Predigt im Konfirmationsgottesdienst in der Kapelle des Berliner Olympiastadions

Joachim Ochel

Gnade sei mit euch und Friede, von dem, der da ist, der da war und der da kommt.

„Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele.“ So steht es als Bibelspruch aus dem 16. Kapitel des Matthäusevangeliums auf der zum Spielfeld gerichteten Außenwand dieser Kapelle. In goldenen Buchstaben auf rotem Grund: „Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele.“ Was für ein merkwürdiger, was für ein fremder Gedanke an diesem Ort. An einem Ort, wo Woche für Woche Sieger jubeln und Verlierer deprimiert vom Spielfeld gehen. An einem Ort, wo Olympiasieger und Fußballweltmeister gekürt wurden, Sportler, deren Namen die Welt nicht mehr vergisst, ein Ort, wo Triumphe gefeiert werden, als würde die Welt gewonnen. Und wo zugleich Verlierer sind, die am liebsten im Boden versinken würden. Gewinnen und Verlieren, wo anders weiß man besser was das bedeutet, als an diesem Ort, wo vom Sieg der Ruhm, die Karriere und das Einkommen abhängen und wo eine Niederlage Abstieg, Bedeutungslosigkeit, Ruin bedeuten kann.

Wenn es ums Siegen und Verlieren geht, dann ist es oft mehr als ein Spiel, dann geht es ums Ganze. Das weiß man an diesem Ort und das wisst ihr drei Fußballer auch. Dafür trainiert ihr hart, dafür tun euch manches mal die Knochen weh und dafür geht ihr am Ende einer Saison auf dem Zahnfleisch. Denn zu siegen ist grandios, das treibt die Fans ins Stadion, das spürt man auch euch an, wenn ihr gewonnen habt, und das begeistert - manchmal vielleicht noch viel mehr - uns Eltern, wenn wir euch bei einem Turnier begleiten. Danke, dass ihr uns damit soviel Freude macht  und uns ein Stück unserer Jugend zurück gebt!

Aber, wenn Jesus Recht hat und wenn die Botschaft dieser Kapelle stimmt, dann gibt es offensichtlich auch ein Gewinnen, bei dem man seine Seele verlieren kann. Was kann das sein? Das kann ein Gewinnen mit faulen Mitteln sein, wo hinterher ein schlechtes Gewissen oder ein schaler Nachgeschmack bleiben. Das kann ein Gewinnen sein, wo man den Respekt vor dem Gegner verliert und man dann spürt, wie solche Gedanken der Verachtung die eigene Seele aufzufressen beginnen. Und das ist vor allem das Immer-nur-und-immer-wieder-nur-Gewinnen-müssen, wo man zum Sklaven des Gewinnens wird: immer mehr, immer weiter, immer höher. Da wird der Sieg zur Droge, von der man immer mehr braucht und nicht mehr lassen kann – bis dann irgendwann gar nichts mehr geht. Der Sport kennt solche Dramen, aber es gibt sie wahrhaftig nicht nur dort.

Siegen zu lernen, ohne die Seele zu verlieren, und verlieren zu können, ohne die Seele zu verlieren, das ist die Kunst des Sports, mehr: das ist die wahre Lebenskunst, die glücklich macht, die zu üben sich lohnt und die letztlich nur noch Sieger kennt.

Wie soll das gehen, siegen zu lernen und verlieren zu können – ohne die Seele zu verlieren?

Seit ich es einmal auf einer Zugreise in einer abgelegten Zeitung unter den zehn besten Sportfotos des Jahres 2006 entdeckte,  hat mich immer wieder ein Bild aus dieser Kapelle fasziniert: Es zeigt den italienischen Verteidiger Gianluca Zambrotta vor dem WM Finale 2006. Diese Kapelle war erst wenige Tage vorher fertiggestellt und in Gebrauch genommen worden.

Das Bild zeigt die Anspannung eines Mannes, der weiß, um was es in den nächsten 90 Minuten geht. Und es zeigt seine fast zärtliche Zuneigung zu seinem liebsten Spielzeug, dem Ball. Und dieser Mann, der vor dem wichtigsten Spiel sein Sportlerlaufbahn steht, ist – das fällt mir besonders auf - einerseits nach innen konzentriert und andererseits andächtig nach außen gerichtet. Ich weiß nicht, welches dieser in das Blattgold eingravierten Bibelworte ihn so anspricht und ihm diesen inneren Halt gibt. Sein Blick geht jedenfalls in die Richtung eines Wortes, dass mich selbst in dieser Kapelle immer wieder besonders anspricht:  Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Um Gottes Gnade zu wissen, in dieser Gnade seinen Frieden zu finden, das ist nämlich die Lebenskraft die trägt – auf den Höhepunkten des Lebens und auch während der Durststrecken, ist doch seine Kraft in den Schwachen mächtig.

Liebe Freunde, das ist das Geheimnis des Glaubens: In einer Welt um uns, die nie genug hat, und bei einer Seele in uns, die nie genug kriegt, gibt es einen Bezugspunkt, einen Haltepunkt, einen Ruhepunkt, wo wir spüren und uns bewusst wird: Du hast genug und du bist genug, wenn du nur der Gnade Gottes gewiss bleibst. Sie trägt dich. Sie begleitet dich. Sie schützt dich und stützt dich. Lass dir nur an seiner Gnade genügen!

Siegen zu lernen und verlieren zu können ohne die Seele zu verlieren – das liegt nicht allein in unserer Kraft und Lebenskunst, dazu bedürfen wir wie Gianluca Zambrotta eines Gegenübers das Ja zu uns sagt, ob wir nun bei den Siegern oder bei den Verlierern sind. Und dazu brauchen wir immer wieder Orte wie diese Kapelle, wo dieses Ja Gottes uns zugesprochen und vor Augen gestellt wird.

Ich wünsche Euch von Herzen, dass diese Gewissheit Euch begleitet, dass sie euch stärkt bei eurer sportlichen Laufbahn, dass sie euch erdet, wenn ihr Erfolg habt und dass sie euch tröstet in den schwierigen Stunden, die das Leben immer auch bereithält. Ob ihr dann gewinnt oder zu den Verlierern zählt, ihr werdet eure Seele nicht verlieren. Das walte Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist. Amen.