hände hin und tut den Sack auf und nimmt, was er kriegen kann und sagt fröhlich Danke.“