„Fürwahr, du bist ein verborgener Gott, du Gott Israels, der Heiland.“ (Jes 45, 15) - Morgenandacht

Kerstin Gäfgen-Track

Es gilt das gesprochene Wort.

Liebe Gemeinde!

Hier vor der EKD-Synode eine Andacht zu halten, ist eine schwierige Aufgabe. Ich kann mir theologischen Ärger einhandeln, wenn ich den biblischen Text mit Hermisson und nicht mit Baltzer interpretiere oder systematisch-theologisch nicht die Kurve bekomme. Ich kann mir menschlichen Ärger einhandeln, wenn ich zu abgehoben, zu geschliffen oder zu distanziert rede. Aber es hilft alles nichts und überhaupt: ich rede schon und ich will von Gott reden:  „Fürwahr, du bist ein verborgener Gott, du Gott Israels, der Heiland.“

Der unbekannte Prophet aus Jesaja 45 spricht davon, dass Gott selbst sich vor den Menschen verbirgt, weil die Menschen sein Handeln nicht verstehen können. Gott führt sein Volk zunächst in die Gefangenschaft – in Elend, Verzweiflung und Perspektivlosigkeit. Wenn es keine heilsamen Erfahrungen, kein Gelingen, keine Freude und keine Hoffnung gibt, dann verbirgt sich Gott.

Ich kenne das gut, dass Gott für mich verborgen ist. Ein langjähriger Freund bekommt bei einem Fest plötzlich massive Sehstörungen – wir fahren sofort ins Krankenhaus. Kein Gedanke an Gott, sondern nur daran, was mit meinem Freund passiert ist. Erst als ich gehen muss, ist der Gedanke an Gott da. Hilft Gott jetzt?  „Gott behüte dich, er gehe mit Dir in die Behandlung.“ Später erfahre ich, es ist ein Schlaganfall. Es ist erklärbar, wie und warum meinen Freund der Schlag getroffen hat. Bei den Erklärungen bleibt Gott draußen. Die Ärzte verbergen ihn, ich binde ihn nicht mehr in das Geschehen ein. „Gott, verbirgst Du Dich wie damals in Israel? Oder verberge ich Dich, weil ich mir Krankheit, Heilung und Gesundheit ohne Dich plausibel erklären lasse und selbst erkläre?“ Da ist meine Frage nach Gottes Hilfe und die überlieferte Segensformel „Gott behüte Dich“. Es ist der Wunsch, Gott möge doch dabei sein, auch wenn ich es schwer erklären kann, wie das zu denken ist: Gott inmitten der medizinischen Apparate. Und noch schwieriger ist es die Spannung auszuhalten, verbirgt sich Gott, wenn mein Freund nicht wieder gesund wird oder rettet er, wenn er wieder gesund wird und warum? 

Haben Erfahrungen im Leben überhaupt etwas mit Gott zu tun und wenn ja, alle oder nur bestimmte? Hat es etwas mit Gott zu tun, dass nach zwanzig guten Jahren eine Freundschaft langsam zerbricht, die Begegnungen weniger, die Gespräche immer konfliktgeladener werden, vielleicht weil wir uns sehr unterschiedlich entwickeln? Es gibt eines Tages ein ganz bitteres Telefonat, eine heftige Auseinandersetzung, nach der ich kaum schlafen kann. Und dann drei Tage später eine Begegnung, in der plötzlich und unerwartet ganz zart die Chance zu einem Neubeginn mehr spürbar als hörbar liegt. Hat das etwas mit Gott zu tun? Dieser Gedanke beschäftigt mich, als sie mir und anderen ihre Kirche zeigt. Eine Kirche, die in ihrer Schönheit und Erhabenheit von Gott in der Stadt erzählen will.
Der alttestamentliche Prophet erzählt auch von seinen Erfahrungen mit Gott. Für ihn war Gott verborgen, aber als er von ihm spricht, ist er für ihn schon zum  Heiland geworden, zu dem, der rettet. Denn der Gott Israels führt sein Volk aus der babylonischen Gefangenschaft zurück in das gelobte Land und gibt ihm eine wundervolle Verheißung mit auf den Weg: alle Völker werden mit Israel gemeinsam zum Berg Gottes, dem Zion, ziehen. Es bleibt angesichts der Rettung durch Gott unverständlich, warum Gott sein geliebtes Volk überhaupt in die Gefangenschaft gebracht hat. Deshalb ist für den Propheten Gott beides zugleich: ein verborgener Gott und ein Heiland. Ein Gott, der nicht rettet und ein Gott, der rettet. Luther hat dazu trocken gesagt: „Lieber Hergot, wie gehst myt uns so wunderlich umb.“ (WA 31 II, 364)

 „Hat das, was mir in meinem Leben widerfährt, das Heillose und das Heilvolle, etwas mit Gott zu tun?“ Die theologisch richtige Antwort darauf lautet: „Alles hat etwas mit Gott zu tun, weil er die Welt geschaffen hat, bewahrt und einen neuen Himmel und eine neue Erde gründen will.“ Die theologisch heute aber zu stellende Frage lautet: Sagen wir solche Sätze noch außerhalb von theologischen Aufsätzen, Andachten, von Religionsunterricht und Konfirmandenarbeit? Oder verbergen wir Gott, in dem wir von ihm in vielen Situationen geflissentlich schweigen? Wir haben doch für alles eine vernünftige Erklärung oder einen wissenschaftlichen Nachweis.  Verbergen wir so Gott, weil wir die Welt erklären, ohne von Gott zu reden? Die menschliche Vernunft kann die Welt und unser Leben ganz prima erklären. Wir können uns mit ihr in der Welt orientieren. Sie kann Sinn vermitteln, Werte auch, sie kann Kontingenz und Komplexität denken und sie braucht für all das Gott  nicht. In dieser Situation so zu argumentieren, dass nur der Glaube an Gott wirklich vernünftig ist und erst durch den Glauben die Vernunft zur wahren Entfaltung kommt, - welche Vernunft soll das sein? Diese These ist für mich nicht überzeugend. Ich meine, Jürgen Habermas hat hier die besseren Argumente.

Verbergen wir Gott, indem wir ihn zur „Verfügungsmasse“ unseres vernünftigen, auch unseres theologisch richtigen Redens machen und ihn darin in die Kirchen, Hörsäle und Synoden verbannen? Oder auch dies: Verbergen wir Gott, indem wir ihm nur in liturgisch geprägten Formen begegnen wollen? Wir reden selbstverständlich von Gott im Gottesdienst. Wir sind dort entlastet, weil wir dafür eine liturgisch geprägte Sprache haben. Wir reden von Gott in der theologischen Wissenschaft, aber hier gelten gerade andere Fragen als relevanter: Dialog der Religionen, Kulturanthropologie oder rituelle Inszenierungen. Auch im Religionsunterricht und in der Konfirmandenarbeit sind wir herausgefordert, von Gott zu erzählen, weil nur so der christliche Glaube weitergegeben werden kann. Gottesdienst, Theologie, Religionsunterricht und Konfirmandenarbeit: hier wird mal mehr, mal weniger von Gott geredet. Auch hier macht sich oft Sprachlosigkeit in Bezug auf Gott breit. Wir stehen bei unserer Rede von Gott auch immer in der Gefahr, uns an ihm zu vergreifen, ihn zu erklären, zu kategorisieren und in Schubladen zu sperren. Vielleicht wollen wir so die Gefahr eindämmen, dass wir bei der Begegnung mit Gott uns auch verbrennen könnten, nicht die Finger, sondern zumindest unsere Denkgebäude.

Wir denken, reden und handeln schließlich außerhalb Gottesdienst, Theologie und Unterricht oft so, als ob es Gott nicht gäbe. Wir verbergen ihn und „geben ihm darin nicht die Ehre“, weil wir Gott nicht hinreichend  unter den Bedingungen menschlichen Verstandes, menschlicher Rede und menschlicher Erfahrung zur Sprache bringen wollen, vielleicht besser zur Sprache bringen wagen.
Innerkirchlich entzündet sich – Leuchtfeuer! - die Debatte gegenwärtig nicht an der Rede von Gott, sondern am „evangelischen Profil“. Was soll aber leuchten? Hier wäre zunächst Gott „unter dem Scheffel“ unserer Rede hervorzuholen, aus der Verborgenheit im Alltag der Welt. Hier wäre verstärkt der Gedanke einzutragen, dass ein evangelisches Profil nicht ohne Gott, den Heiland, „auf den Leuchter“ gestellt werden kann. Ich möchte dies nicht als vermeidlich fromme Kritik am Impulspapier verstehen, sondern damit deutlich machen, dass die Frage nach dem angemessenen Reden von Gott die zentrale Frage für die Zukunftsfähigkeit von Kirche ist.

Die Rede von Gott will gerade im Alltag, mitten im Leben also,  in einer alltagstauglichen Sprache gewagt werden. Ich muss es wagen, mitten im Leben theologische Deutungen von Gott her zu versuchen. Das ist nicht leicht, weil ich dabei ungeschützt von Liturgie und Theologie aus meinem Leben heraus von Gott erzähle, und damit auch von mir erzähle. Und dies um der Sache Gottes und nicht um meinetwillen tue. Dies tun, ohne mich Gottes um meinetwillen zu bemächtigen.

Reden von Gott in dem Wissen, dass Gott sich all unserem Reden auch immer wieder entzieht, weil er unserem Zugriff auf ihn selbst heilsame Grenzen setzt. In dem Wissen, dass die Rede von Gott, wenn sie eine gute Rede ist, immer riskant und oft auch provokant ist. Es geht nicht um die theologisch richtige, weil hochdifferenzierte und gegen alle Argumente immunisierende Rede von Gott. Und es geht auch nicht um eine auf Differenzierung und intellektuelle Redlichkeit verzichtende Rede. Es geht um eine kompetente, Alltagserfahrungen deutende und von Gott lebendig erzählende Rede.

Das Risiko eingehen zu sagen, dieses dichte, offene und intensive Gespräch deute ich als von Gott geschenkt.  

Von Gott reden und es riskieren zu sagen, dass ich in meinem Leben diesen Weg gegangen bin in meinem Beruf, in meiner Kirche oder in der Politik ist für mich ein Stück Führung Gottes.

Von Gott reden und es riskieren zu sagen, in meiner Einsamkeit oder in meiner Heimatlosigkeit habe ich Bewahrung und neue Hoffnung durch Gott erfahren.

Schließlich auch von Gott reden, indem ich meinen Zweifel benenne, ob es ihn gibt, ob er sich verborgen hält oder ob er untätig schweigt angesichts des Leides der Welt. Auch indem ich meinen Zweifel an meinem eigenen Glauben radikal benenne. Meine Angst, von Gott zu reden, meine Scheu, fromm zu sein, all dies gehört auch zu einer verantwortlichen Rede von Gott. All dies sagen, und dennoch nicht inflationär von Gott reden, sondern nur dann, wenn es diese Erfahrungen mitten im Alltag gibt und ich den Mut habe, sie als solche zu deuten.

Ich habe es in dieser Andacht riskiert, so von Gott zu reden, wie ich es getan habe, weil ich hier vorne nichts anderes habe als eben diese Rede von Gott. „Das Christentum ist eine schwierige Religion und der Protestantismus ist seine schwierigste Form.“ Der Protestantismus ist schwierig, weil Protestanten radikal nur das Wort, die Rede von Gott haben - auch das Sakrament ist auf das Wort verwiesen. Wir haben nur das nackte Wort, da helfen auch alle Symbole, alle gestalteten Mitten und alle liturgischen Riten nicht. Wir haben das Wort und sollen reden von dem Gott, der uns liebt und den wir lieben, voller Zweifel und Zaghaftigkeit, voller Leidenschaft und Kraft, voller Mut es riskieren, Gott und uns selbst mit der Rede von Gott auf’s Spiel zu setzen – und genau so evangelisches Profil zeigen.

Der Schlusssatz? Vielleicht scheuen wir aber auch vor dem  Reden von Gott zurück, weil wir spüren, es würde uns verändern, wenn wir uns von Gott, von seinem Wort, von seiner Liebe berühren ließen. Vielleicht scheuen wir zurück, weil wir um die Konsequenzen seiner Rede an uns wissen – denn der Gott, der sich in Jesus Christus als Gott gezeigt, der versöhnen, heilen und diese Welt und alle ihre Menschen retten will, verändert dafür schon heute die Welt. Uns ist der neue Himmel und die neue Erde verheißen und wir sollen dieser Verheißung bereits heute in unserem Leben und Handeln Raum geben – und das ist mehr als Profil zeigen.
Amen