Predigt im Gottesdienst zur Eröffnung der Fußballweltmeisterschaft 2006 im Liebfrauendom zu München

Wolfgang Huber

Philipper 3, 12-14

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.

I.

Liebe Gemeinde, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer an den Bildschirmen, Fußball ist ein starkes Stück Leben. In zwei mal fünfundvierzig Minuten lässt sich mehr an Glück und Angst, an Hoffnung und Enttäuschung, an Freude und Scheitern erleben als sonst in ganzen Wochen, Monaten, vielleicht sogar Jahren. Immer wieder neu freuen wir uns auf die Dramatik dieses Sports, sogar dann, wenn ein Spiel einmal weniger spannend ausgefallen ist. Im Spiegel des Fußballs werden wir daran erinnert, dass unser Leben weder langweilig noch banal gemeint ist.

Fußball ist ein starkes Stück Leben. Wir werden eingeübt in das Mitgehen und Mitleiden. Wer mit seinem Lieblingsverein schon einmal in die Zweite Bundesliga abgestiegen ist, wer mit seiner Weltmeisterschaftsmannschaft schon einmal in der Vorrunde ausscheiden musste, aber auch wer mit den eigenen Söhnen schon um die Meisterschaft in der C-Jugend zitterte, dem braucht man nichts mehr über Enttäuschung und Kummer zu erzählen.

Fußball ist ein starkes Stück Leben.  Kaum anderswo kann man so dicht die großen Folgen kleiner Fehler miterleben. Ein Fehlpass im Sturmlauf – und schon gerät das eigene Tor unter Druck. Wenn unsere moderne Technik in Auto, Bahn oder Flugzeug die Fehlerquote eines durchschnittlichen Fußballspiels aufwiese, würden wir alle wieder zu Fuß gehen.

Fußball ist ein starkes Stück Leben. Wie schwer war es schon seit langem, für die nächsten vier Wochen Termine zu verabreden!  Da war immer jemand dabei, der gegen entsprechende Vorschläge einwandte, da sei Achtel-, Viertel- oder Halbfinale. Viele unserer Gemeinden haben aus dieser Not eine Tugend gemacht und zum public viewing eingeladen. So werden in diesen Wochen Bibelkreis, Altennachmittag oder Konfirmandenunterricht gegebenenfalls einen ganz neuen Inhalt finden.

II.

Was bewirkt eigentlich den Unterschied zwischen einer guten Taktik und einem gewonnenen Spiel? Was liegt zwischen ausgeklügeltem Training und einem gelungenen Spielzug? Was unterscheidet viele noch so sensationelle Einzelspieler von einer siegreichen Mannschaft?

Es ist die Differenz zwischen Machen und Gelingen, zwischen Bemühen und gutem Geist, zwischen Wollen und Vollbringen. Darin zeigt sich eine wichtige Einsicht des Glaubens. Der Apostel Paulus verdeutlicht sie ausgerechnet am Beispiel des Sports:

Nicht, dass ich`s schon ergriffen habe oder vollkommen sei; ich jage ihm aber nach, ob ich`s wohl ergreifen möchte, nachdem ich von Jesus Christus ergriffen bin. Meine Geschwister, ich schätze mich selbst noch nicht so ein, dass ich`s schon ergriffen habe; eins aber sage ich: ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich aus nach dem, was da vorne ist, und jage nach dem vorgesteckten Ziel, nach dem Siegespreis der himmlischen Berufung Gottes in Christus Jesus.

Paulus kennt die Regeln des Spiels. Er weiß, dass keiner den Siegespreis von vornherein in der Hand hat.  So sehr er sich anstrengt, weiß er doch, dass der kostbare Preis, die Berufung durch Jesus Christus, niemals ein sicherer Besitz ist. Niemand kann seine Berufung durch Gott in die Tasche stecken und mit nach Hause nehmen Wohl kann sich jeder Glaubende danach ausstrecken; aber erzwingen kann er es nicht. Das Kleinod des Glaubens bleibt ein Geschenk aus Gottes Freiheit.

In christlichen Glaubenseinsichten ist immer ein Grundgesetz des Lebens enthalten. Denn der Glaube zeigt im Kern, wie es um das Gelingen unseres Lebens steht. Der Schritt vom Vorbereiten zum Gelingen bleibt unverfügbar. Deshalb hat auch der große Aufklärer Immanuel Kant, der meines Wissens nie in einen ernsthaften Kontakt mit einer Sportart geraten ist, diesen Gedanken aufgegriffen. Er sagt: Letztlich kann sich ein Mensch nur so verhalten, dass er würdig ist, einen Siegespreis zu empfangen. Ob er ihn tatsächlich bekommt, steht auf einem anderen Blatt.

Glaube und Philosophie erinnern je auf ihre Weise daran: Man kann den Sieg nicht herbeizwingen; aber es geht darum, sich des Preises als würdig zu erweisen.

III.

Diesen Gedanken auf den heutigen Tag zu übertragen, fällt nicht schwer. Die Spannung ist ja mit Händen zu greifen. Jetzt wird es ernst. Nicht mehr die Vorbereitung zählt, sondern das Spiel, nicht auf das Üben kommt es an, sondern auf das Gelingen.

Aber nach siegeswürdigem Verhalten sind nicht nur die Spieler gefragt. Die Frage gilt uns allen. Zur Fußball-Weltmeisterschaft gehören nicht nur eine gute Organisation der Wettkämpfe und eine gute Vorbereitung der Spieler, sondern ebenso das Bemühen um Gastfreundschaft, die Fairness auf den Straßen und Plätzen, nicht zuletzt auch die Vorsorge für die Sicherheit. Initiativen in Kirche und Gesellschaft für fairen Handel, für den respektvollen Umgang mit Fremden oder das deutliche Eintreten gegen Zwangsprostitution und Rassismus sind keine Nebensache. Auch all diese Bemühungen gehören zu einer Haltung, die sich des Siegespreises würdig erweisen will – in dem Wissen, dass keiner über ihn verfügt.

IV.

Die geistliche Unterscheidung von Wollen und Vollbringen, von Machen und Gelingen kommt auch zum Ausdruck, wenn Spieler sich beim Weg auf das Spielfeld bekreuzigen oder wenn jubelnde Torschützen die Hände in den Himmel strecken, um Gott zu danken. Ich achte diese Gesten der Frömmigkeit hoch. Sie zeigen Demut zur rechten Zeit. Zum Gelingen gehört nicht nur meine Leistung, sondern auch etwas Unverfügbares; mich erreicht ein Zipfel des Segens, mit dem Gott unser Wollen und Können begleitet.

Deshalb feiern wir heute zur Eröffnung der Weltmeisterschaft  einen Segensgottesdienst. Nicht dass wir`s ergreifen könnten oder durch das Gebet den Sieg der eigenen Mannschaft herbeizwingen wollten! Aber wir üben uns mit unserem Beten ein in die Unterscheidung zwischen Machen und Vollbringen. Wir sprechen aus, dass das Gelingen dieser Wochen Gottes Segen braucht.

Viele Menschen haben sich angestrengt und alles Erdenkliche getan, um hochklassige und faire, fröhliche und friedliche Spiele zu ermöglichen. Aber ob es gelungene Spiele werden, liegt zuletzt an Gottes Segen; ihn erbitten wir.

Wer würde sich nicht über den Sieg der eigenen Mannschaft von Herzen freuen! Die Erwartungen im Gastgeberland sind besonders hoch. Und die Freude über einen Sieg wäre in Deutschland gewiss riesig, übrigens auch bei mir. Aber wir wollen die geistliche Fairness nicht vergessen, die wir heute vom Apostel Paulus lernen. Bleiben wir deshalb in unserem Urteilen barmherzig! Wer nicht gewinnt, ist noch kein Versager. Auch wer beim Schritt vom Machen zum Gelingen zurückbleibt, soll aufrechten Hauptes vom Platz gehen. Fairness in den Urteilen über Spieler wie Betreuer wird auch ein Prüfstein dafür sein, ob wir uns des Preises würdig erweisen – ganz unabhängig davon, wer ihn erhält.

Auch Fußballbegeisterte können wissen: Der eigentliche Sieg ist nicht die Trophäe der Weltmeisterschaft, sondern der Glaube an Gott. Wir können deshalb die Spiele der nächsten Wochen genießen, ohne dass deren Ergebnis die Welt zum Einsturz bringt. Wir können uns mit denen freuen, die Grund zum Jubeln haben, und mit denen fühlen, die enttäuscht sind. Gerade so hilft uns der Glaube dabei, Fußball aus vollem Herzen als das zu erleben, was er ist: ein starkes Stück Leben.

Amen.