Grußwort anlässlich „60 Jahre Wort zum Sonntag“, Rolf-Liebermann-Studio, NDR, Hamburg

Nikolaus Schneider

Es gilt das gesprochene Wort.

Sender und Kirchen haben gemeinsam aus einer Not eine Tugend gemacht. Das ist mein Resümee nach mehr als 3000 Sendungen in 60 Jahren „Wort zum Sonntag“!

Am Anfang war eine Not. Dem jungen Medium Fernsehen war es nicht möglich, Gottesdienste in einer ansprechenden und einladenden Form zu übertragen. Denn es stellte sich heraus, dass wegen des großen technischen Aufwandes weder die Gemeinde in der Kirche noch die Zuschauer vor den zumeist nur postkartengroßen Bildschirmen den Gottesdienst angemessen mitfeiern konnten. So blickte man - wie so oft in den Anfängen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks - nach Großbritannien. Bei der BBC schloss damals jeder Fernsehabend mit einer Andacht. Ganz so fromm wollte man es hierzulande nicht haben. Man entschied aber immerhin, das Wochenprogramm im Ersten Deutschen Fernsehen mit einer Andacht zu krönen. So wurde 1954 das „Wort zum Sonntag“ geboren.

Anfangs durften ausgewählte Pfarrer - Frauen kamen erst ab 1969 hinzu - reden und reden und reden. Diese „Predigt zum Sonntag“ dauerte oft fünfzehn bis zwanzig Minuten. Bald wurde das Format auf zehn Minuten begrenzt, schließlich auf fünf. Doch gerade die Kürze der Zeit trug mit dazu bei, dass aus einer Not eine Tugend wurde, die Menschen bis heute an den Bildschirmen zu einem „sehenden Hören“ einlädt.

In den vergangenen sechzig Jahren hat das „Wort zum Sonntag“ Zustimmung und Kritik, Bewunderung aber auch Spott ausgelöst und geduldig ertragen. Es sieht ja so einfach aus. Da stellt sich ein Mann oder eine Frau hin und spricht. Unspektakulärer geht es kaum. Und doch liegt in dieser Schlichtheit gerade die Schwierigkeit. Denn dreieinhalb bis fünf Minuten - oft frei - in die Kamera zu sprechen, das mutet das Fernsehen sonst keinem Schauspieler und keiner Moderatorin zu - das gibt es sonst nur im Theater. Deshalb gelten mein Dank und meine Anerkennung heute zuerst den Sprecherinnen und Sprechern des „Wortes zum Sonntag“! Über 300 sind es bislang insgesamt. Dann aber auch ein Dank den Redakteurinnen und Redakteuren, den Beauftragten, den Regisseuren, Trainerinnen, Technikern und nicht zuletzt den Senderverantwortlichen: Dank Ihnen allen wurde das „Wort zum Sonntag“ in sechzig Jahren zu einer Institution, die sich nicht überlebt hat.

Die Organisation und das Format der Sendung wurden in den vergangenen sechs Jahrzehnten behutsam weiterentwickelt. Seit 1999 ist das Wort zum Sonntag-Team ökumenisch. Es trifft sich zweimal jährlich zu gemeinsamen Fortbildungen mit intensivem Training und offener Sendungskritik. Das ist gelebte Ökumene von katholischer, evangelisch-landes- und evangelisch-freikirchlicher Seite. Evangelischerseits haben wir seit zwei Jahren einen Beauftragten für alle evangelischen „Worte“ und wir machen damit gute Erfahrungen. Eine Veränderung wollen wir ab dieser Woche wagen: Nach sechzig Jahren geben wir den neutralen Hintergrund auf. Bislang haben wir die Aufmerksamkeit bewusst nur auf die gesprochene Botschaft gelenkt. Wenn wir ab dieser Woche zu wechselnden und emotional wirkenden Bildern im Hintergrund übergehen, sollen sowohl die Worte der Sprecherin bzw. des Sprechers wie die Hintergrundbilder gemeinsam eine Botschaft verkündigen. Die Kunst wird sein, dass deren Botschaften einander nicht stören, sondern verstärken.

Seit nunmehr 60 Jahren gibt es das Wort zum Sonntag. Seit sechs Jahrzehnten werden wir durch dieses beständige Format am Samstagabend daran erinnert, dass der Mensch mehr ist als die Summe seiner Fähigkeiten und Fertigkeiten, seiner Taten und der Werke seiner Hände. Menschen sind Geschöpfe und Ebenbilder Gottes, und unser Leben ist ein Geschenk – das ist die Grundbotschaft, der cantus firmus seit 60 Jahren.

Das „Wort zum Sonntag“ war und ist für viele Menschen ein niedrig-schwelliger Berührungspunkt mit dem Evangelium. Gebe Gott, dass die Botschaft dieser Sendung auch weiterhin den Verstand und die Herzen vieler Zuschauenden und Zuhörenden erreicht! Ich bin gespannt auf viele neue „Worte zum Sonntag“ und gratuliere der zweitältesten Sendung des deutschen Fernsehens von Herzen!