Grußwort zur Eröffnung des Kirchen-Kultur-Kongresses

Schirmherrin Katrin Göring-Eckardt

Anrede,

ich will gerne mit dem heutigen Lehrtext aus der Herrnhuter Losung beginnen, der im 2. Korintherbrief, Kapitel 10, Vers 16 steht: „Wir wollen das Evangelium auch denen predigen, die jenseits von euch wohnen, und rühmen uns nicht mit dem, was andere nach ihrem Maß vollbracht haben.“

Das Anliegen von Paulus ist auch das Anliegen von Kunst und Kultur in unserer Kirche: Die gute Nachricht von Gottes Liebe und Gerechtigkeit allen Menschen weiterzusagen durch und mit der Kultur – auch und gerade in dieser Stadt, in einer Stadt, in der mittlerweile die meisten Menschen jenseits von Christentum und Kirche „wohnen“.

„Kultur ist der Spielraum der Freiheit“ – das Bonhoeffer-Zitat steht als Überschrift auf den Flyern zu diesem Kongress. Dietrich Bonhoeffer hat es bereits vor Jahrzehnten, in Zeiten größter Unfreiheiten, auf den Punkt gebracht: Wir brauchen diese kulturellen Freiheiten in unserer Gesellschaft und auch in unserer Kirche, Freiheiten, die nicht gleich nach dem (ökonomischen) Nutzen und der Verwertbarkeit von etwas fragen. Freiheiten für kulturelle Entfaltung, die nicht im Dienste einer Ideologie stehen oder dem freien Markt der Kräfte überlassen werden. Unsere Kirche hat eine lange Tradition, solche Freiräume zur Verfügung zu stellen.

Zur Kultur als Spielraum der Freiheit gehört es, dass sie ein Gemeinschaftsgut für alle Menschen ist und bleiben muss. Wir müssen gerade als (Volks-) Kirche dafür sorgen, dass Kultur nicht nur für wenige und bestimmte Menschen da ist, sondern für alle: für Eliten und Eremiten, für hoch- und kaum Betagte für solche mit Wänden voller Bücher und für solche, deren Fenster zur Welt ein Bildschirm ist, für die aus der großen Stadt und die Landpommeranzen– warum sollte ein zweiter bundesweiter Kirchen-Kultur-Kongress nicht demnächst irgendwo in der zumindest von mir geliebten  Provinz stattfinden? Dort ist womöglich noch mehr Raum, den man füllen kann.

Kunst und Kultur sind kein Luxus, und sie sind auch weitaus mehr als nur der „Kitt“, der unsere Gesellschaft zusammenhält. Kultur ist, und da ist sie der Religion so ähnlich, etwas, dass uns erlaubt, über uns selber hinauszuwachsen, etwas zu berühren oder berührt zu werden, über das Fassbare und Alltägliche hinaus. Kunst ist etwas, durch das wir uns als Menschen selber viel tiefer fühlen und spüren können. Jeder für sich, aber auch und gerade gemeinsam mit anderen, im gemeinsamen Erleben. Wir sollten jeden und jede, ganz im Sinn von Joseph Beuys wissen lassen, dass sie oder er selber Künstler sei. Und deshalb ist es so wichtig, dass wir allen diese Tür aufzustoßen den Zugang zur Kultur ermöglichen.

Den Erwachsenen, die die hellen und tiefen Seiten ihrer Seele erwachen spürt, wenn sie sich von Musik berühren lassen, in ein Gemälde vertiefen, oder über Literatur immer wieder einen anderen Blickwinkel auf die Welt und vielleicht sich selbst erlangen können.

Den Kindern, die in eine ihnen oft unbekannte Welt von Phantasie und Kreativität eintauchen können und dadurch lernen, dass es mehr auf der Welt gibt, als der erste, oberflächliche Blick zu offenbaren scheint. Die dadurch lernen was es heißt, nicht nur zu produzieren, sondern zu gestalten, nicht nur zu konsumieren, sondern sich zu vertiefen. Die dadurch lernen, dass etwas in ihnen schlummert, durch das die eigene Welt noch viel größer wird. Und die vielleicht auch ungeahnte Fähigkeiten und Talente in sich entdecken. Sie werden lernen, was es heißt, frei zu sein, denn Kunst ist nicht nur frei, sie befreit vor allem. Kinder werden uns zeigen, dass sich Kunst und Kultur auch verändern, sich im steten Wandel befinden und dadurch die Welt verändern. Ja, es darf auch Popmusik sein, und natürlich malt man heute nicht mehr nur in Öl.

Manchmal dauert es auch ein bisschen, bis das Junge, das Neue und Andere überhaupt als Kunst Anerkennung findet. Denken Sie nur an die Beatles, die am Anfang ihrer Karriere – einigen auch darüber hinaus – als kulturlose Krachmacher und Jugendverderber galten. Und dann haben sie die Welt verändert und unsere Kultur maßgeblich mit geprägt – was für ein Glück! Wer weiß, vielleicht sind die nächsten Beatles gerade schon dabei, eine Facebookgruppe zur Verbreitung ihrer Kunst zu gründen, die noch gar nicht als solche erkennbar ist. Seien wir also immer, auch auf diesem Kongress, offen für das Neue, das Junge, das Andere! Denn Kunst und Kultur leben von ständiger Entwicklung, auf den Nebengleisen, in Sackgassen und auf der Milchstrasse auch.

Dazu braucht es Freiräume – und Freizeiten! – , aber auch konkrete Förderungen und Programme. Als Beispiel sei hier nur die Kampagne „Jedem Kind ein Instrument“ in Nordrhein-Westphalen genannt. Manchmal hat es Kultur nämlich schwer in Zeiten, in denen es immer wieder nur um Wirtschaftswachstum, Produktionsquoten oder Schuldenkrisen geht. Auch dem gilt es hier entgegen zu wirken, und dieser Kongress soll uns allen einen Raum bieten, einmal wieder richtig in die verschiedensten Formen von Kultur einzutauchen, uns inspirieren zu lassen, unsere Herzen zu öffnen und unsere Seelen zum Schwingen zu bringen. Die Voraussetzungen sind jedenfalls gegeben:

Anrede,

Wenn ich mir das  Programm anschaue, das die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kulturbüros der EKD auf die Beine gestellt haben, muss man gratulieren: Neben dem Highlight der Uraufführung des „Paulus. Das ängstliche Harren der Kreatur“ gibt es morgen jede Menge hochkarätige Veranstaltungen zu Literatur, Theater, Kino, Politik und vielem mehr in den acht Themenkirchen hier in Berlin. Man kann fast schon ein bisschen traurig werden, dass man auswählen muss und wahrscheinlich nicht alles besuchen kann.

Mein großer Wunsch ist, dass dieser Kirchen-Kultur-Kongress hier in Berlin zu einem Spielraum wird, der Freiräume schafft und Erfahrungsräume des unverfügbaren Gottes eröffnet. Ein Kongress, der die Türen zu spirituellen Räumen und kulturprotestantischen Sälen für ganz viele unterschiedliche Menschen aufstößt und dazu ermuntert, weiter im Gespräch zu bleiben.

Danke allen, die diesen Kongress mit vorbereitet haben! Danke Ihnen allen, die sie da sind, nicht zum Konsumieren, sondern zum Vertiefen. Ich wünsche Ihnen, Euch und uns allen erlebnisreiche und spannende Tage, an denen uns Gottes Segen begleiten möge. Vielen Dank!