Predigt im Gottesdienst zur Eröffnung des Treffens der dritten Europäischen Ökumenischen Versammlung in Wittenberg

Axel Noack

Predigtwort: Psalm 36,10:

„Denn bei dir ist die Quelle des Lebens, und in deinem Lichte sehen wir das Licht.“

Wir haben miteinander den Psalm gebetet und haben den Gesang „Christus, dein Licht“ noch im Ohr. Lassen Sie uns auf das Psalmwort miteinander und mit ganzem Ernst hören.

1. Zunächst gilt die Feststellung: Wer diesen Psalm verstehen will, muss selbst die Position der Dankbarkeit einnehmen. Die Köstlichkeit der Güte Gottes gilt es zu preisen wie auch die Freude darüber, unter seinen Flügeln wohnen und leben zu können und von den reichen Gütern seines Haus satt gemacht zu werden und „getränkt“ zu werden wie von einem überfließenden „Strom“.

Das müssen wir übersetzen in unsere Situation heute hier in Wittenberg. Ja es ist Ausdruck seiner Güte, dass wir Ökumenische Versammlung halten können, unbeschwert und frei und ohne die Behinderungen, die die Älteren unter uns noch so gut kennen. Wir sind vor Gott zu großer Ehre gekommen, gnädiger und unverdienter Weise. Darin haben wir es leichter als unsere Väter und Mütter.

2. Diese Dankbarkeit hilft dazu, uns zu konzentrieren und bei Gott nach Licht, nach Erleuchtung und Orientierung zu suchen. Denn das muss ja deutlich bleiben: Mit den Möglichkeiten und Freiheiten ist auch die Zahl der möglichen Irrwege gewachsen. In dieser bunt flackernden und glitzernden Welt gibt es so viele Lichter, die uns von der Konzentration auf Gott als die Quelle des Lebens ablenken und möglicherweise auch verführen wollen. Wenn wir ehrlich sind, werden wir zugeben müssen: Darin haben wir es heute schwerer als unsere Väter und Mütter.

3. Wenn wir uns unter das Licht Gottes stellen, dann hat das ganz viel mit Klarheit und Wahrheit zu tun. Es zeigt uns auch, wie es um uns steht. Es beleuchtet unsere Eitelkeiten und unseren Egoismus und unsere Kleingläubigkeit. Gar nicht selten wollen Menschen das lieber nicht allzu genau sehen und wissen. Darin unterscheiden wir uns vermutlich kaum von unseren Vätern und Müttern.

4. Es kommt darauf an, diese Situation, die neu geschenkten Möglichkeiten und die gewachsenen Freiräume dankbar aus Gottes Hand anzunehmen und verantwortlich zu gebrauchen. Gott will leuchten und erleuchten, aber auch zurechtbringen und leiten.

5. So gilt es auch hier und heute darum, uns von Gottes guten Geist befreien und in den Dienst nehmen zu lassen, wie immer und an allen Orten, wo Gott gelobt und gepriesen wird und auf sein Wort gehört und geantwortet wird.

Wie immer und an allen Orten gibt es für die Christen zwei grundlegende Gefährdungen und Herausforderungen:

Wir wollen selbst möglich strahlend dastehen und selber Licht sein, wo wir doch in seinem Licht das Licht sehen sollen und nicht in der Beleuchtung unserer trüben Funzeln.

Wir stellen unser kleines Licht lieber unter den Scheffel und lassen Gott allein leuchten, wo wir doch als Kinder des Lichtes leben sollen und das Licht Gottes in die Welt widerspiegeln sollen.

6. Welche Versuchung und Gefährdung heute im Jahre 2007 die größere ist, ist schwer auszumachen. Wir kennen sie beide gut genug und manchmal liegen Überheblichkeit und Kleinmut ganz dicht beieinander.

7. Wir sollen klares und glaubensstarkes Zeugnis geben vom Licht Gottes, ohne selbst Licht sein zu müssen oder sein zu können. Ein Vorbild dafür haben wir in der Heiligen Schrift: Johannes den Täufer. Von ihm heißt es:

Er war ein Mensch, von Gott gesandt, der kam zum Zeugnis, um von dem Licht zu zeugen, damit sie alle durch ihn glaubten. Er war nicht das Licht, sondern er sollte zeugen von dem Licht. Das war das wahre Licht, das alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen.

8. Sind wir Johannes? Dass wir selbst nicht das Licht sind, das wissen wir hoffentlich gut genug? Aber dass die Welt darauf wartet immer wieder, dass Zeugen aufstehen, die von Gottes Licht reden und dass von diesem Licht „alle Menschen erleuchtet werden, die in diese Welt kommen“. Das ist doch eine ziemlich schwierige Aufgabe. Kleiner ist sie nicht zu machen. Johannes steht dafür.

9. Wie soll das praktisch gehen? Manche meinen, wir Christen seien so etwas wie Spiegel, die Gottes Licht reflektieren. So wie schon von Vater Mose gesagt wurde, dass sein Gesicht glänzte, als er von der Herrlichkeit Gottes beschienen worden war. Es glänzte so sehr, dass er sich eine Decke überhängen musste, um die Leute nicht zu blenden.

So müssten wir glänzen, nicht mit unseren Verdiensten sondern im Widerschein der Herrlichkeit Gottes auf unserem Angesicht.

10. Dennoch denke ich, dass der Vergleich mit einem Spiegel etwas hinkt, wie die Vergleiche es zu tun pflegen: Einem Spiegel ist es ziemlich egal, was er widerspiegelt. Er verändert sich dadurch nicht. Wenn aus uns heraus Gottes Licht in die Welt scheinen soll, dann geht das nicht, ohne dass wir selbst von diesem Licht durchdrungen und verändert worden sind.

11. Die Heilige Schrift gebraucht vielmehr das Bild der Weintraube, die, wenn sie am Weinstock bleibt, reif und saftig wird. Im Südwesten Deutschlands, an der Grenze zu Frankreich gibt es guten Wein, weil es dort viel Licht und besonders viel Sonne gibt. Die Weinbauern dieser Gegend vermarkten ihren Wein unter dem Slogan: „Von der Sonne verwöhnt!“. Das müsste man auf die Christen in Europa übertragen: Von Gottes Liebe durchdrungen und verwöhnt und deshalb so empfehlenswert für Europa.

12. Also, uns allen muss klar und deutlich sein: Ohne Gottes Liebe und Barmherzigkeit können wir als Christen und Kirchen nicht sonderlich viel beitragen zur Gestaltung Europas. So doll werden wir da nicht leuchten. Aber als solche, die von dieser Liebe durchdrungen und erleuchtet sind, kann Europa sich auf uns Christen freuen. Wir werden nämlich mit anderen Augen auf diese Welt blicken, nicht etwa naiv aber doch sehr hoffnungsvoll und voller Vertrauen auf Gottes Güte.

13. Wir sind hier in Wittenberg, in der Kirche Martin Luthers. Er hat sich bemüht, den einfachen Leuten schwierige theologische Themen und Fragen nahe zu bringen. Er hat das vor allem auch mit Liedern getan, die leicht zu lernen waren und die unter der Hand komplizierte Theologie transportierten. Im Blick auf das Thema der Ökumenischen Versammlung hat er in einem weihnachtlichen Lied das entscheidende in wenigen Zeilen ausgesagt:

„Das ewig Licht geht da herein, / gibt der Welt ein' neuen Schein; / es leucht' wohl mitten in der Nacht / und uns des Lichtes Kinder macht. / Kyrieleis.“

Gott hat mit seinem ewigen Licht in unsere kleine Welt geleuchtet. Sehen wir das nicht? Uns, die wir das wissen, erscheint sie damit in einem neuen Licht. Wir sehen diese Welt mit allen ihren Brüchen und Verwerfungen als eine von Gott geliebte Welt. Das gilt auch und gerade dann, wenn es uns ganz finster zu sein scheint, also auch mitten in der tiefen Nacht.

Gott gebe, dass wir uns von diesem Licht erleuchten, begeistern und anstecken lassen, dass wir also Kinder des Lichtes werden und die Welt sehen lassen, dass wir Kinder des Lichtes sind. Zu alledem gebe Gott sein Erbarmen: Kyrieleis.

14. Deshalb lasst uns auch bei dieser Versammlung um Gottes guten Geist bitten:
„O komm, du Geist der Wahrheit, / und kehre bei uns ein, / verbreite Licht und Klarheit, / verbanne Trug und Schein. / Gieß aus dein heilig Feuer, / rühr Herz und Lippen an, / dass jeglicher getreuer / den Herrn bekennen kann.“

Ich wünsche der heute beginnenden ökumenischen Versammlung in Wittenberg Gottes reichen Segen und dass wir „verwöhnt von Gottes Liebe“ wieder nach Hause kehren und dass die Menschen in Europa uns dieses abspüren.

Amen.