Feierabendmahl für Kranke und Gesunde beim 33. Deutschen Evangelischen Kirchentag

Katrin Göring-Eckardt

Liebe Gemeinde,

Wer darf zum Abendmahl? Was ist die Voraussetzung, wie muss man vorbereitet sein? Dürfen wir die katholischen Geschwister einladen? Ja! Dürfen Sie uns einladen? Nein. Warum nicht? Eine Vielzahl von Gründen werden dazu angeführt, im Kern geht es darum, auszudrücken: Wir sind anders als ihr seid! Verpackt in hoch-theologische Fragen und Spekulationen: Wird etwas tatsächlich verwandelt und liegt es daran, ob wir gemeinsam feiern können? Dürfen denn Kinder zum Abendmahl oder andere Unmündige, Unverständige? Fragen über Fragen, um einen kleinen Schluck Frucht des Weinstocks und der menschlichen Arbeit und ein kleines Stück Frucht des Feldes und der menschlichen Arbeit. Woran glaube ich, wenn ich beim Abendmahl stehe? Da sind wir vielleicht ja beim Kern der Sache: Denn der eigentliche Clou ist ja ein ganz anderer, er steht schon im Raum: Nicht wir Kirchenleute laden zum Abendmahl, sondern Christus! Wir sind - wenn es gut geht - Dienerinnen und Diener, Oberkellner, Festbetreuerinnen, - Gastgeber aber ist Christus. Denn das Abendmahl basiert nicht allein auf meinem Glauben, sondern mein Glauben basiert auch auf dem Abendmahl. Oder in heutiger Sprache: Das Abendmahl ist eine Entlastung des Glaubens, eine Art Parkbank des frommen Herzens, ein Ruheraum für das Gewissen, eine stärkende Medizin für den angefochtenen Glauben.

Nicht ich muss irgendetwas machen, leisten, tun, sondern ich kann und darf mich und meinen unsicheren Glauben zum Abendmahl tragen und dort ausruhen und stärken. Es ist eine Entlastung des angestrengten Herzens, ein Freispruch des zweifelnden Glaubens, der im Abendmahl seine Kraftquelle, seinen Regenerationsraum, seine Verjüngungskur hat. Große Worte für eine große Sache in kleinen Gesten. Und womöglich werden sie ganz für sich denken: Entlastung? Parkbank? Ende des Zweifels? Manchmal kann ich gar nicht zum Abendmahl gehen, weil mir einfach nicht danach ist, weil ich mich so uneins fühle, mit meinem Gott, dass ich ihn kaum glauben kann. Manchmal lässt mich der Kummer um meine Leere einfach nicht aufstehen aus der Bank, und meine Beine tragen mich nicht zum gemeinsamen Tisch.

35 Jesus aber sprach zu ihnen: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten. 36 Aber ich habe euch gesagt: Ihr habt mich gesehen und glaubt doch nicht. 37 Alles, was mir mein Vater gibt, das kommt zu mir; und wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen. 38 Denn ich bin vom Himmel gekommen, nicht damit ich meinen Willen tue, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat. 39 Das ist aber der Wille dessen, der mich gesandt hat, dass ich nichts verliere von allem, was er mir gegeben hat, sondern dass ich's auferwecke am Jüngsten Tage. 40 Denn das ist der Wille meines Vaters, dass, wer den Sohn sieht und glaubt an ihn, das ewige Leben habe; und ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tage.

1. Gedanke

„Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern ..."; Der Hunger des Leibes ist in der Welt ein großes Problem - und es wird noch größer. Der Klimawandel trifft die Ärmsten besonders. Und die westlichen Länder decken ihren viel zu hohen Energie-Bedarf zunehmend mit Biokraftstoff. Ich bin das Brot, das mag fast zynisch klingen, wenn man es so ganz äußerlich versteht. Aber: Gegen den Hunger nach Brot könnten wir etwas tun, wenn wir Menschen miteinander teilen würden. Wir können politisch für Gerechtigkeit in der Welt eintreten und dafür, dass alle satt werden! Dass wir es nicht tun und warum, könnte uns hier eine Predigt lang beschäftigen. Ich will sie von Herzen bitten, in all dem nicht nachzulassen oder damit anzufangen, was diesen, wie ich finde, größten Skandal menschlicher Gemeinschaft in der Welt behebt. Und doch wage ich heute hier noch einen anderen Hunger anzusprechen: Es gibt zunehmend auch einen Hunger der Seele; unsere Herzen sind aushungert und hier drängt die Frage: Was hilft uns gegen den Hunger nach Leben?

Christus sagt „Ich bin das Brot des Lebens." Denken Sie einmal an das berühmte Bild vom Abendmahl, das Leonardo da Vinci gemalt hat. Die Jünger sitzen rechts und linke nehmen Christus, der das Brot bricht, der Tisch ist wie ein Präsentierteller, der Betrachter kann jeden einzelnen Jünger ansehen. Und nun stellen Sie sich vor, wir setzen uns heute einfach daneben, wir verlängern quasi die Tischseiten des Altarbildes bis heute, wir ziehen den Tisch gleichsam ins Unendliche aus und stellen uns, allerdings dann Frauen UND Männer, zu den Jüngern. Ob wir auch einen Heiligenschein abbekommen, mag dahingestellt bleiben, aber immerhin: Wir haben Gemeinschaft mit den ersten Jüngern aus der Nacht, bevor Jesus verraten wurde.

Lassen sie uns einen Moment überlegen, wer damals in dieser Nacht mit Jesus am Tisch saß? Aufrichtigerweise kann man nur sagen: Keine Heldentruppe, keine sensationellen Glaubenssieger. Sondern Judas, der ihn verriet, Petrus, der ihn verleugnete, die egoistischen Zebedaidensöhne, die unbedingt die Starplätze im Himmelreich ergattern wollten, die anderen Jünger, die sich oft genug durch Kleinglauben und Ängstlichkeit auszeichneten. Schon das erste Abendmahl war keine Siegerparty für die unangefochtenen Treuen, keine ideologische Verschwörungsaktion für die Frommen, sondern: Schon der Anfang, schon das erste Abendmahl lebte von dem Zutrauen, das Christus in seine Freunde hatte. Schon in der ersten Nacht ruhte die Würde und Tiefe der Feier nicht auf den Jüngern und ihrem Glauben, sondern auf Christus und seiner Glaubwürdigkeit.

Und nun stellen wir uns heute dazu. Wir sind auch keine Heldentruppe, keine sensationellen Glaubenssieger mit unseren ganzen Zerrissenheiten, mit unserer Äußerlichkeit, unserer Liebe zum Erfolg, mit unserer Ichbezogenheit, unserer Rechthaberei, mit unserem Kleingeist und unserer manchmal allzu engen Seele. Wir stellen uns dazu, als Gesunde und Kranke, als Große und Kleine, als Reiche und Arme, als Fromme und Ferne, und ergänzen das Bild von damals eins zu eins. Aber auch unser Mitfeiern hängt nicht an unserer Glaubwürdigkeit, sondern an seiner!

Und der Kreis weitet sich noch mehr: Neben uns, vor uns, hinter uns stehen unsichtbar andere, die vor uns gelebt haben, die nach uns kommen werden. Die nach uns kommen? Ja, sie sind mit am Tisch. Das sei uns und allen gesagt, die mit den Zinsen unserer Lebensweise längst nicht mehr kreditwürdig sind, sondern von der Substanz leben. Aber es sitzen auch die dabei, die aus unserer Mitte heraus gestorben sind, auch die uns völlig unbekannten Toten aller Zeiten und Räume; sie alle feiern mit, sie alle bringen ebenfalls ihre Hoffnung, ihre Angst, ihre Sehnsucht zum Abendmahl und zu diesem Christus und feiern mit - unsichtbar, unendlich, ohne Zeit und Raum. Und alle zusammen werden getragen, werden glaub -würdig vor uns und glaub -würdig vor Gott, allein durch sein Zutrauen, durch seine Zuversicht, durch seinen Glauben, dass wir trotz unserer kleinen Seele, trotz unserer Unvollkommenheit und Kraftlosigkeit seine große Sache weitertragen, seine Zeugen sind, seiner Wahrheit würdig sind.

Und dieses Zutrauen verwandelt uns; an seinem Tisch verändern wir uns. Wir werden zu einer Gemeinschaft, in der die Kranken und die Gesunden sich gegenseitig stützen, in der die Armen und die Reichen miteinander teilen, die Starken und die Schwachen zusammenhalten, die Zweifler und die Glaubensstarken voneinander lernen und in der selbst aus Feinden Freunde werden. Kein Mensch ist zu klein oder zu gering, um am Tisch Gottes mitzufeiern!

2. Gedanke

„Und wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen ... Das ist aber der Wille dessen, der mich gesandt hat, dass ich nichts verliere von allem, was er mir gegeben hat, sondern dass ich's auf erwecke am Jüngsten Tage".

Zum Abendmahl lädt Christus ein, nicht die Kirche, nicht die Pastoren, nicht einmal der Kirchentag. Auch lade ich mich nicht selbst ein, sondern allein Christus ist Gastgeber. Das Abendmahl gehört ihm, niemandem sonst. Deswegen ist es nicht die Aufgabe der Kirche zu kontrollieren, wer zum Abendmahl kommt und ob der Mensch fromm und gläubig genug ist, welche Konfession sie oder er hat oder ob jemand moralisch anständig ist oder auch nur, ob er ordentlich gekleidet ist. Getauft sollte man sein, vielleicht auch konfirmiert, aber dies sind Auflagen gegen die Banalisierung; man sollte das Staunen erahnen, das diese Nähe Christi verdient.

Manchmal ist man zumindest versucht zu sagen: Hey, fröhlich solltest du zumindest sein, wenn du am Tisch des Herrn eingeladen bist, das Abendmahl ist doch keine traurige Angelegenheit. Aber noch nicht einmal das: wir geben nur die Einladung weiter, wir Kirchenleute, wir Kirchentagsgemeinde, sind gleichsam nur in der Rolle der Botinnen und Boten, die die Einladungskarten überbringen. Und dahinter steht etwas, was mich tief berührt:

Denn wenn Christus der Einladende ist, dann ist die Abendmahlsfeier wie ein Festsaal, der immer schon da ist, wie ein Raum, der längst geschmückt ist, wie eine Feier, die lange vor mir angefangen hat und auch nach mir weiter gefeiert wird. Ich bin Gast, ich muss weder den Tisch decken noch Abwaschen, ich muss mich nicht um die Gästeliste und nicht um das Büffet kümmern, ich muss weder gute Taten als Eintrittskarte vorweisen noch besonders viel wissen, muss weder stark und tatkräftig noch superfromm und glaubensfest sein, - ich darf mich einfach dazu stellen, mitfeiern und mitsingen. Es gibt keine Bedingungen, keine Forderungen, keine Erwartungen, denn das Christusfest ist längst im Gange. Es hängt nicht ab von mir und meinem Tun. Der Raum ist schon da, und ich kann mit meinem ganzen Zweifel, meiner Schwachheit, meinen Fragen und Distanzen hinzutreten und meinen kleinen, ängstlichen, suchenden Glauben mitnehmen in diesen Raum des Jubels, in diesen Raum der Christusnähe. Die Feier trägt auch meinen kleinen Glauben, sie erträgt auch meinen Spott, meine Angst, sie schenkt Glanz auch meinem Kummer und Licht auch meinen dunklen Seiten, denn das Gelingen des Festes hängt nicht an mir, sondern an Christus und seiner Wahrheit. Im Abendmahl leihe ich mir für einen Moment seinen unerschütterlichen Glauben aus, der auch noch im schlimmsten, verzweifeltsten Moment „mein Gott" sagen kann. Ich darf für einen Augenblick einparken in seiner Gottestreue, kann für eine kleine heilige Weile seine Glaubwürdigkeit ausprobieren und mich hineinnehmen lassen in seine unzerstörbare Gottesnähe.

Es gibt eine alte Vorstellung, die dieses Verständnis unterstreicht: Danach feiern die Engel im Himmel immer und zu allen Zeiten dieses Christusfest, es gibt einen ewigen Lobgesang im Himmel, eine überzeitliche Christusfeier im Unsichtbaren, und wir Menschen schwingen uns manchmal nur mit ein, wir übernehmen gleichsam den Takt des Himmels, wenn wir Abendmahl feiern, wir übernehmen die Tanzschritte der Engel, die jubilieren. Die Kräfte des Himmels haben längst begonnen, diesen Christus zu feiern, und wir Menschen stimmen ein mit unserer Stimme in den seit Ewigkeiten bestehenden Lobgesang. Und plötzlich - mitten im Abendmahlritus - ahne ich, dass diese Feier viel größer ist als ich selbst, viel weiter reicht als all diese elenden Fragen nach Tun und Lassen, nach Können und Versagen, dass dieses ganze Fragen nach mir selbst und meinem Weg, meinem Ziel, meiner Bedeutung, meiner Rolle usw. komplett unwichtig sind, weil ich gar nicht davon lebe, dass ich all diese Fragen irgendwann beantworten kann, sondern davon leben, dass ich jedenfalls manchmal mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und all meiner Kraft erahne, dass Gott diese Fragen längst beantwortet hat. Beantwortet durch seinen Sohn Jesus Christus, dem Brot des Lebens. Und wie froh ich bin, dass mich meine verzweifelten Beine und mein lahmer Sinn doch von der Bank bis in den Altarraum getragen haben. Gott schenkt sich mir und uns allen bedingungslos. In dem Stückchen Brot und dem Schluck Wein oder Traubensaft ist seine ganze Liebe zu uns enthalten: Zeichen für seine Nähe und Zärtlichkeit.

Ich lebe ein Leben, das seinen Sinn nicht in mir, sondern durch ihn hat, das eingebettet ist in einen viel größeren Zusammenhang, in dem ich wirklich und voller Zustimmung ein Tropfen im Ozean des Lebens bin, eine Welle im Meer des Daseins, ein glänzender Einfall der Güte Gottes, der mich in diesen Kreis, zu diesen Menschen, an diesen Lebensort gestellt hat und mir damit mehr schenkt als ich jemals verstehen werde.

Und dann kann ich singen und sagen: Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herren, Amen.