Rheinland: Maulkorb und Arbeitsverbot für «scharfe Gegner»

Wie die rheinische Kirche in der NS-Zeit kritische Pfarrer disziplinierte

Von Esther Soth

Mülheim/Ruhr (epd). Als der Pfarrer der evangelischen Gemeinde Gödenroth im Hunsrück, Friedrich Langensiepen, am 20. April 1939 das behördlich angeordnete Glockenläuten zum 50. Geburtstag Adolf Hitlers verweigerte, störte das nicht nur örtliche Staats- und Parteistellen. Auch seine eigene Kirche leitete ein Disziplinarverfahren gegen ihn ein und versetzte den unliebsamen Pfarrer in den Wartestand.

Langensiepen war kein Einzelfall, das zeigt das jetzt von der Historikerin Simone Rauthe vorgelegte Buch «Scharfe Gegner». Im Auftrag der Evangelischen Kirche im Rheinland untersuchte sie, wie die damalige Kirchenbehörde, das Evangelische Konsistorium der Rheinprovinz, zwischen 1933 und 1945 unbequeme Theologen disziplinierte.

Insgesamt 193 Biographien betroffener Männer und Frauen hat Rauthe zusammengetragen, die mit Rede- und Arbeitsverboten belegt wurden, kein Gehalt bekamen, ihre Pfarrstellen verloren. Ihre «Vergehen»: Sie lehnten eine staatliche Einmischung in die freie Verkündigung des Evangeliums ab, weigerten sich, die Reichskirchenregierung und das mit NSDAP-Parteimitgliedern besetzte Konsistorium anzuerkennen, legten keinen Eid auf Adolf Hitler ab oder verstießen wie Langensiepen gegen das «Flaggengesetz».

Rauthe nahm nicht nur die Opfer, sondern auch die Täter unter die Lupe. Besonders auf eine gute Zusammenarbeit mit Staat und Partei bedacht war nach ihren Forschungen der seit 1937 eingesetzte Konsistorialpräsident Walter Koch, Jurist und selbst Parteimitglied. Er betrachtete vor allem die Mitglieder der Bekennenden Kirche als Staatsfeinde und «scharfe Gegner».

Dabei nahm Koch nicht nur die Dienste der Gestapo bei der Einschätzung der politischen Zuverlässigkeit von Examenskandidaten in Anspruch. Umgekehrt habe er auch Staats- und Parteistellen bei der Verfolgung politischer Gegner unterstützt, schreibt Rauthe. Verfolgte und festgenommene Pfarrer hatten vom Konsistorium keine Hilfe zu erwarten. Im Gegenteil: Eine Verordnung von 1939 ermöglichte Koch sogar, eine staatsfeindliche Haltung als Amtsverfehlung zu betrachten und selbst gegen missliebige Pfarrer disziplinarisch vorzugehen.

So wollte Koch mit Hilfe des neuen Gesetzes auch den Dickenschieder Pfarrer Paul Schneider loswerden. Der später als «Prediger von Buchenwald» bekannt gewordene Theologe aus dem Hunsrück war wegen Auseinandersetzungen mit NSDAP-Mitgliedern 1937 verhaftet und in das KZ Buchenwald gebracht worden. Den Bescheid über seine Versetzung in den Wartestand zum 15. Juli 1939 durch das Konsistorium erhielt Paul Schneider nicht mehr: Er starb am 18. Juli.

Den Elberfelder Pfarrer Hermann Albert Hesse, führender Theologe der Bekennenden Kirche, erreichte eine Verfügung des Konsistoriums, als er nach einer kritischen Predigt im Gefängnis saß. Darin wurde ihm die Versetzung in den Ruhestand zum 1. Oktober 1943 «mit dem Ausdruck bester Wünsche für einen gesegneten Lebensabend» mitgeteilt. Hesse und sein Sohn kamen ins KZ Dachau, wo der Sohn kurz darauf starb.

Nach der Erforschung von Zwangsarbeit in Kirche und Diakonie hat die rheinische Kirche mit dem Buch von Simone Rauthe ein weiteres dunkles Kapitel ihrer Vergangenheit beleuchtet. Präses Nikolaus Schneider sprach nicht nur von der Erinnerung an die Opfer, sondern auch von der «Schuld der Kirche als Institution». Das Buch stehe in der Tradition der rheinischen Kirche, «an die Leidenswege von Menschen zu erinnern, die durch unser Handeln oder Nichthandeln Schaden genommen haben». Er hoffe, dass nun auch andere Landeskirchen ihre NS-Geschichte aufarbeiten.