Ansprache in der Andacht zur Einweihung des Ehrenmals der Bundeswehr

Martin Dutzmann

„Ein Mensch sieht, was vor Augen ist, der HERR aber sieht das Herz an.“ (1. Samuel 16, 7) So heißt es sprichwortartig in der Bibel im ersten Buch Samuel. Um das Sehen und um das Ansehen von Menschen geht es in diesem Bibelwort, und darum geht es auch, wenn heute das Ehrenmal für die Toten der Bundeswehr der Öffentlichkeit übergeben wird. Es geht um das Sehen und um das Ansehen derer, die ,,für Frieden, Recht und Freiheit“ ihr Leben ließen.

Das Ehrenmal soll zunächst sehen helfen. Bürgerinnen und Bürger sollen das künstlerisch gestaltete Bauwerk betrachten und die Namen der Toten lesen. Aus dem von dem Herrn Bundespräsidenten diagnostizierten ,,freundlichen Desinteresse“ der Gesellschaft an der Bundeswehr soll im wörtlichen Sinn ein Inter-esse werden, ein Dabeisein. Die verstorbenen und die lebenden Mitglieder unserer Streitkräfte haben einen Anspruch auf ein solches Interesse. Sie haben ein Recht darauf, durch die Gesellschaft wahrgenommen zu werden. Bei der Gefahr, in die sich Soldatinnen und Soldaten begeben, handelt es sich ja nicht einfach um ein persönliches Berufsrisiko und erst recht nicht um ein privates Abenteuer. Die Bundeswehr tut ihren Dienst im Namen aller Deutschen.

Neben dem Sehen geht es aber auch um das Ansehen der im Ehrenmal namentlich genannten Menschen. Das Ansehen der Toten der Bundeswehr soll gemehrt, ihre Reputation erhöht werden. Es ist ja nicht einfach eine Gedenkstätte, die wir heute der Öffentlichkeit übergeben, sondern ein Ehrenmal.

An dieser Stelle zögern kritische Zeitgenossen. Sie sehen ein Dilemma. Einerseits gibt es Grund zur Dankbarkeit: Die hier namentlich genannten Menschen haben schließlich unseren Frieden, unser Recht und unsere Freiheit verteidigt und dafür mit dem Leben bezahlt. Andererseits lässt der Blick auf unsere deutsche Geschichte kritische Fragen aufkommen: Ist die Ehrung nicht der Verehrung, der Heldenverehrung, zu nah verwandt? Und hat nicht solche Heldenverehrung zwei schuldhaft vom Zaun gebrochenen Weltkriegen zweifelhaften Glanz verliehen?

In der sogenannten postheroischen Gesellschaft stellen wir uns daher die Frage nach einem verantwortlichen Weg: Wie können wir die Toten der Bundeswehr ehren, ohne sie zu heroisieren? Wie können wir ihrer dankbar gedenken, ohne sie zu Helden hochzustilisieren? Den Weg weist uns das eingangs zitierte Bibelwort: ,,Ein Mensch sieht, was vor Augen ist, der HERR aber sieht das Herz an.“ (1. Samuel 16, 7)

,,Ein Mensch sieht, was vor Augen ist.“ Wir sollen ergänzen: Mehr sieht er nicht. Diese nüchterne Feststellung mahnt uns, die wir sehen und ansehen, gedenken und ehren, zur Bescheidenheit. Wir dürfen nicht zu viel wollen, wenn wir das Leben und Sterben anderer Menschen betrachten. Bei der Gestaltung des Ehrenmals für die Toten der Bundeswehr wurde diese Mahnung ernst genommen. Was sehen Menschen, die das Ehrenmal der Bundeswehr besuchen? Sie sehen die Namen von Soldaten und Zivilisten, die im Dienst für Frieden, Recht und Freiheit zu Tode kamen. Was sie nicht zu sehen bekommen, sind die jeweiligen Umstände des Todes. Der Betrachter weiß nicht, wer im Gefecht fiel, wer bei einer Dienstfahrt tödlich verunglückte oder wer seinem Leben selbst ein Ende setzte. Und selbst wenn der Besucher des Ehrenmales das alles sähe, so wüsste er doch nicht, was die dort genannten Menschen im Innern bewegte. Es bleibt verborgen, wer ängstlich und wer mutig, wer einsam und wer gesellig, wer traurig und wer glücklich war. Es bleibt unsichtbar, wer sein Leben bewusst einsetzte, wem es auf tragische Weise genommen wurde und wer so verzweifelt war, dass er nicht mehr leben konnte. Und ganz bestimmt erfahren wir nicht, wer vielleicht ein Held war und wer nicht.

,,Ein Mensch sieht (nur), was vor Augen ist.“ Manchen mag das beunruhigen. Deshalb ist es gut, dass das Bibelwort einen zweiten Teil hat: ,,Der HERR aber sieht das Herz an.“ Der Herr, unser Gott, weiß, was wir Menschen fühlen und denken. Er kennt unsere Wünsche und unsere Träume. Er sieht unseren Kummer und unsere Angst. Er weiß auch, was die Menschen bewegte, deren Namen im Ehrenmal der Bundeswehr genannt sind. Das befreit die Besucher des Ehrenmals zu dankbarem Gedenken an die Toten und macht jede Heldenverehrung überflüssig.

,,Der HERR aber sieht das Herz an.“ Gott ist an uns Menschen zutiefst interessiert. Dieses Interesse Gottes an uns hat in Jesus Christus Gesicht und Gestalt bekommen. So lesen wir es im zweiten Teil der Bibel, dem Neuen Testament. In Jesus Christus war Gott mitten unter uns Menschen und in Christus wird er bei uns bleiben „bis an der Welt Ende.“ Er bleibt auch bei jenen, die ihr Leben im Einsatz für Frieden, Recht und Freiheit verloren. Wer das glauben kann, der wird am Ehrenmal nicht nur dankbar der Toten der Bundeswehr gedenken, sondern sie zugleich in Gottes Frieden geborgen wissen.

Dieser Friede Gottes, der höher ist als unsere menschliche Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen.