Predigt beim Bundeslager des Verbands Christlicher Pfadfinderinnen und Pfadfinder (VCP) in Großzerlang

Wolfgang Huber

Der Mut, aufrecht zu gehen, führt zum Frieden
Matthäus 5, 9 – Jesaja 40, 29-31

Liebe Pfadfinderinnen und Pfadfinder, in meiner Jugend war ich ein begeisterter Christlicher Pfadfinder. In meinem Herzen bin ich das immer geblieben. Und es war ein bewegender Augenblick für mich, dass ich schließlich, nach vielen Jahren, auch unter die Kreuzpfadfinder aufgenommen wurde. Deshalb freue ich mich von Herzen darüber, heute mit meiner Frau an diesem Bundeslager teilnehmen und mit euch Gottesdienst feiern zu können. Für mich ist das ein großer und wichtiger Höhepunkt in diesem Sommer. Und mit allen VCPern will ich auch alle Gäste bei diesem Bundeslager herzlich begrüßen. Das soll auf Englisch geschehen.

I greet all of you, Scouts from different countries and with different languages. However I hope that you all will understand me. It would be interesting for me to see how many of you come from outside of Germany. Please show up, wave your hands and let us see all the friends from outside. And I say to all of you: Peace be with you, the peace of our Lord and Saviour Jesus Christ. Amen.

I.

Ein großes, wichtiges und schweres Thema haben wir in diesem Gottesdienst vor uns. Der Mut, aufrecht zu gehen, führt zum Frieden. Ich nähere mich an dieses Thema an, indem ich von meinem Star und von meinen Helden dieser Woche berichte.

Zunächst mein Star. Sie heißt Britta Steffen, ist 1 Meter 80 groß, hat entsprechend lange Beine, blonde Haare und blaue Augen. Sie stammt aus Schwedt in der Uckermark, das liegt ebenso in Brandenburg wie Großzerlang. Britta Steffen ist Schwimmerin und hat in der letzten Woche im Abstand von drei Tagen drei Weltrekorde geschwommen; Europameisterin ist sie dabei auch noch geworden, zunächst in der Freistilstaffel der Damen über 4 mal 100 Meter, dann im Einzelwettbewerb über 100 Meter und dann noch einmal in der Staffel über 4 mal 200 Meter. Ihr Weltrekord für 100 Meter liegt jetzt bei sagenhaften 53, 60 Sekunden; es würde sich lohnen auszuprobieren, wer von Euch die Hälfte, also 50 Meter in dieser Zeit schafft.

Aber nicht dieser sensationellen Zeit wegen ist Britta Steffen mein Star für diese Woche. Sondern auf dem Weg zu diesen tollen Leistungen ist sie durch eine schwere Krise gegangen. Ein Jahr hat sie pausiert. Dann hatte sie wieder den Mut dazu zu schwimmen. Sie sagt von sich: „Ich kann jetzt schnell schwimmen, weil ich am Mensch sein gearbeitet habe. Ich habe das Leben gelernt.“ Vorher hatte sie gedacht, wenn sie schlecht schwimmt, sei sie ein schlechter Mensch; und um einen Weltrekord zu schwimmen, müsse man ein Übermensch sein. Jetzt aber fühlt sie sich nach dem Weltrekord genauso als Mensch wie vorher. Sie sagt einfach: „Ich fühle mich frei, das ist der Zauberschlüssel.“

Deshalb ist Britta Steffen mein Star in dieser Woche: Sie hat gelernt, ein Mensch zu sein. Sie weiß, was es bedeutet, frei zu sein. Es bedeutet nämlich: aufrecht zu gehen. Christen lernen das dadurch, dass sie zu Jesus Christus aufschauen und sich deshalb vor niemand anders beugen. Christ zu sein, heißt, sich demütig vor Gott zu beugen und vor sonst niemandem. Wer aufrecht geht, kann seine Begabungen einbringen. Wer aufrecht geht, kann etwas für den Frieden tun.

II.

Das aber ist heute so nötig wie eh und je. Ja, es ist heute auf besondere Weise nötig. Und damit komme ich zu meinen Helden dieser Woche. Es sind die Kinder im Libanon. Sie erleben etwas, was jeden Erwachsenen überfordert und jedes Kind erst recht. Sie erleben Krieg, auch wenn es noch immer nicht so genannt wird. In ihrem Land ist eine Untergrundarmee stationiert, der noch niemand das Handwerk legen konnte, die so genannte Hisbollah, das heißt zu deutsch „Partei Gottes“ – als ob irgendeine Partei oder gar eine Armee Gott für sich in Anspruch nehmen könnte. Diese Armee schießt Raketen auf Israel ab und hat israelische Soldaten gefangen genommen. Das kann kein Staat hinnehmen. Aber Israel reagiert darauf durch massive militärische Angriffe auf den südlichen Libanon. Diese Angriffe treffen nicht nur militärische Ziele, sondern auch Zivilisten. In Kana – einem Ort, dessen Name uns an das Wunder erinnert, wie Jesus bei einer Hochzeitsgesellschaft Wasser in Wein verwandelte – in Kana waren es vor allem Kinder, die von einem zusammenstürzenden Haus begraben und getötet wurde.

Andere Kinder fliehen vor Angst, oft ohne ihre Eltern. Dann irren sie auf den Straßen der Hauptstadt Beirut oder anderer Orte umher. Sie haben den Mut zu gehen, denn sie suchen den Frieden. Sie wollen nicht von Raketen getroffen oder unter zusammenstürzenden Häusern lebendig begraben werden. Diese Kinder sind für mich die Helden dieser Woche, Zeugen des Friedens, den der Nahe Osten so dringend braucht wie die ganze Welt. Für diese Kinder bete ich, wenn ich um den Frieden im Nahen Osten bete. An sie denke ich ebenso wie an diejenigen, die ihnen helfen wollen, damit sie bald wieder im Frieden leben können.

In Beirut gibt es eine evangelische Gemeinde. Der Pfarrer und andere Gemeindeglieder halten dort aus, um Hilfe zu leisten, wo sie nur können. Die Frau des Pfarrers, Friederike Weltzien, mit der ich in dieser Woche telefonierte, erzählte mir, wie vier dieser Kinder im Pfarrhaus Zuflucht fanden. Geschlafen haben sie die ganze Nacht nicht, sondern erzählt. Ja, geweint haben sie auch, geweint um den Frieden. Das war ein anderer Grund als üblicherweise bei einem Pfadfinderlager, wenn es abends nicht ruhig wird in den Zelten. Da wird üblicherweise gelacht; eine lustige Geschichte jagt die nächste. Aber in der durchwachten Nacht im Beiruter Pfarrhaus waren es ernste Gespräche. Es ging um den Frieden. Der Mut, aufrecht zu gehen, führt zum Frieden.

III.

Wie bitter nötig der Ruf zum Frieden ist, zeigt auch die Erinnerung. Vor genau 61 Jahren wurde in Hiroshima die erste Atombombe gezündet. Ein Opfer von damals berichtet: „Als ich zu mir kam, war ich schlimm verbrannt. Und auch meine Frau war furchtbar zugerichtet. Wir stiegen durch den Schutt. Dann stolperte meine Frau über etwas. Über einen Mann. Wir erkannten ihn nicht. Und konnten nicht sehen, ob er noch lebte oder schon tot war. Er aber erkannte uns. ‚Lasst mich, Kinder’, flüsterte er, ‚flieht!’. Die Stimme war fremdartig, aber ich wusste, dass es die Stimme meines Vaters war. ‚Fort!’, rief er, ‚fort! Sonst bleibt auch ihr liegen!’. Ich wollte ihm helfen und Wasser geben, aber dann sagte ich zu meiner Frau: ‚Gehorchen wir!’, und zog sie hinter mir her, und so verließen wir ihn und ließen ihn liegen. Auf dem Wege haben wir noch viele andere liegen gesehen und liegen lassen. Bei jedem habe ich gedacht: Es ist mein Vater.“ Wer diese Erinnerung an den Tag von Hiroshima vor 61 Jahren hört, in dem steigt Scham auf. Scham darüber, dass Menschen andere in eine Lage bringen, wo sie nicht einmal helfen können. Da ist kein Raum mehr für die einfachste gute Tat: einem anderen einen Schluck Wasser geben, ihm das Wasser einflößen, wenn er sich selbst nicht mehr bewegen kann, damit er wenigstens nicht verdurstet. Der Frieden, ja die Menschlichkeit ist am Ende, wenn es keinen Raum mehr gibt für die gute Tat, die menschliche Zuwendung, das Menschsein.

IV.

Die Antwort auf Gewalt und Krieg kann nicht heißen, die Potentiale der Gewalt zu steigern. Deswegen sage ich zu der Gewalt im Nahen Osten auch klar und unzweideutig: Sie muss an ein Ende kommen, so schnell wie möglich. Alle Länder, auch unseres, sind mitverantwortlich dafür, dem Sterben im Libanon und in Israel ein Ende zu machen. Die Vereinten Nationen haben dort eine wichtige Aufgabe: die Kämpfenden voneinander zu trennen, damit ein gemeinsamer Friede möglich wird.

Gewalt führt nicht weiter. Der aufrechte Gang, das aufrechte Worte, die ehrliche Gesinnung sind Schritte auf dem Weg des Friedens. Die Seligpreisungen Jesu werden auf diese Weise zur praktischen Anleitung. Die prophetische Botschaft zeigt den Weg.

Auch an dieser Stelle füge ich noch einmal einige Sätze an, die sich besonders an die richten, die mich auf Englisch besser verstehen als auf Deutsch. That we make such a camp an international gathering is so important because it makes clear what peace is about. Peace is the community of those who are different, different in origin, language, nationality. But together we are human beings. Together we are witnesses of God’s peace. For me the situation in the Middle East in these days and the conflict between Israel and Lebanon are a clear example. The suffering of the civilians on both sides is inbearable. And most of all I have in mind the children. Some of them lost already their parents. In the name of the children I say: Stop the war. I hope that other states and most of all the international community intervene in a way which brings the use of arms to an end und opens a way to real peace.

V.

Hören wir noch einmal auf Gottes Verheißung aus der Bergpredigt und aus dem Jesjabuch: „Freuen dürfen sich alle, die Frieden stiften – Gott wird sie als seine Söhne und Töchter annehmen. – Gott gibt dem Müden Kraft und Stärke genug. Männer und Frauen werden müde und matt, sie fallen. Die aber Gott kennen, kriegen neue Kraft. Sie fahren auf, mit Flügeln wie Adler. Sie laufen und werden nicht matt. Sie wandern und werden nicht müde.“

Ehrlich gesagt: Diese Worte sind nicht an Weltmeister gerichtet. Da sind nicht die mit den besonders langen Beinen gemeint. Diese Worte richten sich an Menschen, die müde sind vom vergeblichen Kampf, die den Frieden oft versucht haben und immer wieder gescheitert sind, die sich mit anderen vertragen wollten und denen das oft misslang. Sie bekommen zur Antwort: Verlass dich auf Gott, den Schöpfer und Erhalter des Lebens! Immer wieder ist er bereit, dem Müden Mut zu geben und dem Erschöpften Kraft einzuhauchen. Das Scheitern ist kein letztes Argument. Der misslungene Versuch braucht nicht mutlos zu machen.

Ihr kennt das alle: Man hat es mit einem andern versucht, aber es hat nicht geklappt. Der ist halt zu blöd, denkt man und fragt lieber nicht, ob es vielleicht an einem selber liegt. Aber schließlich versucht man es doch einmal; denn einander nur tagelang aus dem Weg zu gehen, wäre ja noch blöder. Da klappt es plötzlich; man wechselt ein gutes Wort, man singt miteinander ein Lied, man geht miteinander einen Weg. Frieden ist möglich. Das ist die Kraft Gottes, die in uns allen ist und uns alle beflügelt. Wie einen jungen Adler, der sich plötzlich zum Flug erhebt – gerade als gar niemand damit gerechnet hat.

Nehmen wir eigentlich mit unseren Hoffnungen, mit unseren Gebeten diesen Gott wirklich beim Wort? Wenn wir uns auf ihn verlassen, wächst die Kraft zum Frieden. Das Vertrauen auf diesen Gott macht Beine, ja sogar lange Beine. Gott gibt uns den Mut, mit aufrechtem Blick für den Frieden einzustehen. Gott selbst ist die Kraftquelle, die entlang unseres Weges sprudelt. Gott richtet uns auf. Er ist der einzige, vor dem wir uns beugen. Aber wir beugen uns dann für unseren Nächsten, für den Menschen, der unsere Hilfe braucht, für den, der hingefallen ist und allein nicht weiter weiß.

Dann spüren wir: Es ist die Straße des Glaubens, auf der wir unterwegs sind. Auf ihr geht es darum, dass wir den Blick klar auf Gott und seinen Frieden richten und deshalb im Kleinen wie im Großen das für den Frieden tun, was wir können. Bei diesem Frieden kommen auch die mit, die langsamer sind. Ihn sehen auch die mit den schlechteren Augen. Ihn verstehen auch die, die langsamer begreifen. Denn dieser Frieden schließt keinen aus. Er gilt für alle. Er gilt auch für uns. „Freuen dürfen sich alle, die Frieden stiften – Gott wird sie als seine Söhne und Töchter annehmen.“

Amen.